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11.05.2021 19:30 Uhr

»jW soll Wasser abgegraben werden«

Regierung rechtfertigt Überwachung durch Verfassungsschutz. Ein Gespräch mit Amira Mohamed Ali
Interview: Stefan Huth
Keine Demokratie ohne eine Zeitung wie die junge Welt – die Bundesregierung sieht das anders

Ihre Fraktion hat eine kleine Anfrage zur Nennung der jW im jährlichen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz gestellt. Die Regierung rechtfertigt in ihrer Antwort die Überwachung durch den Inlandsgeheimdienst. Hat Sie das überrascht?

Nicht wirklich. Auch das ist ein Punkt, weshalb wir den Verfassungsschutz sowie alle Geheimdienste abschaffen wollen. Während der Verfassungsschutz nicht nur auf dem rechten Auge blind ist, sondern, wie der gesamte und bis heute nicht befriedigend aufgeklärte Themenkomplex NSU zeigt, es sogar Nähe zu rechtem Terrorismus gibt, werden erhebliche Mittel dafür aufgewendet, linke Aktivitäten zu erfassen – bis hin zur Beobachtung von Bundestagsabgeordneten und eben auch der jungen Welt. Es geht aus der Antwort der Bundesregierung hervor, dass die wettbewerbsrechtlichen Behinderungen, die die junge Welt aufgrund ihrer Nennung im Verfassungsschutzbericht erleidet, intendiert sind, um der jW das Wasser abzugraben.

In Sonntagsreden feiern Politiker der Regierungskoalition die in Deutschland grundgesetzlich verankerte Meinungs- und Pressefreiheit. Für nicht genehme journalistische Positionen wie die der marxistisch ausgerichteten jW soll sie aber nicht gelten. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?

Die Wahrung der Meinungs- und Pressefreiheit ist ein wichtiges Gut, das auch hierzulande bei weitem nicht so selbstverständlich ist, wie gerne getan wird. Bei der Rangliste zur Pressefreiheit von »Reporter ohne Grenzen« ist Deutschland aktuell um zwei Plätze nach hinten gefallen, auf Platz 13. Es ist nicht überraschend, dass eine Zeitung wie die jW, die die Regierungstätigkeit scharf von links kritisiert und entgegen dem neoliberalen Meinungsmainstream berichtet, nicht auf Gegenliebe dieser Regierung stößt. Das muss eine demokratische Gesellschaft allerdings nicht nur aushalten, sondern auch als inhärenten Bestandteil der pluralistischen Verfasstheit begreifen. Leider ist das immer weniger der Fall. Dabei ist im Grundgesetz nicht vorgeschrieben, welche Wirtschaftsform das Land zu haben hat.

Nach Einschätzung der Bundesregierung verletzt die Rede von einer Klassengesellschaft die »Garantie der Menschenwürde«. Auch Ihre Partei verwendet den Begriff Klasse in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl. Sehen Sie sich auch angegriffen?

Die Verpflichtung zur Wahrung der Menschenwürde ist zu Recht ganz oben im Grundgesetz verankert. Statt Scheingegensätze anhand von Begrifflichkeiten zu konstruieren, sollte die Bundesregierung alles dafür tun, dass alle Menschen unabhängig von Herkunft und finanziellen Möglichkeiten gleichermaßen alle Rechte genießen können. Das ist leider immer weniger der Fall.

In der Antwort werden nicht nur »linksextremistische«, sondern generell »linke« Positionen in den Bereich der Verfassungsfeindlichkeit gerückt. Die SPD als Koalitionspartnerin trägt Mitverantwortung für diese Reaktion auf Ihre kleine Anfrage. Ist es für Sie vorstellbar, mit einer solchen Partei auf Bundesebene ein Bündnis einzugehen?

Unbestritten hat die SPD auch in der Innenpolitik falsche Entscheidungen mitgetragen. Ich sehe aber nicht, dass durch sie linke Positionen pauschal abgewertet werden, und ich kann – bei aller Kritik an der Regierungstätigkeit der SPD – auch nicht erkennen, dass die SPD, die immerhin eine lange Tradition als Arbeiterpartei hat, linke Politik grundsätzlich in die Nähe der Verfassungsfeindlichkeit rückt. Ihre Parteivorsitzenden haben sich ja sogar für ein Bündnis mit Die Linke ausgesprochen. Allerdings hat die SPD ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem, weil sie sich in ihrer langen Regierungstätigkeit von vielen ihrer sozialpolitischen Positionen verabschiedet hat. Um so wichtiger ist es, dass Die Linke stark aus der Bundestagswahl hervorgeht. Ein Regierungsbündnis macht für mich nur Sinn, wenn es zu einem Politikwechsel mit einer sozialen Wende und einer konsequenten Friedenspolitik führt. Klar ist für den Fall der Fälle, dass Koalitionsverhandlungen auf Grundlage unseres gültigen Parteiprogramms geführt werden.

Was kann die Partei Die Linke tun, um politischen Druck gegen diese Form der Meinungszensur aufzubauen?

Indem wir immer wieder den Finger in die Wunde legen, wie es ja auch mit dieser Anfrage geschehen ist. Wir werden nicht müde werden, uns für Medienvielfalt stark zu machen – außerparlamentarisch und im Bundestag.

Amira Mohamed Ali ist Kofraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Deutschen Bundestag