Hitze und Kühlung
Von Felix Bartels
Fan sein heißt einen an der Waffel haben. Mit Vorsatz oder unfreiwillig. Das lateinische »fanaticus« bezeichnet einen Dude, der von einer Gottheit in Raserei versetzt ist. Das englische Universallehnwort »Fan« leitet sich da her, das italienische »Tifosi« salopp von Typhus. Zum Setup des Fandoms gehört exzessive Subjektivität. Übersteigerte Hingabe an ein Objekt des Begehrens, Vergöttlichung eines Vereins oder eines Athleten, dem man sich aus diesem oder jenem Grund nahefühlt. Es geht um projektive Selbstaufwertung am Gewinner, das Gefühl, Teil von etwas größerem zu sein. Oder um Sympathie, hingebungsvolle Liebe für den Underdog beziehungsweise die kleine Vereinsklitsche vor der Haustür. Konkreter lassen sich hier vier Impulse unterscheiden: Tradition, Distinktion, Identifikation, Projektion.
Der Traditionsfan begründet seine Anhängerschaft mit geographischer Nähe. Der Verein oder der Athlet kommt aus der Gegend, was nicht zwingend mit Nationalismus einhergehen muss, in den meisten Fällen bleibt es ideologisch indifferent. Herkunft ist Zufall, doch Fandom kann ohnehin nicht rational begründet werden. Weniger verfänglich als Polarität auf nationaler nimmt sich Rivalität auf lokaler Ebene aus, die Feindschaft zwischen Schalke und Dortmund etwa wäre am besten mit Freuds Figur des Narzissmus der kleinen Differenzen zu beschreiben. Gerade wenn die Unterschiede so gering sind, muss man sie besonders herausstellen. Das bleibt zumeist harmlos, es sei denn, Boca Juniors trifft auf River Plate.
Distinktion orientiert sich am Herausragenden, im Fandom übertragen auf einen anderen, dem man das Großsein überlässt und an dem man sich hochzieht. Der Underdog dagegen taugt nicht zum Angehimmeltwerden, bei ihm kann man andocken, sich ihm nahefühlen, sich in ihm wiedererkennen. Distinktion, kann man sagen, sucht das Göttliche im Menschlichen, Identifikation das Menschliche im Göttlichen.
Projektion lädt das Sportgeschehen mit politischer Bedeutung auf. Das resistente Barça gegen den Franco-Klub Real, die jüdische Geschichte des FC Bayern, der SC Freiburg als Liebling links-grüner Liberaler, das offene Bespielen links-autonomer Ressentiments im Marketing bei St. Pauli oder Tebe, das subtile Bespielen von Blood-and-soil-Stimmung bei Dynamo Dresden oder Hansa Rostock, der Hass gegen Mäzene und Investoren, das Total-kacke-Finden des Platzhirschs FC Bayern. Alles mehr oder weniger Versuche, zufallsbedingte Sympathie zu rationalisieren, ihr eine objektive oder moralische Grundlage zu geben. Oder aber vorsätzlich transaktionale Beziehung in weihevolle Bedeutung gekleidet.
Die Einflüsse überlagern sich zumeist. Wer etwa in Rummelsburg wohnt, kann in die Fischerstraße spazieren. Man trifft dort seine Leute aus dem Kaskelkiez, den Alt-Ossi, der hier schon zur Schule gegangen ist, und den Gentrifizierer, den man in den letzten Jahren auch irgendwie liebgewonnen hat. Das Stadion ohne Tribüne, die Soljanka lauwarm, und gegen Lokalrivalen 47 behauptet Underdog Sparta sich tapfer in der NOFV-Nord. Die Alten erinnern Stammtischgespräche mit Widerstandskämpfern, das berühmteste Mitglied des Arbeitervereins: Werner Seelenbinder. Kopfschüttelnd notiert man, dass die Junioren mittlerweile »Auuu!« rufen. Sparta, heißt es erhobenen Zeigefingers, komme nicht von Sparta, sondern von Spartakus, dem kommunistischen Bund in den letzten Tagen des Kaiserreichs. Politische Bedeutung, Lokalität, Identifikation, alles zusammengepresst auf einem kleinen Sportplatz neben einem Recyclinghof.
Das limbische System des Fans überhitzt permanent. Für etwas Kühlung sorgen sauber daran entlang verlegte Röhren der Ironie. Die auffällige präsente ironische Selbstinszenierung von Fanszenen scheint objektiv diese Funktion zu erfüllen. Sie ermöglicht, übertriebene Anhängerschaft zu zelebrieren und dennoch, gerade nämlich durch spielerische Inszenierung von Besessenheit, eine Distanz zur eigenen Besessenheit herzustellen. Auch neben dem Platz braucht das Spielbein ein Standbein.
Eine andere Art Kühlung macht das detailwütige Nerdtum aus. Es repräsentiert ein Fandom, das nicht in der Liebe zu bestimmten Athleten besteht, sondern zur Sportart selbst. Im Vordergrund steht die intellektuelle Beschäftigung mit Geschichte, Methodik, wissenschaftlichen Grundlagen des Sports. Entsprechende Subszenen haben sich in den letzten Jahren herausgebildet, beschleunigt durch den öffentlichen Raum des WWW. 2010 etwa hob die Webseite spielverlagerung.de über Nacht das Niveau, auf dem in Deutschland über Fußball geredet wird. Taktische Analyse und Trainingsmethodik statt Embleme und Mentalitätsblabla. Und während man diesen Sommer in der ARD drei Wochen lang das Ullrich-Trauma im »Wir sind Lipo« ertränkte, befachsimpelt der Podcast »Scyence« das Radsportgeschehen. Renntaktik, Wattzahlen, Fatmax und Aerodynamik sind für die einen Rausschmeißer, für andere wird der Sport überhaupt erst ab da interessant.
Jede Sportart schafft Raum, Subjektivität und Objektivität zugleich auszuleben, und jeder Fan bestimmt, bewusst oder unbewusst, die Anteile beider. Zugleich scheinen die Fankulturen von ihren Sportarten geprägt. Im Crucible Theatre kann man ein Kreidestück fallen hören, wenn Ronnie O’Sullivan zum letzten Stoß des Maximum Break ansetzt. Das Publikum ist fachlich gehoben, doch jeder bleibt für sich. Das Ally Pally dagegen wird in ein Bierzelt verwandelt. Wenn Luke Littler auf dem Weg zum Nine Darter ist, wird die Kulisse nicht stiller, man begleitet den Spieler mit Rufen im Rhythmus seiner Würfe. Scheitert er knapp, beim achten oder neunten Wurf, buht das Publikum ihn aus. Ein Beispiel für inszenierte Ironie, in der der Spaß an der Selbstverhorstung einen Moment lang das Fandom überlagert. Reflexion zudem einer Sportart, in der die Topathleten fast durch die Bank Bierbäuche haben.
Seltsamerweise ist Fußball, als unstrittig beliebteste Sportart des Planeten, auch diejenige mit der aggressivsten Fankultur. Sie bringt das Schönste und Hässlichste im Menschen hervor. Anerkennung für fußballerische Leistung als solche gibt es so gut wie nicht. Die gegnerische Mannschaft hat eigentlich nie gut gespielt, stets unverdient gewonnen und vom Schiedsrichter profitiert. Andererseits lebt der Fußball von emphatischer Subjektivität. Die Sitzplatzzuweisung bei Arsenal hat lange Zeit frenetische Stimmung verhindert, man scherzte über die »Library of Highbury«, offenbar gibt es ohne Stehplätze keine echte Begeisterung. Niemand will Familien mit Kinderwagen in Ultra-Kurven, die Salonfähigkeit von Hass und Abwertung ist eigentlich bloß mit Ironie zu ertragen. Sätze wie »Wenn er den pfeift, muss er 20 Elfer im Spiel geben« sind derart Klischee geworden, dass sie im Ernst eigentlich nicht mehr auszusprechen sind. Auch das ein Kennzeichen der Ironie, dass man nie genau weiß, ob sie vorliegt oder nicht. Die Fans von Halle 96 hatten sich angewöhnt, den Schlachtruf der Faschoklubs »Wir haben euch was mitgebracht: Hass, Hass, Hass« mit »Abitur, Abitur, Abitur« zu beantworten. Selbstverhorstung und befugte Abwertung in einem.
Auf der anderen Seite des Spektrums bewegt sich die Kultur im Radsport. Hier gibt es keine Feindschaft zwischen Fangruppen, keine Gewalt, keine Schmähungen. Man kampiert an der Strecke, bemalt die Straßen, grillt gemeinsam, verständigt sich in Kauderwelsch, ein modernes Babel. Jeder Fahrer, der vorbeirauscht, wird angefeuert, auch wenn er den anderen, den man eigentlich siegen sehen will, gerade abgehängt hat. Bei der Tour de France stehen jedes Jahr zwölf Millionen Menschen an der Strecke, die keinen Hass zu kennen scheinen. Und eben darum fehlt in der Fankultur des Radsports auch jede Ironie, sie hätte keine Funktion im Zusammenhang des Gruppenverhaltens. Voraussetzung von Ironie mithin ist ein doppelter Boden, der erst durch eine ambivalente Beziehung zum eigenen Treiben gegeben wäre. So erreicht die alles einschließende Begeisterung im Radsport einen Grad der Beklopptheit, der woanders kaum möglich scheint. Kenntlich nicht zuletzt an jenen Irren, die neben den Fahrern herlaufen und regelmäßig Unfälle verursachen. Radsport ist der Ort, wo der Nacktflitzer Normalität sein kann, auch wenn er hier am Ende doch seine Kleidung meist anbehält.
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