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Aus: Migration, Beilage der jW vom 18.06.2025
Klima und Migration

Erst der Anfang

Erderwärmung bedroht zahlreiche Ökosysteme. Hitzewellen und steigende Meeresspiegel zerstören Lebensgrundlagen und vertreiben Millionen Menschen. Von Wolfgang Pomrehn
Von Wolfgang Pomrehn
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Arbeiter aus Bangladesch warten mit ihren Pässen in der Hand während einer Kontrolle der malaysischen Behörden (Kuala Lumpur, 17.3.2022)

Es gibt viele Gründe, die Menschen dazu bewegen und oft auch zwingen, ihr Land zu verlassen und andernorts Sicherheit und Einkommen für sich und oft auch ihre Familien zu suchen. Oft liegen mehrere vor. Eine dieser Ursachen ist die Klimakrise, die sich in unterschiedlicher Gestalt zeigt: mal in Form anhaltender Dürren, mal mit katastrophalen Niederschlägen und nachfolgenden verheerenden Überschwemmungen, mal mit Gletscherschwund und Geröllawinen in den Hochgebirgen, mal als steigender Meeresspiegel. So schrieb im Oktober 2023 der Wissenschaftliche Dienst des EU-Parlaments, dass zwischen 2008 und 2022 376 Millionen Menschen durch Stürme, Überschwemmungen, Erdbeben und Dürren vertrieben wurden. 2022 hätte eine Rekordzahl von 32,6 Millionen Menschen ihre Städte und Dörfer verlassen müssen.

Und die Zahlen nehmen weiter zu: Die Beobachtungsstelle für Binnenvertreibungen (Internal Displacement Monitoring Centre, IDMC) in Genf sprach Anfang Juni dieses Jahres von 264,8 Millionen Menschen, die zwischen 2015 und 2024 durch Umweltkatastrophen vertrieben wurden. In 89 Prozent der Fälle seien Stürme und Überschwemmungen die Ursachen gewesen. 2024 habe es mit 45,8 Millionen Vertriebenen wiederum einen neuen Rekord gegeben. Mehr als 60 Prozent der Fälle seien in den ärmeren und ärmsten Ländern aufgetreten, denn die meisten Probleme gebe es dort, wo Menschen und ihre Infrastruktur am wenigsten gegen Extremwetter geschützt seien. »Vertreibung durch Naturkatastrophen ist kein Problem der Zukunft. Es passiert jetzt und überall, auch wenn es die Ärmsten am härtesten trifft«, erklärte IDMC-Direktorin Alexandra Bilak.

In den hiesigen Debatten gerät oft aus dem Blick, dass die allermeisten Flüchtlinge, seien es Kriegs- oder Klimaflüchtlinge, in ihren Herkunftsländern oder zumindest in der unmittelbaren Region bleiben und dort oft in Notunterkünften leben. So erging es zum Beispiel im vergangenen Jahr 9,8 Millionen Menschen, die im Laufe des Jahres Heim und Hof durch Naturkatastrophen verloren hatten und zum Jahresende noch immer in Provisorien hausten. Das Sekretariat des UN-Hochkommissars für Flüchtlingsfragen (UNHCR) weist auf seiner Internetseite darauf hin, dass diese Menschen wie auch die Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge sowie politisch Verfolgte oft unter besonders gefährdeten Bedingungen untergebracht sind. Die Vertriebenen, so der UNHCR, hätten oft keine andere Wahl, als in entlegenen Regionen, in überfüllten Lagern oder informellen Siedlungen mit nur begrenztem Zugang zur Gesundheitsversorgung, Schulen und anderer Infrastruktur zu leben. Dort seien sie auch in besonderen Maßen Hitzewellen, Überschwemmungen und schweren Stürmen ausgesetzt.

Außerdem gefährde der Klimawandel mancherorts das friedliche Zusammenleben zwischen Einheimischen und Flüchtlingen, weil er Konflikte um knappe Ressourcen wie etwa Wasser heraufbeschwöre. Die meisten Flüchtlinge und Vertriebenen kämen aus Ländern, die wenig Schutz gegen die Folgen der Erderwärmung bieten. Dort würden die sich verschlechternden Klimabedingungen oft friedliche Lösungen und damit die Rückkehr erschweren. Ohne Hilfe und Schutz liefen Rückkehrerinnen und Rückkehrer oft Gefahr, erneut zu Vertriebenen zu werden. Den Klimawandel aufzuhalten sei daher eine der Voraussetzungen für dauerhafte Lösungen.

Doch die Klimakrise zieht immer weitere Kreise. Das zurückliegende Jahr war das mit Abstand wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, und bis zum April lag die globale Temperatur fast zwei Jahre 1,5 Grad Celsius oder mehr über dem Durchschnitt der Jahre 1850 bis 1900. Diese Jahrzehnte gelten als Referenz für das vorindustrielle Zeitalter, in dem die Menschheit noch nicht begonnen hatte, im großen Maßstab Treibhausgase in die Atmosphäre zu blasen. Der zurückliegende Mai war zwar wieder etwas kühler, aber immer noch der zweitwärmste je beobachtete Mai, hieß es Anfang Juni seitens des »Copernicus«-Projekts, des Erdbeobachtungsprogramms der EU.

Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) beschrieb zur selben Zeit für Ozeanien und angrenzende Regionen, was die Erwärmung schon jetzt bedeutet: »2024 war für die südwestpazifische Region das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Erwärmung der Ozeane und ihre Versauerung haben die marinen Ökosysteme und Volkswirtschaften nachhaltig geschädigt. Der Anstieg des Meeresspiegels stellt eine existentielle Bedrohung für ganze Inselstaaten dar. Es wird immer deutlicher, dass uns die Zeit davonläuft, um das Ruder noch herumzureißen«, warnte WMO-Generalsekretärin Celeste Saulo gegenüber der Presse in Genf.

Die angesprochene Versauerung der Meere wird durch die steigende CO2-Konzentration in der Atmosphäre hervorgerufen, da dieses Treibhausgas auch von den Ozeanen aufgenommen und im Wasser gelöst wird. Dort wird es dann zur Gefahr für alle Lebewesen mit Schalen oder Kalkskeletten, gefährdet so die Nahrungsketten und die Korallenriffe. Letztere haben zudem auch zunehmend mit den steigenden Wassertemperaturen zu kämpfen. Immer öfter kommt es dadurch zum Absterben ganzer Riffe. Alles zusammen ist nicht nur ein gewaltiges Problem für die ozeanischen Ökosysteme, sondern auch für die von der Fischerei abhängigen Küstenbewohner, deren Erwerbsquellen zerstört werden.

Schließlich ist ein Teil der Inseln in der angesprochenen Region auch noch sehr flach und niedrig gelegen. Manche schaut an ihren höchsten Stellen nicht viel mehr als zwei Meter aus dem Meer heraus, was sie und ihre Bewohner besonders den Gefahren des steigenden Meeresspiegels aussetzt. Derzeit steigt dieser im globalen Durchschnitt um 4,2 Millimeter pro Jahr, wobei sich der Anstieg mehr und mehr beschleunigt und außerdem im Westpazifik überdurchschnittlich schnell abläuft. Für die niedrigen Inseln bedeutet das häufigere Überschwemmungen, bei Sturmfluten höher auflaufendes Wasser und entsprechend die Vernichtung von Ernten, die Zerstörung von Häusern und die Versalzung des Grundwassers. Nach WMO-Angaben laufen jedes Jahr mindestens 50.000 Insulaner im Südpazifik Gefahr, zu Klimaflüchtlingen zu werden. Erste Inseln wurden bereits aufgegeben, aber die kleinen Staaten haben oft nur sehr begrenzte Ausweichflächen, um die Menschen umzusiedeln.

Doch all das ist erst der Anfang. In vielen Weltgegenden – etwa in Westafrika, im Nildelta, um Shanghai, in Bangladesch, im Süden Vietnams oder auch an der Nordseeküste – sind Hunderte Millionen Menschen vom steigenden Meeresspiegel bedroht, und dieser stellt nur eine der Gefahren des Klimawandels dar. Der Wissenschaftliche Dienst des EU-Parlaments zitiert Worst-case-Szenarien, wonach 2050 bis zu 1,2 Milliarden Menschen ihr Zuhause aufgrund der Klimakrise verlieren könnten. Dabei gibt es für sie, wie der UNHCR anmerkt, noch immer keinen international anerkannten Schutzstatus.

Wolfgang Pomrehn ist Geophysiker und Journalist. Er beschäftigt sich seit mehr als 35 Jahren mit der Klimakrise und ihren Auswirkungen

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