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23.07.2021 19:30 Uhr

»Behörde der Ära Maaßen gehört auf den Prüfstand«

Verfassungsschutz gegen junge Welt. Gewerkschafter empfiehlt, rechtliche Schritte einzulegen. Ein Gespräch mit Christoph Schmitz
Von Simon Zeise
Inlandsgeheimdienst außer Kontrolle: Zentrale des Bundesamts für Verfassungsschutz in Köln

Wo ist die Pressefreiheit stärker bedroht: in Belarus oder in der BRD?

Ich bin davon überzeugt, dass sie in Belarus stärker bedroht ist als in der Bundesrepublik. Unabhängig davon gibt es hierzulande in letzter Zeit aber auch Vorfälle von Einschränkung der Pressefreiheit, die wir im Blick behalten und wogegen wir uns wehren müssen.

Der deutsche Inlandsgeheimdienst überwacht mit der jungen Welt die Redaktion einer Tageszeitung. Ist eine neue Qualität der Repression erreicht?

Neu ist das nicht. Es gab mit der Jungen Freiheit schon mal eine Zeitung – allerdings im rechten Spektrum –, die im Verfassungsschutzbericht von Nordrhein-Westfalen aufgelistet wurde und dementsprechend unter Beobachtung der dort ansässigen Behörde stand. Es ist erst einmal nicht verwunderlich, dass sich das Bundesamt für Verfassungsschutz für eine bundesweit erscheinende Tageszeitung interessiert. Ob die junge Welt zu Recht Beobachtungsgegenstand ist, das ist eine andere Frage.

Begründet wird die Beobachtung unter anderem damit, dass die ­junge Welt von einem Klassengegensatz ausgeht. Fühlen Sie sich als Gewerkschafter auch getroffen?

Grundsätzlich erkenne ich als Gewerkschafter den Interessengegensatz von Arbeit und Kapital an. In der sozialen Marktwirtschaft, also im Kapitalismus, gibt es Gruppen, die reich sind und deshalb über Privilegien verfügen, die anderen Gruppen nicht zur Verfügung stehen. Das ist offensichtlich, wenn man etwa in einer Stadt wie Berlin lebt und wenn man sich ein bisschen mit dem hiesigen Wirtschaftssystem beschäftigt. Insofern kann ich darin keine Verfassungsfeindlichkeit erkennen. Ich kenne aber auch nicht die komplette Argumentation der Behörde. Der Verfassungsschutzbericht liefert ja immer nur Ausschnitte.

Sie haben es angesprochen: In den Gewerkschaften, insbesondere in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit, wird von einem Klassengegensatz ausgegangen. Haben Sie Angst, dass die Beobachtung durch die Behörde auch auf Verdi und weitere Arbeiterorganisationen ausgreift?

Ich will nicht ausschließen, dass einzelne Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter auch in der Vergangenheit schon durch politisches Engagement insbesondere gegen rechts ins Visier des Verfassungsschutzes gekommen sind. Ich habe bislang aber keine Anzeichen dafür, dass unsere gewerkschaftliche Bildungsarbeit unter Beobachtung stünde.

Sie haben die Junge Freiheit erwähnt, eine Rechtsaußenpostille. Bedient sich der Verfassungsschutz der »Hufeisentheorie«, um Faschisten und Antifaschisten gleichermaßen zu Verfassungsfeinden zu erklären?

Ich formuliere das mit Sicherheit nicht so. Ich bin ein Anhänger der Pressefreiheit. Artikel 5 Grundgesetz ist da sehr klar und schützt eine sehr breite Meinungsbildung der Bevölkerung. So lese ich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom Mai 2005 zur Jungen Freiheit: Es schließt eine sehr weitgehende Darstellung und Positionierung ein. Mir fehlt die Nachvollziehbarkeit des Bundesamts für Verfassungsschutz, eine Tageszeitung wie die junge Welt zu beobachten. Es hat deutlich den Anschein, dass dies nicht vereinbar ist mit Artikel 5 des Grundgesetzes.

Die ökonomische Krise spitzt sich zu. Sollen kritische Stimmen mundtot gemacht werden?

Das Kommunikationsverhalten ändert sich. Es werden derzeit nicht kritische Stimmen mundtot gemacht, sondern es dürfen sich kritische, aber auch uninformierte Stimmen sehr breit in sozialen Netzwerken, in Blogs und anderen Publikationsmöglichkeiten äußern. Ich weiß nicht, was der Beweggrund ist, ausgerechnet die junge Welt zum Beobachtungsobjekt zu machen. Allerdings kann ich dem Verlag 8. Mai nur raten, diese Dauerbeobachtung gerichtlich überprüfen zu lassen. Wir haben mehrere Hinweise aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum: Auf die Junge Freiheit habe ich hingewiesen, die AfD hat erfolgreich beim Verwaltungsgericht Köln geklagt. Ich wüsste nicht, warum eine ausgesprochen linke Publikation wie die junge Welt das einfach hinnehmen sollte und die Mittel des Rechtsstaats, die ihr zur Verfügung stehen, nicht auch nutzt.

Die Gegenthese lautet: Von staatlicher Seite werden rechte Strukturen gepflegt. Der Verfassungsschutz spielte etwa beim NSU eine tragende Rolle. Drohen beim Beschreiten des Weges durch die rechtlichen Instanzen nicht willkürliche Urteile?

Ich bin nicht so pessimistisch und weit davon entfernt, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz unter einen rechten Pauschalverdacht zu stellen. Aber wir reden über eine Behörde, deren Präsident über lange Zeit Hans-Georg Maaßen war. Er hat sich auch in jüngerer Vergangenheit, etwa durch die Anregung der Einführung eines Gesinnungstests für öffentlich-rechtliche Journalisten, sehr weit rechts außen und meiner Meinung nach auch im Widerspruch zum Grundgesetz positioniert. Möglicherweise braucht es eine juristische Überprüfung, um das eine oder andere in der Behörde wieder richtigzustellen. Wir sind die Gewerkschaft nicht nur der Medien, sondern auch des öffentlichen Dienstes und der Justiz. Ich habe grundsätzlich Vertrauen in rechtsstaatliche Überprüfung. Und die bisherige Rechtsprechung ist sehr eindeutig.

Sie beobachten die Entwicklung der Presselandschaft seit Jahren sehr genau. Wie nehmen Sie die Monopolisierung in der Medienwelt wahr? Wieviel kritischen Journalismus wird es künftig noch geben?

Es gibt einen zunehmenden Medienwettbewerb, der oft auf Schnelligkeit statt auf Qualität setzt. Das hat mit der Digitalisierung, der Beschleunigung und der Nutzung der sozialen Medien auch durch etablierte Medien zu tun. Ich denke, das ist aber nicht das bestimmende und konstitutive Element. Wir erleben gerade eine Diskussion über den Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, bei der es Überlegungen gibt, Politmagazine einzuschränken, zumindest was das lineare Fernsehen angeht, um mehr auf digitale Kanäle zu setzen. Trotzdem finde ich eine ganze Reihe von Beiträgen kritischer Journalistinnen und Journalisten, Analysen und gut gemachter Dokumentationen vor. Wir haben erfreulicherweise ein breites Meinungsspektrum. Im Regionalzeitungsmarkt gibt es Konzentrationen, weil überregionale Berichterstattung mittlerweile häufig gebündelt stattfindet. Das ist ein Verlust an Meinungsvielfalt. Wir haben als Gesellschaft, denke ich, auch verlernt, andere Meinungen einfach mal stehen zu lassen und nicht einfach nur Schwarz und Weiß zu sehen. Ich glaube, dass sowohl die etablierten Medien – und ich vermute, dass sich die junge Welt, die ja über eine gewisse Zeitungstradition verfügt, dazu zählt – als auch Onlinemedien über Social-Media-Kanäle neue Diskussionsformen entwickeln sollten, um kritische Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft zu ermöglichen.

Was die Redaktion der jungen Welt so pessimistisch macht, ist, dass sich die Arbeit des Verfassungsschutzes auf den Pressemarkt auswirkt. Die Zeitung darf vielerorts nicht vertrieben werden, weil sie im Verfassungsschutzbericht genannt wird. Erklärtes Ziel der Behörde ist es, der jungen Welt wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Spielen also vielleicht doch nicht alle Medienhäuser nach denselben Regeln?

In der Denkweise des Verfassungsschutzes ist dieser Ansatz logisch. Wenn es darum geht, vermeintlich verfassungsfeindliche Umtriebe einzuschränken, gehört sicherlich auch dazu, eine Verbreitung zu vermeiden. Ich stelle aber grundsätzlich in Frage, ob eine Tageszeitung ein Beobachtungsobjekt sein kann. Ich kann nur wiederholen: Hier bietet sich die rechtliche Prüfung an – auch um den wirtschaftlichen Fortbestand von Verlag 8. Mai und junge Welt zu sichern. In der Logik des Verfassungsschutzes ist es natürlich so, dass Verbote von verfassungsfeindlichen Organisationen, wie zuletzt Neonaziorganisationen und Kameradschaften, dazu führen, dass diese keinen neuen Zulauf bekommen. Insofern ist der Schritt in der Logik des Verfassungsschutzes konsequent. Die grundsätzliche Frage ist, ob es mit Blick auf ein Presseerzeugnis richtig ist.

Und wie steht es mit der Logik des Gewerkschafters: Hat sich der Verfassungsschutz nicht bereits genug diskreditiert? Gehört die Behörde aufgelöst?

Weil ich eine Einschätzung für falsch halte, heißt es nicht, dass die Behörde insgesamt aufgelöst werden muss. Dass sie reformbedürftig ist und das politische Koordinatensystem nach der Ära Hans-Georg Maaßen einer dringenden Prüfung bedarf, das sehe ich durchaus.