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Aus: Ausgabe vom 11.10.2012, Seite 12 / Feuilleton

Braver böser Rebell

Fotos aus dem Nachlaß von Dennis Hopper im Berliner Martin-Gropius-Bau
Von Gisela Sonnenburg
Aber man kann natürlich auch was erkennen. Den schönen
Aber man kann natürlich auch was erkennen. Den schönen Paul Newman zum Beispiel

Man raucht, man glotzt, man tut cool. Man ist echt Mann. Ohne Angst vor Drogen oder Perversion. Denn Zukunft ist nicht nur ein Wort. Der poröse Charme von Schwarzweißfotografien aus den 60er Jahren bringt das so richtig raus. Zumal, wenn ein Mann den Auslöser drückte, der vielen als Inbegriff des US-Kulturrebellentums gilt: Dennis Hopper (1936–2010). Im Berliner Martin-Gropius-Bau ist nun erstmals in Europa eine Sammlung von mehr als 400 frühen Fotografien Hoppers zu sehen. 1970 wurden sie in einem Museum in Texas ausgestellt. Die Berliner Schau orientiert sich an der damaligen Hängung – Hopper selbst wollte diese Fotos so »authentisch« wie möglich an die Öffentlichkeit gebracht wissen.

Seine Erben und die Kunstmakler machen ihm nun fast einen Strich durch die Rechnung. »Vintage-Fotografien aus den 1960er Jahren« klappert der Untertitel von »Dennis Hopper – The Lost Album« (»Dennis Hopper – Das verlorene Album«) mit dem Schlüsselwort. »Vintage« steht derzeit für Profit in der Händlerszene. So preist etwa FAZ-Autorin Lisa Zeitz, früher als Geschäftsfrau für ein deutsches Auktionshaus in New York arbeitend, die auffallend magnetische Verkaufskraft, mit der sogenannte »Vintage-Fotografie« auf dem Kunstmarkt leuchtet.

»Vintage« heißt wörtlich »alt und hochwertig«, man kann es getrost mit »antik« übersetzen. Antike Fotografie zeichnet sich durch kleine Schäden aus, so durch Eselsecken, Risse, Kratzer, Verfärbungen, Beulen. Nicht etwa durch eine bestimmte Optik oder gar Ästhetik. Platt gesagt: Hauptsache, das Foto ist alt, schon stimmt der aktuelle Preis, sofern es als Sammlerstück in Frage kommt. Schäbig ist schön; entsprechend sehen auch die kleinformatigen Hopper-Stücke im Gropius-Bau aus, als hätten sie schon den einen oder anderen Weltkrieg miterlebt. Der Nimbus des Teuren schwebt dennoch über allem – allzu deutlich ist der »Vintage«-Hinweis auf Noblesse.

Aber man kann natürlich auch was erkennen. Den schönen Paul Newman zum Beispiel: mit kurzen Locken und Gitterschatten auf nackter Haut. Andy Warhol mit seiner Factory Gang. Martin Luther King, mit lauter Mikrofonen. Am interessantesten: Die Sicht Hoppers auf seine Generation, seine Szene in Los Angeles. Da initiierte Edward Kienholz, der Schockerkünstler, der scheinreale Alltagsszenen in begehbare Horrorträume verwandelte, eine Selbsthilfegalerie. Hopper knüpfte Kontakte, schoß Fotos. Mode, Kunst, Performance – man war im Auftrieb, die Hippiezeit blühte, alles versprach eine glücksgleißende Ewigkeit, der man – besonders als Mann – lässig entgegensah.

Robert Rauschenberg und Claes Oldenburg, Allan Kaprow und Brooke Hayward – Hopper kannte und liebte die Avantgarde seiner Zeit. Hayward heiratete er 1961; die Ehe hielt bis 1969. Die Hopper-Hayward-Tochter Marin Hopper, die die Berliner Ausstellung eröffnete – etwas zu stark blondiert und mit etwas zu viel Goldschmuck glänzend – fand angeblich die fünf Kisten mit »vergessenen« Bildern im Keller. Ob das Wahrheit oder (Verkaufs-)Legende ist, ist egal – besser werden die Fotos davon nicht: Es sind überwiegend Schnappschüsse ohne kongenialen Impetus. Zeitzeugen auf Papier, als Kunstwerke aber reichen sie nicht an das heran, was Dennis Hopper als Schauspieler zu leisten vermochte.

In den 60ern hatte er seine James-Dean-Filme schon hinter sich: »Denn sie wissen nicht, was sie tun« und »Giganten« fassen den Ungeist der engherzigen 50er Jahre in den USA musterhaft zusammen. Dann kam die Auflehnung gegen Konventionen: Mit »Easy Rider« wurde Hopper zur Kultfigur (1969), scheiterte beinahe mit seinem eigenen »Last Movie« (1971), tauchte ziemlich ab, um dann mit »Blue Velvet« (1986) zur Ikone zu werden. Aus dem schmachtenden Jüngling der 50er Jahre wurde ein Schnauzbartträger mit Jesusfrisur (»Easy Rider«) – und dann immer mehr ein mephistophelischer Bösewicht von schillerndem Charisma. Auf der Leinwand. Sein Innerstes zeigt sich am ehesten in jenen Fotos, mit denen er versucht, den Alltag interessant abzubilden: Friedhöfe und das Straßenleben in Harlem, New York. Stierkämpfe. Frauen und Männer. Aber schaute er kritisch mit seiner scharfen Kamera? Eher steht er für jene typische Sensationslust, die jeden befällt, der ab und an knipst.

John Wayne. Das Porträt von ihm berührt: Er ist der ewige Cowboy, abgelichtet vom Tausendsassa Dennis Hopper. Ist Hopper hier auf Selbstsuche? Auf der imaginären Reise nach seinen künstlerischen Wurzeln? Oder war er nur in der Laune, dieses Foto zu schießen? Intention war Hoppers Sache tatsächlich nicht. Auch sein Politporträt von Martin Luther King entstand fast zufällig: weil ein Freund Hopper mit auf den historischen »Selma-to-Montgomery-March« mitnahm. 2010 starb der »Männerdarsteller« Dennis Hopper an Prostatakrebs.


* Bis 17. Dezember im Martin-­Gropius-Bau in Berlin

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