Finale und Romanze
Von Stephie Moldenhauer
Als Konfliktsoziologin und Fußballforscherin wird es schon fast zur Pflicht, jedwedes Fußballereignis hinsichtlich bestehender Konfliktlinien und Eskalationsdynamiken wissenschaftlich einzuordnen. Aus fanpolitischer Sicht sieht es meist nicht anders aus. Fußball ist ein konfliktbehaftetes Feld. Viele der Konflikte haben eine lange Geschichte, sind eingebrannt im fankulturellen Selbst und sind oft so vehement und bestimmend, dass man sich immer wieder fragt, warum man sich das als Fußballfan überhaupt noch antut. In meinen wissenschaftlichen Untersuchungen stelle ich diese Frage aus theoretischer und empirischer Perspektive. Als Fan des DSC Arminia Bielefeld begleitet mich die Frage auch persönlich seit Jahrzehnten. Warum nehmen Fußballfans Spieltag um Spieltag, Saison um Saison, die Strapazen auf sich und reiben sich immer wieder in fankulturellen Kämpfen auf?
Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Liebe, Freundschaft, Solidarität. Leider treten genau diese Werte immer wieder in den Hintergrund. Einerseits, weil Konflikte dann so gravierend sind, dass ihre Bearbeitung nicht aufgeschoben werden kann. Andererseits aber, so meine These, weil wir, wie in anderen Beziehungen auch, gerne mal vergessen, warum wir uns eigentlich zu Beginn so hart in den Fußball verknallt haben. Vielleicht wird es Zeit, sich endlich wieder darüber bewusst zu werden, was Fußball für uns bedeutet – auch über die aktiven Fanszenen hinaus.
Besonders deutlich kann man das an der vergangenen Saison des DSC Arminia Bielefeld ablesen, die mit dem unfassbaren Einzug in das DFB-Pokalfinale den bisherigen Höhepunkt der Vereinsgeschichte bedeutete. Auch als Fußballromantikerin ist es nicht übertrieben, zu sagen, dass die Fußballwelt Zeugin wurde, wie sich eine komplette Fangemeinschaft neu in ihren Verein verlieben durfte.
Das fing schon mit dem gewonnenen Halbfinale an. Es wird wohl vielen Arminia-Fans gegangen sein wie mir: Selten hatte man so viele Nachrichten auf dem Handy wie am 1. April 2025. Von nahestehenden Menschen, von Fans anderer Vereine oder von Menschen, die man seit Jahren nicht gesprochen hatte. Und auch in den sozialen Medien drückten viele Nicht-Arminia-Fans ihre Freude aus und/oder posteten Glückwünsche. Teils lag dies bestimmt auch daran, dass Sensationen im Fußball eher eine Seltenheit geworden sind. Aber auch etwas anderes wurde hier sichtbar: Es scheint eine Verbundenheit und ein Verständnis unter Fußballfans zu geben, eine Art kollektive, fanspezifische Emotion, die uns über Vereinsgrenzen hinweg verbindet. Menschen gehen zum Fußball, weil sie dort positive Emotionen und Erlebnisse nicht nur bei sich selbst steigern, sondern diese mit anderen teilen. Und genau das ist in aktuellen Zeiten vielleicht wichtiger als zuvor. Menschen verspüren den dringlichen Wunsch nach der »guten Zeit«.
Fußball ist für alle Fans dann eben auch mehr als nur das Spiel. Fußball ist ein sozialer Treffpunkt. Das ist, was alle Fußballfans miteinander verbindet und rein Zuschauende wiederum anlockt. Egal, ob man Teil einer Szene ist, Mitglied eines Fanklubs oder mit Freundinnen, Freunden und Familie die Wochenenden im Stadion verbringt. Unterschiede finden sich eher in den spezifischen Aktivitäten, wie diese »gute Zeit«, der soziale Treffpunkt, dann genau ausgestaltet und umgesetzt wird.
Und genau die zuvor genannten Aspekte – Liebe, Freundschaft und Solidarität – waren am 24. Mai 2025 in Berlin zu spüren. Auch für mich. Auf dem Weg zum Stadion wurde deutlich, wie sehr es einen gemeinsamen Fokus gibt, wie konzentriert man auf einen bestimmten Punkt zusteuert, zeitlich wie räumlich – und wie ausgelassen in der Anspannung gefeiert werden kann. Fußball ist emotional komplex – man darf so vieles gleichzeitig fühlen. Ein weiterer Punkt: Emotionalität ist im Fußball so möglich wie sonst nirgends – für alle.
Zur Einlasssituation am Olympiastadion wurde bereits vieles gesagt, und es fehlen weiterhin noch zentrale Antworten. Auch ich bin hier an meine Grenze gekommen, körperlich und emotional. Und doch waren sie deutlich zu spüren, die solidarischen Momente, die unsere Liebe zum Fußball eben auch prägen. Besonders beeindruckt hat mich, wie selbstverständlich ältere Menschen und Menschen mit Beeinträchtigung vorgelassen wurden, weil allen Beteiligten klar war, dass die Situation für sie anstrengender bis gefährlicher war. Auch Kindern wurde im Gedränge immer wieder Raum gegeben, Getränke wurden geteilt, und alle schienen irgendwie bemüht, die Stimmung nicht zu sehr kippen zu lassen.
Die Szenen nach dem Spiel waren dann auch eine Art Zusammenfassung dessen, was den Fußball so liebenswert macht: Bei aller Enttäuschung und allem noch bestehenden Frust wurde die Mannschaft nicht einfach nur gefeiert, sondern es war vielleicht die emotionalste Ansprache des Vorsängers, die ich jemals gehört habe – und er vielleicht auch. Fast schon liebevoll, zärtlich, in jedem Fall solidarisch und in tiefer Verbundenheit. Die Fans waren so still, dass wirklich alle auf den »Arminia-Rängen« jedes einzelne Wort gehört und gefühlt haben dürften.
Nachvollziehbarerweise wollten viele – so auch ich – nach dem Spiel nicht mehr feiern, sondern in ihre Unterkünfte, sofern sie in Berlin übernachteten. So ist es ein glücklicher Umstand gewesen, dass eine Zeitlang die Straßenbahnen ausgefallen sind. Wir »mussten« also doch noch mal alle im Biergarten zusammenkommen. Das war so wichtig. Und dann dieser eine Moment: Ich stehe in einem überfüllten Biergarten. Nach einem verlorenen Pokalfinalfinale. Schaue mich um, sehe all meine wundervollen und wichtigen Menschen vom Block um mich herum. Die im Vorfeld schon alles dafür getan haben, dass ich überhaupt zum Pokalfinale fahren konnte. Und mir wird klar, Fankultur bedeutet vor allem eins: Liebe, Freundschaft und Solidarität.
Ich hätte diesen Artikel mit denselben Situationen auch ganz anders schreiben können, hätte das Konfliktive und Krisenhafte herausstellen, mich auf die negativen Aspekte fokussieren können. Dass ich das nicht getan habe, schmälert die Konflikte und Probleme für mich nicht – ich habe mir damit einfach nur einen kleinen Urlaub vom fankulturellen Kampf genommen und mich erneut in den Fußball verliebt. Das sollten wir vielleicht häufiger tun.
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