Die Buchmesse als Volksfest
Von Jörn Boewe
Die Buchmesse von Havanna ist ein Ort des intellektuellen Austausches. Und genau wie im verflossenen osteuropäischen Sozialismus bekommt jede intellektuelle Debatte auf dem Gebiet von Kultur und Kunst sofort einen politischen Charakter von einer Intensität, wie es in westlichen bürgerlichen Demokratien unvorstellbar ist.
In den Präsentationen der Sala Nicolás Guillén werden Probleme diskutiert, die der jüngste Schwenk der revolutionären Führung auf eine kontrollierte marktwirtschaftliche Öffnung mit sich bringt, gleich nebenan, in der Sala Nuestra América debattiert man über Kubas Platz in der fortschreitenden Globalisierung, über sein Verhältnis zu Lateinamerika und seinen unmittelbaren Nachbarn, den Karibikstaaten.
Darüberhinaus ist die Buchmesse aber auch ein riesiges Volksfest, ein Rummel mit Ponyreiten und Riesenrad. "50 Prozent der Leute kommen überhaupt nicht wegen der Bücher her", erklärt mir eine Besucherin. Für die bibliophile Hälfte ist die Feria vor allem eine grandiose Möglichkeit, sich mit Schreibutensilien, Gebrauchsliteratur, Kochzeitschriften und Kreuzworträtseln einzudecken. Es wird einigen westeuropäischen Freunden der kubanischen Revolution vielleicht nicht gefallen, aber Sudokus gehen hier deutlich besser weg als revolutionäre Flugschriften. Aber, Hand aufs Herz: Alles andere wäre doch auch etwas verstörend, oder nicht?
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