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Leserbriefe

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Leserbrief zum Artikel Klimawandel: Das Problem heißt Kapitalismus vom 29.11.2019:

Was soll nach dem Kapitalismus kommen?

Wir sehen immer häufiger Demonstranten mit Spruchbändern oder auch Transparenten, die Aufschriften tragen, wie: »Nieder mit dem Kapitalismus«, auch »Der Kapitalismus ist überholt«, oder »Der Kapitalismus muss weg«, aber auch »Kampf dem deutschen Imperialismus!«

Für mich als Mensch mit schon ewig linker marxistischer Ideologie werfen diese logischen und längst fälligen Forderungen natürlich berechtigte Fragen auf. Was soll danach kommen, welche Ideen tragen diese Menschen, die mit solchen Losungen durch die Straßen ziehen, in ihrem Gedankengut mit sich? Was für Vorstellungen haben sie von dem, was danach kommen soll? Es kann doch nicht davon ausgegangen werden, dass irgendwann dieser den Staat beherrschende Kapitalismus mitsamt dem Stuhl, auf dem er sich festgesetzt hat, vor die Tür gesetzt werden kann und dann darauf gewartet wird, was danach kommt. Wobei jeder Fürsprecher einer solchen Lösung davon ausgehen muss, dass der Kapitalismus niemals freiwillig seine Machtpositionen aufgibt. Der Ausspruch »Keine Gewalt« wird nicht einmal im Ansatz über die Lippen der Mächtigen dieses Machtapparates kommen. Diese Klasse beherrscht das Machtmonopol Staat, und sie haben ihn bis an die Zähne bewaffnet und werden bis aufs Blut dieses kapitalistische System verteidigen, koste es, was es wolle, und seien es Menschenleben. Nirgendwo gibt es, weder in Deutschland, aber auch nicht im vereinten Europa, ein Konzept für die Zeit nach dem Kapitalismus, dass wir diesen Spruchbänderträgern als Alternative vorlegen könnten. Es ist beängstigend für Bürger mit echter linker Ideologie, dass nicht soviel, wie unter einem Fingernagel passt, den Bürgerinnen und Bürgern von der gegenwärtigen Linkspartei vermittelt werden könnte. Aus diesem linken Spektrum gibt es gegenwärtig absolut keine fundierten Vorschläge, die als Idee für die nachkapitalistische Zeit zu präsentieren wären, wie die Zukunft ohne Kapitalismus gestaltet werden könnte. Was außer dem linken Lager im politischen Spektrum existiert, ist nichts anderes als die Fortsetzung des Kapitalismus unter neoliberaler bürgerlicher Demokratie.

Es gab ja schon einmal in einem Teil Deutschlands eine 40jährige Gesellschaftsordnung, die von kapitalistischer Produktion frei war. Vierzig Jahre galt der Grundsatz: »Was des Volkes Hände schaffen, soll auch des Volkes eigen sein.« Der von Anfang an durch unsere kapitalistischen Nachbarn geführte ökonomische Kalte Krieg und die beim Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung begangenen Fehler wurden zur mehr oder weniger zusammengezimmerten Grundlage, um letztendlich durch die Gegner des Sozialismus diese Entwicklung aufhalten und die Geschichte wieder umkehren zu können.

In der Zeit um die Jahre 1989/90 bestand noch die Möglichkeit, diese Fehlentwicklungen des bis dahin bestandenen Sozialismus zu seiner Erhaltung zu korrigieren. Die sozialistische Demokratie zu stärken und wirtschaftliche Rückstände im technischen Fortschritt zu beseitigen. Statt dessen hatten sich diese Reformer und Dissidenten nach dem von ganz oben organisierten Sturz des Zentralkomitees der SED putschartig illegal als Parteiführung in Szene gesetzt. Sie hatten aber nicht vor, den bestehenden Sozialismus zu festigen, ihnen ging es darum, die seit vierzig Jahren von der kapitalistischen Ausbeutung befreiten Länder zurück in die Vergangenheit zu katapultieren. Sicherlich hatten sie dafür Helfershelfer der neoliberalen, kapitalismusfreundlichen Gegenseite. Sie haben der kapitalistischen Truman-Doktrin, geschaffen und erlassen für die Weiterführung und Intensivierung des Kampfes gegen den Sozialismus/Kommunismus, ihre Ehre erwiesen und ihren Auftrag der aktiven Mithilfe zur Erfüllung dieser Doktrin befehlsgemäß, aber auch im eigenen Interesse, befolgt.

Seitdem diese Konterrevolution gesiegt hat, wird in den dreißig Jahren danach in ununterbrochener Folge eine Delegitimierungskampagne geführt, die den Sozialismus als Diktatur bezeichnet und auch nicht davor zurückschreckt, ihn mit dem Faschismus gleichzusetzen. Die Hauptstoßrichtung dieses Staates richtet sich also gegen links, nicht gegen rechts. Wer 1945 Hitlers faschistische Helfershelfer – nachdem sie ihre Uniformen ausgezogen hatten und in ihren Nadelstreifenanzug geschlüpft waren – in den Aufbau der Bundesrepublik als geläuterte Demokraten integrierte, die NPD nicht verbietet, andererseits aber die KPD verbieten ließ, den Radikalenerlass in Kraft setzte, der VVN/BdA die Gemeinnützigkeit aberkennt, muss erklären, wie weit nach rechts er schon gerückt ist. In diesem Staat leben wir jetzt, hineinmanövriert durch diejenigen, von denen nie neue Wege zum echten, dem wissenschaftlichen Sozialismus, erwartet werden können. Das aber ist eine der Ursachen für eine zur Zeit fehlende plausible Erklärung, wie eine Gesellschaftsordnung nach dem Kapitalismus aussehen könnte. Dazu kommt aber als weitere Ursache, wie diejenigen, die staatliche Macht ausüben, in Einigkeit mit den Medien die Delegitimierung des Sozialismus akribisch in verlogener Art und Weise in die Köpfe der Menschen einpflanzten und dies weiterhin praktizieren. Die Frage besteht also darin, wie dies zu überwinden wäre.

Wir können gegenwärtig nicht davon ausgehen, dass jene, die noch heute diese Linkspartei beherrschen, offene Ohren für neue sozialistische Wege haben. Vor wenigen Jahren hat einer der Vorreiter der heutigen Führungskräfte dieser Partei (Gregor Gysi), in einem Fernsehinterview auf die Frage, was eigentlich demokratischer Sozialismus sei, der Journalistin geantwortet: »Demokratischen Sozialismus kann man nicht erklären, aber der Kapitalismus ist doch auch nicht schlecht, man muss ihn nur hier und da etwas verbessern.« Wie also kann man erwarten, dass aus solchen Hirnen Gedanken für einen Weg zum Sozialismus entspringen würden. Wie kann man bei solchen »linken« Führungskräften in den Glauben verfallen, dass diese Freunde der anderen Seite etwa plötzlich die Systemfrage stellen würden.

Deshalb haben echte sozialistische Linke gegenwärtig das Problem, eine Alternative für die Zeit nach dem Kapitalismus vorzulegen. Das Erfordernis besteht darin, dass die wissenschaftliche, unverfälschte marxistisch sozialistische Ideologie in dieser linken Partei wieder die politische Macht zurückgewinnen muss. Erst dann werden wir den Forderungen der Träger der Spruchbänder und Transparente und den sich ihnen anschließenden Massen eine politische Alternative vorlegen können, erst dann wird die Arbeiterklasse, die größte Klasse eines jeden Industriestaates, wieder eine Vorhut haben. Ohne Vorhut ist keine Machtübernahme möglich und ohne Arbeiterklasse keine Überwindung des Kapitalismus. Solange uns jedoch ein Machtwechsel unter diesen Bedingungen nicht gelingt, hält der Kapitalismus seine Macht fest in den Händen.
Klaus Glaser, Schwarzenberg
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