Bauarbeiter am Golf, Babysitter in Hongkong
Von Thomas Berger
Wer im Herzen der philippinischen Hauptstadtmetropole Manila unterwegs ist, dem fallen die oft großformatigen Aushänge ins Auge: In etlichen Straßenabschnitten ballen sich die Vermittlungsagenturen, die auf diese Weise inserieren. Mal sind es nur einige Dutzend Haushaltshilfen für Hongkong, die gesucht werden. Eine Agentur sucht für eine Partnerfirma in Saudi-Arabien fast jede erdenkliche Fachrichtung von Ingenieuren, dazu Agrartechniker, Busfahrer, Lüftungsspezialisten. Ein anderes saudisches Unternehmen hofft auf Bewerbungen von Reinigungspersonal für eine Klinik sowie auf Computerspezialisten und Elektriker. Gärtner, Mechaniker, Maurer, Maler und Tischler sind ebenfalls gefragt.
Die mehrheitlich katholische Inselnation ist das Paradebeispiel für Arbeitsmigration aus Süd- und Südostasien. Kaum irgendwo sonst ist der Anteil an der Bevölkerung, der zeitweise zum Geldverdienen ins Ausland geht, höher. Und kaum woanders sind so viele Familien zu Hause so abhängig von den Heimatüberweisungen (englisch: Remittances) derer, die da bei 35 Grad und mehr auf Baustellen neuer Luxusbauten in den reichen Golfmonarchien schuften. Andere hüten beinahe rund um die Uhr die Kinder anderer Leute und machen bei Fremden den Haushalt, während der eigene Nachwuchs die Mutter seit zwei oder drei Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen hat. 2,16 Millionen philippinische Frauen und Männer, so die jüngsten Zahlen der nationalen Statistikbehörde (PSA), waren von April bis September 2023 als Arbeitsmigranten (Oversees Filipino Workers, OFW), erfasst. Das sind 9,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Der völlige Einbruch der »harten« Coronajahre 2020 und 2021 ist mehr als überwunden, die Entwicklung der Zahlen weist deutlich aufwärts. 2011 waren es laut dem Statistikportal Statista erst 1,25 Millionen OFW.
In der PSA-Datensammlung lässt sich auch nachlesen, dass eine Mehrheit der philippinischen Arbeitsmigranten weiblich ist – zuletzt 55,6 Prozent. 2022 lag der Anteil sogar bei 57,8 Prozent. Ein Faktor etwa ist, dass die Hälfte aller ausländischen Haushaltshilfen in der chinesischen Sonderwirtschaftsmetropole Hongkong von den Philippinen stammt. In der Altersgruppe 25 bis 44 Jahre sind laut PSA Frauen übrigens besonders überrepräsentiert. Ab 45 Jahren machen wiederum Männer den Großteil aus.
Am Flughafen von Nepals Hauptstadt Kathmandu dominieren auf den Anzeigetafeln jede Menge Verbindungen nach Doha, Riad, Dubai und Abu Dhabi. Meist in extra Warteschlangen stehen jene, die gleich erstmals ihre Reise zu einer Arbeitsstelle am Golf antreten oder das Glück hatten, zwischendurch ein paar Wochen auf Heimatbesuch gewesen zu sein, bevor es zurück zum Auslandsjob geht. Die Himalajarepublik kann einen fragwürdigen Rekord für sich in Anspruch nehmen: Kein anderes asiatisches Land hat bei der Arbeitsmigration zwischen 2019 und 2023 so enorm zugelegt wie Nepal. Das geht aus einer Übersicht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hervor, die 13 Entsendestaaten verglichen hat.
In diesem Fall betrug der Anstieg gegenüber der Zeit vor der Coronapandemie stolze 102 Prozent. 2,1 Millionen Nepalesinnen und Nepalesen, schrieb die ILO im August 2024, arbeiten nun jenseits der Landesgrenzen. Wichtigstes Ziel ist mit knapp 220.000 Arbeitsmigranten Malaysia. Unter den Staaten des Golfkooperationsrates liegen die Vereinigten Arabischen Emirate vor Saudi-Arabien und Katar. Aber selbst Richtung Europa machen sich immer mehr Menschen auf den Weg: Rumänien – innerhalb der EU selbst Entsendeland für viele billige Arbeitskräfte Richtung Mittel- und Westeuropa – nahm ebenso wie Polen, Malta und Kroatien jeweils mehr als 30.000 Menschen aus Nepal auf.
Aus Pakistan gehen sogar 96 Prozent der Arbeitsmigranten Richtung Golfstaaten – führendes Zielland dort ist Saudi-Arabien mit nahezu der Hälfte, was aus einem Bericht der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) von Anfang März hervorgeht. Erst mit deutlichem Abstand folgen die Vereinigten Arabischen Emirate auf Platz zwei mit 26,7 Prozent (Zahlen von 2023). Im Gesamtbild fällt bei dieser Betrachtung auf, was ganz ähnlich für Nepal zutrifft: Ein Großteil sind Kräfte ohne oder nur mit sehr geringer beruflicher Qualifikation. Im Falle Pakistans beträgt laut der KAS der Anteil derer, die eine hohe fachliche Ausbildung haben, weniger als ein Zehntel. Darunter sind etwa Ärzte, Ingenieure, aber auch zertifiziertes Pflegepersonal, Pharmazeuten oder IT-Spezialisten. Gerade im Bausektor der Golfstaaten, wo besonders viele Ungelernte aus Südasien unterkommen, ist die Ausbeutung außergewöhnlich hoch. Die Arbeiter schlafen oft in ausgesprochen überfüllten Sammelunterkünften, schuften viele Stunden und müssen nicht selten Einbußen beim Arbeitsschutz hinnehmen.
»Migration: Perils of a promised land« (Gefahren eines gelobten Landes) hat die pakistanische Zeitung The Dawn am 25. Mai einen Beitrag überschrieben, der vom traurigen Los erzählt, das viele Arbeitsmigranten verbindet. Nicht wenige haben zu Anfang den Familienschmuck verkauft oder sich verschuldet, um die Gebühr der Vermittlungsagentur zu bezahlen. Am Ziel angekommen, entpuppen sich viele Verdienstversprechen schnell als heiße Luft. Er habe nicht mal die Hälfte seines zugesagten Lohns als Wachmann bekommen, berichtete ein 64jähriger, der nach über 20 Jahren aus den Emiraten heimgekehrt ist. Gerade Analphabeten wie er hätten es schwer, sich gegen skrupellose Ausbeuter zu behaupten und etwa allein nur einen Arbeitsvertrag einzufordern. Das berüchtigte Kafala-System, das Arbeitsmigranten nahezu sklavisch an einen »Sponsor« bindet, ist zudem ein Grundübel. Da dieser in der Regel auch die Pässe einbehält, lässt sich von den Betroffenen kaum gegen unbezahlte Monatslöhne oder exzessive Formen von Ausbeutung vorgehen. Dies haben ILO und Nichtregierungsorganisationen wiederholt angeprangert.
Zumindest Nepals Regierung hat Ende 2023 einen fünf Jahre geltenden Nationalen Aktionsplan (NAP) verabschiedet, um auch für migrantische Arbeitskräfte die Einhaltung grundlegender Schutzrechte sicherzustellen. Mehrere UN-Gliederungen sowie Norwegen und Japan sind Partner bei der Entwicklung des NAP sowie seiner Umsetzung bis Ende 2028. Beim ersten Dialog in Kathmandu am 7. August 2024 ging es um Punkte wie die verstärkte Kontrolle der Vermittlungsagenturen. Nicht nur in Nepal tummeln sich in dieser gewinnbringenden Branche viele schwarze Schafe. Ähnlich gilt das für die anderen Länder.
Arbeitsmigration in reichere Staaten ist für Millionen Menschen aus Süd- und Südostasien spätestens seit den 1980er Jahren im großen Stil ein – scheinbarer – Ausweg, um Armut und Perspektivlosigkeit daheim zu entkommen. In jüngster Zeit treiben etwa die Folgen des Klimawandels, der in der oft noch arbeitskräfteintensiven Landwirtschaft mehr als früher für Missernten sorgt, die Zahlen weiter in die Höhe. In einem von der Schweiz finanzierten Projekt, getragen von der ILO, soll zudem Nepals Arbeitsministerium fit gemacht werden, um in den Abkommen mit den Gastländern – bisher gibt es zwölf Verträge – Grundrechte und Kontrollen gleich stärker zu verankern.
Bangladesch hat Ende Mai in Tokio im Beisein von Interimspremier Muhammad Yunus mit Japan zwei Rahmenvereinbarungen geschlossen. Das ostasiatische Industrieland, wegen des demografischen Wandels unter Fachkräftemangel leidend, will in den nächsten fünf Jahren 100.000 bangladeschische Arbeitsmigranten aufnehmen – gut ausgebildete Leute, die ihren »letzten Schliff« zum Einsatz, was etwa technische Fertigkeiten oder bestimmte Zertifikate betrifft, an Instituten in Japan erhalten sollen. In Bangladesch haben laut dem Daten- und Analyseverbund Mixed Migration Centre die Heimatüberweisungen nun schon seit drei Jahren die Marke von 20 Milliarden US-Dollar überschritten – fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
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