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Aus: Ausgabe vom 24.10.2009, Seite 16 / Aktion

Fremde Federn

Der Wählerauftrag der Bundesregierung
Von Arnold Schölzel
Seit 1990 geht von deutschem Boden kein Frieden mehr aus. Der Krieg nach außen bedingt den Krieg im Innern. Diese beiden Sätze können als Konzentrat politischer Erfahrung der letzten 20 Jahre in der Bundesrepublik gelten. Die Durchsetzung der »Agenda 2010« seit 2003 verlief vergleichsweise schüchtern verglichen mit dem Furor, mit dem seit einigen Monaten die Arrivierten dieses Landes und ihre Zeitgeist-Besorger in den Medien auf »Modernisierungsversager« verbal einschlagen. Die Zustimmung, die den Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin seit drei Wochen aus den Kreisen der Besserverdienenden erreicht, deutet auf eine Verschiebung nach rechts im Selbstverständnis der Herrschenden, die ihren Ausdruck auch im Ergebnis der Bundestagswahlen gefunden hat: Jetzt wird nicht nur wie vor sechs Jahren Armut per Gesetz dekretiert, gleichzeitig aber abgestritten, daß es überhaupt um Senkung des Preises der Ware Arbeitskraft gehen könnte, jetzt wird der »Erfolg der Arbeitsmarktreform« gefeiert und dem »Prekariat« das Zeugnis ausgestellt – es ist milieubedingt oder aus biologischen Gründen nicht zum sozialen Aufstieg befähigt. Der sozial-rassistische Dreck ältester konservativer und nazistischer Ideologie hat sich – mal wieder – in der sogenannten gesellschaftlichen Mitte breitgemacht. Wer »Leistungsträger« ist, darf Milliarden Euro versenken, hat aber amtlichen Anspruch auf Millionen Euro »Bonus«. Wer Essensreste nicht wegwirft, sondern mit nach Hause nimmt, bekommt amtlich die Entlassung und als 59jährige wie im Fall der schwäbischen Maultaschen vermutlich nie wieder eine Stelle. Beides zu effektivieren – die Bonuszahlung und die Entlassung – betrachtet die zukünftige Bundesregierung offensichtlich als Wählerauftrag.

Selbst der Bürgerpresse geht das Gehabe der eingebildeten Elite zu weit, wie in dieser Woche in FAZ oder Zeit zu lesen war. Die sozialen Kontraste werden nach dem Geschmack besorgter Ideologen zu deutlich sichtbar, der Klassenkampf von oben wird etwas zu munter betrieben. Diese Auseinandersetzung ums richtige Kostüm für die herrschenden Ideen ist nicht wichtigster Gegenstand für die junge Welt, wohl aber die Ideen der Herrschenden insgesamt. Zu ihnen gehört an erster Stelle, die soziale Frage nicht soziale Frage zu nennen und Klassenkampf zu betreiben, aber nicht den Gedanken an ihn aufkommen zu lassen. Wir machen diese Zeitung u. a., um genau dies zu benennen.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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