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Leserbrief zum Artikel Die feinen Unterschiede: Bourdieu und mein Vater vom 01.08.2020:

Westlicher Tunnelblick

Die Lektüre der Themenseiten Ihrer Zeitung ist für mich immer mal wieder ein großer Gewinn. Als Beispiele nenne ich den Auszug aus der Arbeit von Vladimiro Giacché zur Wirtschaftspolitik Chinas und den Vorabdruck aus dem buch von Rob Wallace zum »Tödlichen Kreislauf«. Um so enttäuschter war ich von dem Beitrag »Bourdieu und mein Vater«. Vielleicht denkbar als etwas groß geratener Feuilletonartikel. Das ND hatte in seiner Wochenendausgabe einen Artikel, der dem beeindruckenden Wissenschaftler Pierre Bourdieu gerecht wurde. Biographisches ist dort als Folge für Gegenstands- und Methodenverständnis der Soziologie herausgearbeitet.
Ich wende mich aber aus einem gewichtigeren Grund an Sie. Ingar Solty gibt umfangreiche Zitate von Bourdieu und auch Ralf Dahrendorf wieder, um sie mit noch umfangreicherem empirischen Material zeilenschindend zu illustrieren. Dabei handelt es sich ausschließlich um Erfahrungsmaterial aus dem Westteil Deutschlands.
Seit 30 Jahren erlebe ich, dass Menschen, die öffentlich das Sagen haben, sich ausschließlich auf auf westdeutsche Erfahrungen beziehen. Sieger-der-Geschichte-Mentalität. Solches in der jW bestätigt zu bekommen, ist für mich eine Zumutung.
Dass es in Deutschland auch ein anderes Schulsystem gab als das der BRD, eine andere soziokulturelle Struktur, andere Entwicklungschancen für Arbeiterkinder, wäre einer politischen Würdigung des Wissenschaftlers Bourdieu angemessen gewesen. Das hätte allerdings einen höheren Anspruch des Autors an eigenes analytisch-systemisches Denken erfordert – in bourdieuscher Wissenschaftstradition. Aber das ist Sache von Ingar Solty.
Von der jW hätte ich politisches Gespür erwartet, dass sie der Westdominanz im Blick Deutschland und seine Zwei-Staaten-Geschichte nicht die Tore öffnet. Aber vielleicht kennt man sich ja einfach persönlich gut.
Dr. Gabriele Lindner, Berlin
Veröffentlicht in der jungen Welt am 06.08.2020.
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