Leserbrief zum Artikel Kapitalismus und Wohnungsmarkt: Ganz normale Anomalie
vom 12.01.2021:
Notwendige Reflexionen zum Thema
Das Problem ist grundsätzlicherer Natur: Das Kapital flüchtet zunehmend aus den produzierenden Bereichen der Gesellschaft in jene Sphären des gesellschaftlichen Lebens, in denen es sich höhere Profite verspricht. Den Grund dafür hat bereits Karl Marx herausgefunden, als er das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate entdeckte: Für immer größere Teile des Kapitals wird es (auch trotz gegensteuernder Maßnahmen des Staates) zunehmend schwieriger, in den Bereichen der materiellen Produktion ausreichende Profitraten zu erzielen. Genau das zwingt das Kapital zu immer größeren »Ausweichbewegungen« in Bereiche, in denen sich zwar höhere Profitraten erzielen lassen, die Folgen für die Gesellschaft aber weitaus desaströser sind. Wie Theo Wentzke richtig beschreibt, sind das in vielen Fällen jene Bereiche der Gesellschaft, in denen das Wirken des Profitmotivs nicht einen Beitrag zur Lösung der anstehenden Aufgaben erbringt, sondern ganz im Gegenteil einen Abzug von den dafür zur Verfügung stehenden Mitteln bewirkt. Vor allem in den Jahren kurz vor und kurz nach der Jahrtausendwende hat der Drang des Kapitals, sich »neue« Anlagemöglichkeiten (mit den entsprechenden Profiten) zu suchen, deutlich sichtbare Spuren hinterlassen. Das Gesundheitswesen wurde als ein Bereich entdeckt, in dem man neue, höhere Profitraten geradezu diktieren konnte (und es damit, wie man in der Coronakrise sehen kann, deutlich geschwächt und zum Teil geradezu ruiniert hat). Ähnliches entwickelte sich mit denselben Folgen im Bereich der Pflege, der öffentlichen Infrastruktur und in weiteren Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge. Diese destruktive Entwicklung hat inzwischen auch den Bereich des Wohnens und der Immobilienwirtschaft insgesamt und in voller Breite erfasst. Auch das Finanzwesen ist inzwischen fast völlig von diesen desaströsen Auswirkungen der Flucht des Kapitals aus jenen Bereichen erfasst, die wenigstens zur Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums beitragen.
Damit verstärken sich ganz offensichtlich die destruktiven Momente des Kapitals enorm. Vorhandene wichtige Bedürfnisse der Gesellschaft werden nicht mehr in ausreichender Breite befriedigt, weil aus ihnen über die Profite Mittel abgezogen werden, statt dass mit den eingesetzten Mitteln Probleme gelöst werden können: Wir können das seit Jahren zunehmend in solchen Bereichen wie Wohnen, Gesundheit, Sicherheit, Pflege, Umweltschutz und anderen mit teilweise dramatischen Folgen beobachten. Auch das sind prägnante Beispiele dafür, wie das Wirken des Kapitals gesetzmäßig der Gesellschaft immer schmerzhaftere Wunden zufügt, indem es versucht, Lösungen für seine inneren Widersprüche zu finden.
Nehmen wir noch einmal das Beispiel der Entwicklung der Wohnungspreise. Die arbeitende Bevölkerung (und das meint auch breiteste Kreise der Mittelschichten) ist notwendigerweise gezwungen, sie aus ihrem Einkommen (dem von Marx als »notwendiges Produkt« bezeichneten Teil des gesellschaftlichen Gesamtprodukts) zu bestreiten.
Die Folge kann nur sein, dass sich, über einen längeren Zeitraum gerechnet, ein enormer Druck aufbaut, das notwendige Produkt in seiner Höhe an diesen neuen Teil der Lebenswirklichkeit anzupassen. Das aber schafft (zusätzlich zu den Tendenzen, die mit dem Gesetz des tendenziellen Falles der Profitrate ohnehin verbunden sind) weiteren Druck auf die Profitraten in den Bereichen der Gesellschaft, in denen materieller Reichtum überhaupt geschaffen wird. Dieser Druck zwingt dann weitere Teile des Kapitals, in Bereiche abzuwandern, in denen Waren und Dienstleistungen nicht erzeugt, sondern verbraucht werden. Es entsteht eine Endlosschleife destruktiver Kapitalbewegungen. Mit der einzigen Folge, dass da, wo ein Loch geschlossen wird, an anderer Stelle drei neue aufgerissen werden. Das Ganze darf man getrost als Kapitallogik bezeichnen. Es wird nicht reichen, über die einzelnen Spekulanten zu schimpfen, die daraus ihre Profite ziehen. Sie alle handeln im Rahmen von Gesetzmäßigkeiten, denen sie sich nur bei Strafe ihres eigenen Unterganges entziehen könnten. Das Ganze wird sich nur ändern lassen, wenn man die Gesellschaft wirklich vom Kopf auf die Füße stellt.