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Aus: Fankultur, Beilage der jW vom 13.08.2025
Beilage Fankultur

Jubilare und Ostseekicker

Hansa Rostock feiert sein 60jähriges Bestehen mit viel Tamtam, mit Film und Ausstellung. Was fehlt: Kritik und Selbstkritik – etwa ob einzelner Szenen hanseatischer Fankultur
Von Nils Breitenbach
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»Plattenbau«-Choreographie aus dem Hansa-Fanblock mit späterem Motiv des »Sonnenblumenhauses« in Lichtenhagen (Rostock, 25.11.2023)

Im kommenden Winter stehen bei den ostdeutschen Fußballklubs wieder einige runde Jubiläen an. Als der Deutsche Turn- und Sportbund der DDR in der Saison 1965/1966 die Gründung von Fußballklubs beschloss, war Hansa Rostock am 28. Dezember 1965 nach den Magdeburgern die zweite Mannschaft, die aus dem örtlichen Sportclub Empor herausgelöst und fortan eigenständig wurde.

Um das 60. Jubiläum der Gründung des FC Hansa Rostock (FCH) zu feiern, hat der Verein in diesem Jahr groß aufgetischt. Neben den Hansa-Filmnächten, für die der Ostseeklub einen Film zu seiner Geschichte produzieren ließ, gibt es in der Rostocker Kunsthalle eine sehenswerte Ausstellung. Einzig als Kritik bleibt, was interessierte Besucher und sachkundige Vereinschronisten an mancher Stelle vermissen bzw. vermissen dürften.

Aber beginnen wir die Sache von vorn, denn schon als SC Empor begann die Oberligamannschaft die Menschen der Küste zu verzaubern. Bereits im Sommer 1955 erreichte die Elf das Pokalfinale und wiederholte das bis zum Ende der DDR noch viermal, ohne je mit der Trophäe vom Platz zu gehen. Und genauso lief es in der Meisterschaft, deren Zweiter die Rostocker bis zum Ende der 1960er Jahre fünfmal wurden. Es sind die silbernen Jahre der Vereinsgeschichte. Zumindest können sich Spieler und Klubverantwortliche mit Siegen über Inter Mailand und den AC Florenz rühmen.

In der ersten Passage zur Geschichte des Ostseeklubs listen Ausstellung und Film aber noch eine weitere Besonderheit auf. Im Rahmen des Nationalen Aufbauwerks schufen nämlich viele tausend Freiwillige das Ostseestadion. Sie trugen den Schutt des Weltkrieges und Erde dort zu einem imposanten Rund auf, wo die Nazis hatten aufmarschieren lassen. Die Nazitribünen verschwanden. Einzig die aus Granit gefertigten Podeste an der Kopernikusstraße, in denen die Eintrittskassen unterkamen, zeugen auch nach dem Neubau des Stadions heute noch von der Vergangenheit.

In den 1970er und 1980er Jahren folgte ein Auf und Ab. Ganz oben klopften die Rostocker erst nach der »Wende« 1989 wieder an. Während die Konkurrenz im frisch eingeführten Kapitalismus überfordert war, blieb die Hansa-Mannschaft zusammen. Der aus dem Westen kommende Trainer Uwe Reinders verlieh den Spielern um Kapitän Juri Schlünz einen ganz neuen Schliff an Trainingsmethodik, und auf den Trikots stand jetzt »Uhu«, der Alleskleber aus dem Schwarzwald. Hansa sicherte sich 1991 die letzten Titel der DDR in Liga und Pokal. Als viel wichtiger aber galt, dass sich die Nordostdeutschen auf diesem Weg für die erste Saison der gesamtdeutschen Bundesliga qualifizierten.

Das Oberhaus mit 20 Teams wirbelten die Rostocker sodann gehörig durcheinander. Fünf Spieltage behaupteten die Kicker die Tabellenführung, schlugen die Bayern aus München und die Borussia aus Dortmund. Schließlich gelang sogar ein 1:0 im Landesmeistercup gegen den FC Barcelona. Doch die Euphorie währte nicht lange. Am Ende stand – auch wenn es knapp war – der Abstieg in die Zweitklassigkeit.

Drei Jahre später war es wieder ein Westdeutscher, der für ein Wunder sorgte. Frank Pagelsdorf formte um Stefan Beinlich, Steffen Baumgart und Timo Lange eine schlagkräftige Truppe und gab nach dem Aufstieg 1995 nichts geringeres als den UEFA-Pokal als Ziel aus. Es gehört zum Märchen dieser Saison, dass genau das nur um Haaresbreite verfehlt wurde. Und es gehört dazu, dass Hansa mit einem Spiel im Berliner Olympiastadion dem DFB ein Schnippchen schlug. Nach dem Heimspiel gegen den FC St. Pauli bekam Hansa eine Platzsperre, und fast 60.000 Fans pilgerten zum Spiel gegen Eintracht Frankfurt in die Hauptstadt. Dass die Platzsperre allerdings auf Krawalle von extrem rechten Hooligans zurückzuführen war, die den damals linken St.-Pauli-Fans ans Leder wollten, übergeht die Ausstellung.

In der gleichen Weise wird der Fanszene in der Schau ein eigener Raum gewidmet. Völlig kritiklos können sich diejenigen inszenieren, deretwegen der Verein durch zahlreiche Ausschreitungen in den vergangenen 20 Jahren Geldstrafen in Millionenhöhe zahlen musste. Doch Selbstkritik stünde dem rund 30.000 Mitglieder starken FCH gut zu Gesicht. Denn auch wenn sich der Verein in die Satzung geschrieben hat, streng unpolitisch sein zu wollen, kann man angesichts zahlreicher Vorfälle kaum an diese Erzählung glauben. Sexistische Spruchbänder und die Regel, dass Frauen auf der Ultra- bzw. Südtribüne in den ersten drei Reihen unerwünscht sind, oder Aufkleber mit offen faschistischem Inhalt samt Symbolik aus dem »Block 9a« zwischen der Nord- und Osttribüne sprechen eine klare Sprache. Hier muss der Verein endlich aktiv werden. Andernfalls bleibt es bei »Heil Hansa« und Co. für seinen Lieblingsrivalen von St. Pauli ein leichtes, eben jenes Bild des rechten Rostockers zu zeichnen.

Für Irritationen sorgte da lediglich ein Aufkleber, der im Frühjahr dieses Jahres eine antikoloniale Parole aufgriff. »From the River to the Sea – Scheiß St. Pauli« zeigte das Gebiet zwischen Elbe und Ostseestrand in den Farben von Hansa. Vielleicht war es kalkulierte Provokation, wohl wissend, dass sich der FC St. Pauli im Verlaufe des Gazafeldzugs unzweifelhaft auf die Seite des israelischen Regimes gestellt hat. Vielleicht zeigt es aber auch, dass bei Hansa nicht alles so eindeutig rechts ist, wie es oberflächlich scheint. Außerdem bemüht sich seit Dezember 2024 die karitative Hansa-Stiftung um soziale Fragen in Mecklenburg-Vorpommern. Dort wird Kindern aus armen Haushalten ein Mittagessen serviert, und es werden zur Einschulung Ranzen verteilt, wo sonst nur die Plastetüte bliebe. Es wird Geld gesammelt für Wohnungs- und Obdachlose bzw. Tierheime.

Kein anderer Verein der DDR hat so lange in der Bundesliga gespielt wie Hansa. Das Bild des einstigen Hoffnungsträgers des Ostens ist allerdings vergraut und immer wieder durch die eigenen Fans beschädigt. Dennoch erlebt der Verein seit Jahren einen Boom an Mitgliedern, Merchandise-Erlösen und Ticketverkäufen. Seit Juli ist Ronald Maul der neue Vorstandsvorsitzende beim FCH. Er sollte den Schneid haben, sich reaktionären Strömungen entgegenzustellen, um dem Bild eines professionellen Fußballvereins gerecht zu werden. Denn Mecklenburg-Vorpommern braucht einen Klub, der Verantwortung übernimmt.

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