Karl Marx und Clint Eastwood nicht vergessen ...
Natürlich hätte die mitternächtliche Ausstrahlung des dann kostenfreien Films »Der junge Karl Marx« auf SWR im Vorfeld des 200. Geburtstages von Friedrich Engels bei den TV-Vorschlägen der jungen Welt berücksichtigt werden sollen, selbst wenn es sich um eine kurzfristige, aber nicht sehr kurzfristige Programmänderung des SWR gehandelt haben sollte. Dass jW aber ausschließlich nur Sendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und da womöglich nur solche mit explizitem Aufklärungsanspruch empfehlen sollte, tut einerseits dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen pauschal ein Zuviel der Ehre an, das es so auch nicht verdient hat – andererseits ginge ein solcher dann schon linksintellektuell elitärer Anspruch, die TV-Vorschläge der jW-Redaktion betreffend, an den Lebenswirklichkeiten wenn auch sicher nicht der meisten jW-»Kunden« (jW sprach vor einer Zeit auf ihrer samstäglichen Aktionsseite in einem ihrer (Werbe-)Artikel gleich zweimal von »unserem Unternehmen« ...) vorbei, die nämlich keinen Atemzug nehmen und schon gar keinen Furz lassen, ohne dass dies gleich einem Immanuel Kant (der mit dem Stock im Arsch) nicht im höheren Interesse der Aufklärung und der Wissenschaft geschähe, aber es mag unter den Lesern der jungen Welt HOFFENTLICH auch solche geben, die sich nach einem anstrengenden Arbeitstag im nicht hochkulturellen Bereich (z. B. Fabrik) und einer anstrengenden Lektüre des Weltgewissens junge Welt einfach mal einen ganz trivialen Thriller für ein Millionenpublikum angucken wollen. Und manchen Intellektuellen mit oder ohne Titel – und sei letzterer auf einem theologischen Institut mühsam erworben – mag es ja gar nicht schaden, sich einmal anzuschauen, wie beispielsweise John Wayne gewisse Dinge geregelt hätte – nämlich nicht mit Gebrauch edler Worte allein. Warum sollten Marxisten auch der edelsten Güte wenigstens mal im ja völlig unverbindlichen Spielfilm nicht der Tatsache angesichtig werden, dass es anderes und vielleicht auch besseres gibt, als allerhöchst geachtet 95jährig im Bette zu versterben? Und das mit dem »Die Feigen sterben viele Tode, der Mutige nur einen ...« hat Clint Eastwood ja auch schön inszeniert – wenigstens im Film kann man sich das ja mal geben, wenn einem sonst die Verteidigung der parlamentarischen Demokratie als langjährige Bundestagsabgeordnete z. B. der Linkspartei natürlich alleroberstes Herzensbedürfnis ist, nur noch getoppt von der Wahrung der Würde des hohen Hauses ... Man sollte die Kirche im Dorf lassen und als jW-Redaktion ab und zu auch mal einen Ballerfilm auf Vox oder Tele 5 vorschlagen dürfen – wenigstens in bezug auf das TV-Programm sollte man das »Ich bin Mensch, also ist mir nichts Menschliches fremd« des antiken römischen Komödiendichters ab und zu durch Toleranz gelten lassen und dabei wenigstens einer – hoffentlich eben überhaupt vorhandenen – jW-Leserschaft auch das »Über sein Können ist niemand verpflichtet« desselben antiken Dichters warmherzigst zugestehen. Friedrich Engels, der den einfachen Arbeiter nie mit Hochmut und stets warmherzigst betrachtet hat, hätte dies allemal getan, und drum: ab und zu darf es auch mal einen TV-Tipp der jW für einen trivialen Spielfilm auf den Privaten geben, o. k.?
Ronald Brunkhorst, Kassel
Veröffentlicht in der jungen Welt am 19.11.2020.