Fanverein und Profiklub
Von Dieter Reinisch, Salzburg
Die Freude ist groß in Salzburg: Der SV Austria Salzburg ist zurück im Profifußball. Nicht allein der Meistertitel in der Regionalliga West bescherte den Aufstieg in Österreichs zweithöchste Liga, denn diesen hatte der 1933 gegründete Verein auch bereits eine Saison zuvor errungen. Diesmal stellten die Verantwortlichen der österreichischen Bundesliga in Wien die nötige Lizenz für die Teilnahme am Profigeschäft aus.
Keine Selbstverständlichkeit: An der Infrastruktur mangelt es, denn die Austria braucht dringend eine adäquate Spielstätte. Die Heimstätte im Stadtteil Maxglan nahe dem Flughafen ist mit einer Kapazität von weniger als 2.000 Sitzplätzen viel zu klein und entspricht infrastrukturell nicht den Ansprüchen des Vereins, der bis zur Übernahme des Getränkeherstellers Red Bull 2005 in der obersten Spielklasse spielte. 1994 zogen die Violetten sogar ins Finale des UEFA-Cups ein, das gegen Inter Mailand nur knapp verloren ging. Auf dem Weg dorthin wurden Eintracht Frankfurt und der Karlsruher SC ausgeschaltet.
Doch durch Misswirtschaft, schwindelige Versprechen von Kärntner Halbleiterunternehmern und ominösen Scheichs war der Verein Anfang der 2000er Jahre bankrott. Das neue Stadion außerhalb der Stadtgrenze konnte auch keine Abhilfe leisten. Ein Einzug in den UEFA-Cup und Duelle gegen Udinese Calcio und AC Parma waren die letzten Höhepunkte eines Teams, in dem Thomas Häßler einige seiner letzten Profispiele bestritt.
2005 stieg der Getränkemilliardär Dietrich Mateschitz ein. Nach anfänglich sanfter Freude trat bald ein, was einige befürchtet hatten: Der Verein wurde umbenannt, die Farben geändert und die Kurve aus dem Stadion gedrängt. Am 13. September 2005 verließ die violette Kurve das Stadion in Klessheim. Wenig später wurde der Verein, dessen Namensrechte nun im Besitz von Moritz Grobovschek vom Fanclub »Tough Guys Salzburg« (TGS 92) lagen, wieder gegründet.
In der darauffolgenden Saison stieg der Verein in der letzten Spielklasse Österreichs wieder in das Fußballgeschäft ein: 2. Klasse Nord statt UEFA-Cup. Aus dem Pleite- wurde ein Fanverein. Den Vorstand bildeten auch Mitglieder der Fanclubs TGS 92 und Union Ultrà (UU 99), später Fraternité Violet (FV 07) und weitere. Neben Grobovschek waren es Namen wie Thomas Karl und Christian Neff, die die Anfangsjahre prägten.
Der dreifache österreichische Fußballmeister der 1990er Jahre wurde zu einem Fanverein im besten Sinne: Akteure aus dem Fanlager übernahmen Aufgaben in allen Bereichen des Vereins, nicht nur abseits des Platzes. Anschauliches Beispiel dafür ist Haris Borozni: Nicht nur die Brüder des kroatischstämmigen Salzburgers trugen nach 2005 die violetten Farben, auch Haris selbst. Später übernahm er nahezu jeden Posten, der im Verein frei wurde, vom Ordner bis zum Jugendtrainer. Heute, zwei Jahrzehnte später, ist er dem Verein als Betreuer des Special-Needs-Teams verbunden.
Der Weg nach oben ging rasch, aber nicht ohne Probleme: Jedes Jahr wurde der Meistertitel eingefahren, nach ein paar Jahren kam es zum ersten Stadtderby gegen den Salzburger AK in der Landesliga. Tätliche Auseinandersetzungen der Fanlager führten zum Rücktritt des Vorstands. Neue Gesichter übernahmen, sie kamen aber nicht mehr aus dem Fanlager und die Entscheidungsträger entfernten sich zunehmend von jenem.
Dies war an den Mitgliederversammlungen zu erkennen: War der Saal der Trumer Brauerei bei der ersten Versammlung noch prall gefüllt, kamen auch nach Lehen, an den Ort des historischen Stadions der Austria, mehrere Hundert zu den Sitzungen. Im neuen Vereinslokal »Violetter« waren es in den 2010er Jahren dann nur noch wenige. Auch immer weniger Aktive aus der Szene waren unter den Vereinsmitgliedern.
Eine Situation, die durch den sportlichen Erfolg überdeckt wurde – bis zur Saison 2015/16. Die Austria war in den Profifußball aufgestiegen, die Freude war nur kurz: Durch Missmanagement, Unerfahrenheit und einen windigen Mobilfunkanbieter aus Bayern ging der Verein bankrott. Der Konkurs und das endgültige Aus konnten nur durch hohen finanziellen Aufwand, vor allem, aber nicht nur, aus der aktiven Fanszene abgewendet werden. Der Weg ging zurück über die Regionalliga in die vierte Spielklasse, wo gegen den Abstieg gespielt wurde.
Neuerlich war es die Fanszene, die die Austria nicht nur rettete, sondern abermals aufbaute. Wieder mehr Fanklubmitglieder kamen zu den Mitgliederversammlungen: Selbstkritisch wurde angemerkt, dass man »den Verein aus der Hand gegeben hatte«. Die wieder engere Verankerung als Fanverein verkörpert wohl kaum einer so wie David Rettenbacher. Der enge Freund des Vorsängers Salva, Alexander Salvatore, tauschte die Kurve mit dem Vorstandsvorsitz.
Zehn Jahre dauerte nun der zweite Weg zurück in den Profifußball. Aus den Fehlern von 2015 will der Verein gelernt haben. Mit geringem Budget von rund 1,5 Millionen Euro und der Meistermannschaft der Regionalligasaison plus »drei oder vier erfahrenen Profis« wollte man in der zweiten Liga bestehen.
Denn für viele ist klar: Sportlich ist die Saison zweitrangig, denn ob es drei Absteiger geben wird, wie im Ligamodus vorgesehen, ist fraglich: Aus den Regionalligen wollen oft gar nicht drei Kandidaten in die teure zweite Liga aufsteigen. Jene, die wollen, bekommen oft aufgrund mangelnder Infrastruktur oder budgetärer Lücken keine Lizenz.
Ferner weiß die Salzburger Fanszene: Nicht alle Vereine werden die Saison finanziell überleben. »Austria Klagenfurt, Stripfing und Kapfenberg werden sicher krachen«, meint ein Fan am Rande des Erstrundenspiels in Maxglan gegen den Bundesliga-Absteiger aus Kärnten zu jW: »Wir müssen die Saison nur finanziell überleben, dann bleiben wir oben«, pflichtet ihm ein weiterer bei.
Die zentrale Frage ist jetzt: Wie agiert ein Fanverein im Profifußball? Die Verantwortlichen bemühen sich, gerade diese Identität herauszustreichen: Das neue Auswärtstrikot wurde von einem Tattookünstler designt und zeigt Motive der Austria, die Fans sich stechen ließen. Die Idee findet Anklang: Binnen weniger Tage wurden 700 Stück abgesetzt – mehr als erwartet.
Kritik gibt es aber auch: Der neue Sportdirektor, Roland Kirchler, der selbst Anfang der 2000er Jahre das violette Trikot in der Bundesliga getragen hatte, setzte entgegen den mündlichen Zusagen des Vorstands mehrere Spieler vor die Tür und krempelte den Kader völlig um. Ausgemustert wurden auch die drei Offensivkräfte Milos Savic, Johannes Zottl und Aaron Volkert.
Das löste Unmut in der Mannschaft aus. Kapitän René Zia berief laut Medienberichten eine Aussprache ein. Präsident Claus Salzmann, der aufgrund seiner professionellen Arbeit in den vergangenen Jahren nicht nur wieder Ruhe in den Verein brachte, sondern diesen nach der Pleite 2015 auch zum 80. Geburtstag schuldenfrei machte, erklärte daraufhin der Kronenzeitung, der Vorstand habe Fehler gemacht und kurzsichtig gehandelt. Dies müsse verstanden werden, da er großteils doch aus Fans bestehe: »Das Problem ist, dass ich natürlich lauter Fans im Vorstand sitzen habe, die dann vielleicht auch aus Fansicht handeln«, wird Salzmann zitiert.
Eine von mehreren Aussagen von Salzmann, die vielen nicht gefiel, denn sie spiegelt wohl den Wunsch einiger Entscheidungsträger wider, auf dem Weg zum sportlichen und finanziellen Erfolg den Status als Fanverein abermals in Frage zu stellen.
Wie der Austria dieser Spagat zwischen Fanverein und Proficlub in der kommenden Saison gelingen wird, wird die entscheidende Frage über die Zukunft des Vereins sein – vor allem, wenn es zu den erwartbaren längeren sportlichen Durststrecken kommen wird.
Das »Modell Austria Salzburg« dient ähnlichen Projekten im Ausland gewissermaßen als Blaupause – besonders in der Ära des fußballerischen Hyperkapitalismus. Ende Juli wurde bekannt, dass anstelle des italienischen Traditionsvereins Brescia Calcio, der zuvor Konkurs anmelden und den Spielbetrieb einstellen musste, der Drittligist Feralpisalò nach Brescia transferiert wurde. Er werde unter dem Namen Union Brescia im Stadion von Brescia ab dieser Saison spielen. Dies ließen sich die Brescia-Fans nicht gefallen: Unter dem Namen Calcio Brescia 1911 ASD belebten sie ihren Verein wieder und planen, wie Austria Salzburg 2005 in Österreich, in Italiens letzter Spielklasse neu zu starten.
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