Opfer bis heute gezeichnet
Von Jan Pehrke
»Sie versprühten so viel Agent Orange, dass man am Ende ganz nass war«, erinnert sich die Frankovietnamesin Tran To Nga an den Tag im Dezember 1966, an dem sie zum ersten Mal mit dem Herbizid in Berührung kam. Transportmaschinen des Typs »Fairchild C-123« hatten sich im Tiefflug genähert und ein weißes Pulver herabrieseln lassen. »Das Puder verwandelte sich in eine klebrige Flüssigkeit, die meinen Körper umschloss. Ich musste husten und hatte das Gefühl, zu ersticken«, so die heute 83jährige.
Die US-Armee nutzte den Stoff als Entlaubungsmittel, um die sich im Dschungel verborgen haltende Nationale Front für die Befreiung Südvietnams (NFB, pejorativ bekannt als Vietcong) besser vor die Zielfernrohre zu bekommen. Überdies diente er dem Kriegsziel, die Ernten des Gegners zu vernichten und so eine Nahrungsmittelkrise auszulösen. Eine Fläche von 3,3 Millionen Hektar geriet ins Visier der Sprühflugzeuge, was einem Viertel des Staates entspricht. Über 3.000 Dörfer flogen die Piloten an. Nicht weniger als 46 Millionen Liter Agent Orange und dazu noch einmal 34 Millionen Liter anderer Pestizide gingen von 1962 bis 1971 im Zuge der »Operation Ranch Hand« auf den südostasiatischen Staat nieder.
Die Nachfrage der Chemiewaffenabteilung des US-Militärs »Chemical Corps« nach Agent Orange war so groß, dass die Konzerne mit der Produktion gar nicht mehr nachkamen und bei der Fertigung Fehler machten. Sie verunreinigten das Herbizid 2,4,5-T mit Dioxin. 400 Kilogramm dieser Verbindung gelangten auf diese Weise nach Vietnam. Zum Vergleich: Nach einer von Marie-Monique Robin in ihrem Buch »Mit Gift und Genen« zitierten Studie reichen 80 Gramm Dioxin im Trinkwassernetz einer Stadt aus, um acht Millionen Einwohner zu töten. Durch die Extraladung der Substanz potenzierte sich die fatale Wirkung des Agent Orange noch, die ohnehin schon immens war. Die Konzentration der Inhaltsstoffe überstieg nämlich diejenige, die sich in dem für »zivile« Zwecke genutzten Agent Orange findet, um das 50fache.
Chemiekonzerne profitierten
Mit die größten Lieferungen stammten von Monsanto. Bereits seit 1950 befand sich das Unternehmen im regen Austausch mit den »Chemical Corps« über die Kriegsverwendungsfähigkeit des Wirkstoffs 2,4,5-T. Die entsprechende Akte ist 597 Seiten lang und zu großen Teilen immer noch als »geheim« deklariert. Überdies wusste der Multi schon früh um die Gefährlichkeit des Stoffes. Doch bei einem Treffen mit weiteren Herstellern des Produkts zur Erörterung der Gesundheitsgefahren übte Monsanto Druck auf die Vertreter anderer Firmen aus, der Regierung der Vereinigten Staaten diese Risiken zu verheimlichen. »Ein kausaler Zusammenhang zwischen Agent Orange und chronischen Krankheiten beim Menschen konnte nicht nachgewiesen werden«, behauptete der Großkonzern in der Öffentlichkeit stets. Und auf seiner Website stand früher die Rechtfertigung zu lesen, die Flugzeuge hätten das Herbizid versprüht, »um das Leben der US-Soldaten und ihrer Verbündeter zu schützen und zu retten«.
Seit 2018 gehört Monsanto zum Bayer-Konzern. Auch der will für Agent Orange keine Verantwortung übernehmen. »Es war die US-Regierung, die die Spezifikationen für die Herstellung des Entlaubungsmittels Agent Orange entwickelte und vorgegeben hat, wann, wo und wie es eingesetzt wird. Agent Orange wurde ausschließlich für den militärischen Einsatz auf Anweisung der Regierung von Monsanto hergestellt«, lautete auf der letzten Hauptversammlung die Antwort an Tricia Euvrard vom »Collectif Vietnam Dioxine«.
Bayer gilt seit dem Ersten Weltkrieg als »Erfinder der Chemiewaffe« und war bis weit in die 1980er Jahre hinein bekannt als »weltweit führender Chemiewaffenkonzern«. Doch das Pentagon direkt oder über das mit Monsanto seit 1954 betriebene Gemeinschaftsunternehmen Mobay mit Agent Orange beliefert zu haben, das bestreitet der Leverkusener Multi seit 2016 mit windiger Argumentation. Die Produktion von Agent-Orange-Bestandteilen und anderen Pestiziden für die Kriegsverwendung bestreitet er hingegen nicht. So stellte der Global Player jährlich 700 bis 800 Tonnen des Agent-Orange-Grundstoffes 2,4,5-T her und verkaufte einen Teil davon an die französische Firma Progil. Diese wiederum verarbeitete es weiter und exportierte es nach Vietnam. Eine beschlagnahmte Aktennotiz des Konkurrenzunternehmens Boehringer AG belegt dies: »Bayer und Progil haben auf dem 2,4,5-T-Sektor seit Jahren (Vietnam) zusammengearbeitet.« Bayer leugnet diese Kooperation nicht, hält allerdings fest: »Über die weitere Verwendung des Wirkstoffes bei der Progil liegen keine Erkenntnisse vor.« In einer früheren Äußerung zu diesem Thema räumt das Unternehmen hingegen durchaus die Möglichkeit ein, »dass Tochterunternehmen beziehungsweise Drittfirmen 2,4,5-T-haltige Pflanzenbehandlungsmittel auf den amerikanischen Markt brachten«.
Andere als Kampfstoffe einsetzbare Agrarchemikalien wie Agent Green, Zineb und Dalapon veräußerte das Unternehmen dem US-Militär ebenfalls. Teilweise legten die Substanzen dabei einen weiten Weg zurück. Einige von ihnen gelangten über Konzernniederlassungen in den damals autoritär regierten Staaten Spanien und Südafrika zur US-Tochter Chemagro und von dort dann zu den Militärbasen. Die Zeitschrift International Defense Business konnte für das Jahr 1972 sogar genau den Wert von Bayers Kriegsbeitrag beziffern: Rund eine Million Euro stellte die Aktiengesellschaft für die verschiedenen Chemikalien in Rechnung. Experten des Unternehmens standen dem US-Militär gemeinsam mit ihren Kollegen des Chemieunternehmens Hoechst aber auch direkt vor Ort mit Rat und Tat zur Seite. Als medizinische Helfer getarnt, arbeiteten sie dem Planungsbüro für B- und C-Waffeneinsätze in Saigon zu.
Entschädigung gefordert
Mehr als 4,8 Millionen Vietnamesen waren den zu Chemiewaffen umgerüsteten Pestiziden ausgesetzt. Drei Millionen von ihnen leiden noch heute darunter. Die Mittel lösten Krankheiten wie Leukämie, Lungen-, Brust- und Leberkrebs, Diabetes, Tuberkulose und chronische Kopfschmerzen aus. Über 100.000 Kinder kamen mit Fehlbildungen auf die Welt. Entschädigungen haben die Vietnamesen dafür nicht erhalten. Eine entsprechende Klage wies der Oberste Gerichtshof der USA im Jahr 2009 ab. Tran To Nga versucht es jetzt in Frankreich. Sie zog gegen Monsanto und 13 weitere Unternehmen vor Gericht, denn ihr Leben ist durch Agent Orange schwer gezeichnet. Die Frankovietnamesin leidet unter der Blutkrankheit Alpha-Thalassämie, unter Chlorakne und einer Herzfehlbildung, die sie ihrer ersten Tochter weitervererbte. Schon nach 17 Monaten starb das Kind daran. Auch ihre beiden anderen Töchter leiden weiterhin unter den Folgen von Agent Orange.
Den ersten Prozess verlor Tran To Nga. Das Berufungsverfahren ging im August 2024 ebenfalls zugunsten der Konzerne aus. Die Richter billigten ihnen einen Immunitätsstatus zu, weil sie im Auftrag eines souveränen Landes – den USA – gehandelt hätten. Die vietnamesische Regierung reagierte umgehend darauf. »Vietnam bedauert das Urteil des Pariser Berufungsgerichts und hat seine Haltung in dieser Angelegenheit wiederholt zum Ausdruck gebracht. Obwohl der Krieg beendet ist, haben seine schwerwiegenden Folgen weiterhin tiefgreifende Auswirkungen auf unser Land und unsere Bevölkerung, einschließlich der langfristigen und schwerwiegenden Folgen von AO/Dioxin«, hieß es aus Hanoi. Tran To Nga ließ sich von der Entscheidung nicht entmutigen. Sie kündigte an, vor das französische Verfassungsgericht zu ziehen. »Es ist nicht nur mein Kampf, sondern auch der von Millionen von Opfern«, sagte sie.
Jan Pehrke ist Vorstandsmitglied der »Coordination gegen Bayer-Gefahren«.
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