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Aus: Ausgabe vom 18.08.2014, Seite 13 / Feuilleton

Scholl-Latour gestorben

In den vergangenen Jahren saß Peter Scholl-Latour sehr oft in Talkshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Er kommentierte die europäische Ukraine-Politik – »Fuck the EU« –, wetterte gegen Washingtons Doppelzüngigkeit – »Die Amerikaner müssen vom Völkerrecht reden! Wer Leute mit Drohnen ermorden läßt!« – oder erklärte, daß ein Diktator wie Baschar Al-Assad (»von denen gibt es viele«) immer noch besser sei als ein Bürgerkrieg mit 170000 Toten. Von Assad war Scholl-Latour selbstverständlich persönlich im Präsidentenpalast empfangen worden. Er war bis zuletzt viel unterwegs. Und hat nicht damit aufgehört, Bestseller zu schreiben. Am Samstag ist Peter Scholl-Latour nun im Alter von 90 Jahren nach schwerer Krankheit in seinem Wohnort Rhöndorf bei Bonn gestorben. »Mit seiner unbändigen Reiselust bis ins hohe Alter« und »seinem tiefen Verständnis für Riten, Sitten und Gebräuche fremder Kulturen« sei er »einer der großen Reiseschriftsteller unserer Zeit gewesen«, kondolierte der Propyläen-Verlag recht treffend.

Geboren wurde Scholl-Latour 1924 in Bochum. Seine jüdische Mutter wäre in der Nazizeit beinahe deportiert worden. 1945 brachte ihn der Versuch, sich der Partisanenarmee Titos anzuschließen, kurzzeitig in Gestapo-Haft. Nach Kriegsende meldete er sich bei einer französischen Fallschirmspringereinheit. Seine publizistische Laufbahn begann 1973 mit dem Film »Acht Tage bei den Vietcong«. Scholl-Latour war für das französische Fernsehen in Vietnam, geriet in Gefangenschaft – und eine Dokumentation darüber. Daraus wurde dann auch sein erster Bestseller »Der Tod im Reisfeld«.

Am 1. Februar 1978 drehte Scholl-Latour im Flugzeug, mit dem Ayatollah Ruhollah Chomeini nach Teheran zurückkehrte, und kehrte umgehend nach Paris zurück, um die Bilder vom betenden Revolutionsführer exklusiv senden zu können. Anfang der 80er Jahre wurde er für ein Jahr Chefredakteur des Stern, »der damals noch etwas zählte in Deutschland«, wie die Süddeutsche im Nachruf ihrer Onlineausgabe anmerkte. Es folgten Dutzende Bestseller mit markigen Titeln wie »Allah ist mit den Standhaften«, »Der Wahn vom Himmlischen Frieden«, »Das Schwert des Islam« oder »Unter Kreuz und Knute« .

Der stellvertretende CSU-Chef Peter Gauweiler trauert um einen »klarsichtigen Volksaufklärer«, die CDU-Kulturstaatsministerin Monika Grütters um etwas mehr: »Mit dem Tod von Peter Scholl-Latour verliert Deutschland einen der letzten großen journalistischen Welterklärer.« (dpa/jW)

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