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25.06.2021 19:30 Uhr

In wessen Interesse?

Weshalb die Tageszeitung junge Welt bei ihrem Klassenstandpunkt bleibt
Von Dietmar Koschmieder

Selbst unter Leserinnen und Lesern dieser Zeitung kann man gelegentlich noch die Auffassung finden, das Bundesamt für Verfassungschutz sei dazu da, die Verfassung zu schützen. Andere halten diese Institution für keine Behörde, sondern für eine rechtsradikale Einflussorganisation. Tatsache ist jedenfalls, dass sie nicht unter wirksamer staatlicher Kontrolle steht. Auch das belegt die Antwort der Bundesregierung vom 5. Mai auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke, weshalb die Tageszeitung junge Welt als einzige Tageszeitung regelmäßig im sogenannten Verfassungsschutzbericht erwähnt werde.

Marxismus kontra Staatswohl

So hatten die Abgeordneten schlicht nachgefragt, weshalb das Amt »Themenauswahl, Teilnehmer und Vortragende« der seit 1996 von der jW durchgeführten Rosa-Luxemburg-Konferenz dem »linksextremistischen Spektrum« zuordne. Für die Regierung antwortet Prof. Dr. Günter Krings rotzfrech, dass diese Frage aus »Gründen des Staatswohls« nicht beantwortet werde. Denn die junge Welt könne durch eine »solche Auskunft« Abwehrstrategien entwickeln, die die »Erkenntnisgewinnung des BfV erschweren« oder sogar unmöglich machen würde. Dies wäre dann ein »Nachteil für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland«. Krings Antwort geht sogar noch weiter: Auch »eine Auskunft nach Maßgabe der Geheimschutzordnung und damit einhergehende Einsichtnahme über die Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages« seien »aus Staatswohlgründen« nicht hinnehmbar. Kurzum: Mehr als 50 Oppositionsabgeordneten des Deutschen Bundestages wird eine schlichte Auskunft verweigert und gleichzeitig auch allen anderen Abgeordneten des Hauses mitgeteilt, dass sie in diesem schwerwiegenden Fall keinerlei Akteneinsicht bekommen. Dazu muss man wissen, dass es sich bei der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages um Räumlichkeiten handelt, in denen normalerweise Abgeordnete geheime oder streng geheime Dokumente einsehen dürfen. Im Fall der die »Interessen der Bundesrepublik Deutschland« berührenden Rosa-Luxemburg-Konferenz wird selbst dies pauschal verweigert. Proteste von Bundestagsabgeordneten als Reaktion auf diese Provokation sind nicht bekannt.

Meinung äußern und verbreiten

Eine Verfassungsschutzbehörde, die den Namen verdient hätte, würde dafür sorgen, dass Artikel fünf des Grundgesetzes nicht fortgesetzt durch die Bundesregierung verletzt wird. Da heißt es nämlich: »Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten.« Die junge Welt, die sie herausgebende Genossenschaft LPG junge Welt eG und der Verlag 8. Mai GmbH, in dem die Zeitung erscheint, wollen schlicht dieses Grundrecht wahrnehmen. Dabei werden sie aber absichtlich stark eingeschränkt: Die Bundesregierung will die Formulierung marxistischer Positionen nicht zulassen und auch nicht, dass eine Zeitung mit solchen Positionen ungehindert verbreitet wird. Aber auch Leserinnen und Leser der jungen Welt (und solche, die es werden könnten) werden in der Wahrnehmung ihrer Rechte aus Artikel fünf Grundgesetz behindert. Denn die Regierung will nicht zulassen, dass sie »sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert ... informieren«. Diese Behinderung beginnt nicht erst, wenn Handelsketten die junge Welt aus dem Angebot nehmen, weil sie im Verfassungschutzbericht gelistet ist.

Gesamtgesellschaftlich oder klassenbezogen?

Auf die Frage der Abgeordneten, ob der Bundesregierung bewusst sei, dass die Nennung von Verlag, Zeitung und Genossenschaft im Verfassungsschutzbericht zu »wettbewerbsrechtlichen Behinderungen und damit Einschränkungen der Gewerbefreiheit« führen könnten, erklärt der Berichterstatter im Auftrag der Bundesregierung unmissverständlich: Es sei ja gerade das »Ziel«, den »verfassungsfeindlichen Bestrebungen (...) den weiteren Nährboden zu entziehen. Insofern ist Verfassungsschutz auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.« So unverschämt kann nur sein, wer zwar von irgend jemandem geschützt, aber von den dafür vorgesehenen Institutionen nicht kontrolliert wird. Die junge Welt bleibt bei ihrem Klassenstandpunkt und fragt deshalb auch hier: Was ist mit »gesamtgesellschaftlicher Aufgabe« eigentlich gemeint, und vor allem: In wessen Auftrag und in wessen Interesse werden diese erfüllt?

Wer mithelfen will, den »Nährboden« der jungen Welt zu stärken, abonniert die junge Welt.

Weitere Infos zum Fall: jungewelt.de/pressefreiheit