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Aus: »Saigon ist frei«, Beilage der jW vom 23.04.2025
Kriegsberichterstattung

Unbeugsames Land

Nordvietnam unter dem Hagel US-amerikanischer Bomben. Ein Augenzeugenbericht
Von Irene und Gerhard Feldbauer
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Ikonische Bilder: Zur Evakuierung benutzte Hubschrauber werden aus Platzmangel im Meer versenkt (30.4.1975)

Am Abend des 31. Juli 1967 flogen wir auf Hanoi zu, wo wir unseren ersten Einsatz als Korrespondenten für ADN und Neues Deutschland begannen. Als wir die Grenze überflogen, erlosch in unserer Il-14 der China Air Line die Beleuchtung. Flakscheinwerfer suchten den Himmel ab, »Mig«-Jäger eskortierten den Flug. Nach der Landung auf dem Flughafen Gia Lam erinnerten uns auch die in Dunkelheit gehüllten Flughafengebäude daran, dass wir in ein vom Krieg heimgesuchtes Land kamen, in ein Nordvietnam unter dem Hagel US-amerikanischer Bomben. Unzählige Male wurden wir Augenzeugen barbarischer Luftangriffe, der Zerstörung von Wohnvierteln, Krankenhäusern, Schulen und Betrieben, Kirchen und Pagoden, Straßen und Brücken, Bewässerungsanlagen der Reisfelder. Wir sahen blutbefleckte Kleider, zerfetzte Schulbücher, Krankenbetten, die aus Trümmern ragten, verstümmelte Menschen, Arme, Beine abgerissen, die vielen, vielen Toten, Opfer der Zivilbevölkerung, vor allem immer wieder Frauen, Kinder, alte Menschen. Ein Leid, das man kaum beschreiben konnte.

Treffen mit Ho Chi Minh

Wir sahen aber auch den unbeugsamen Willen von Menschen, die ihre unter unsagbaren Opfern errungene Freiheit und Unabhängigkeit verteidigten, erlebten das Scheitern der US-Luftaggression gegen die Demokratische Republik Vietnam (DRV) und während des Tet-Festes im Frühjahr 1968 die strategische Wende im Befreiungskampf in Südvietnam.

Wir hatten das große Glück, Ho Chi Minh mehrmals zu begegnen. Das waren nicht nur persönliche Treffen, bei denen wir direkt mit ihm zusammenkamen und in einer unvergesslichen Weise die kaum wiederzugebende Ausstrahlung dieser faszinierenden Persönlichkeit spürten. So war es auch während einer Festveranstaltung am 19. Dezember 1967 zum 23. Jahrestag der Gründung der Volksarmee. Als Irene auf der Bühne Ho fotografierte, rief er sie zu sich und unterhielt sich mit ihr über ihre Arbeit. Er war aber auch immer bei den vielen Begegnungen gegenwärtig, die wir mit den Menschen Vietnams hatten, und lebte auch nach seinem Tod im Kampf seines Volkes weiter. Sein Testament vom Mai 1969 ist durchdrungen von der Liebe zu seinem Volk und der Gewissheit, dass es bis zum Sieg kämpfen werde. Man möchte fast sagen, dass seine herausragende Führerpersönlichkeit erst nach seinem Tod sichtbar wurde. Denn als er während des erbitterten Befreiungskrieges gegen die US-Aggressoren und das südvietnamesische Marionettenregime im September 1969 starb, hinterließ er nicht, worauf seine Feinde spekuliert hatten, ein Vakuum, sondern eine kampfgestählte Partei mit einem starken Führungskollektiv und ein von seinem Unabhängigkeitswillen beseeltes Volk, das sein Werk fortsetzte.

Vietnam siegte über die Militärmacht der USA, die stärkste der westlichen Welt, die als Nachfolger der französischen Kolonialisten seit 1955 Vietnam mit einem barbarischen Vernichtungskrieg überzogen hatte. Die große Hilfe des sozialistischen Lagers, darunter modernste konventionelle Waffen aus der UdSSR und Lieferungen aus der Volksrepublik (VR) China, die weltweite Solidarität der Völker und ihrer Friedenskräfte auch in den USA waren entscheidende Grundlagen dieses Sieges. Aber die letztlich ausschlaggebende Bedingung, dass diese Faktoren zur Geltung kommen konnten, war der nicht zu brechende Widerstandswille des Volkes, der in den Traditionen nationalen und antikolonialen Widerstandes wurzelte, die zu mobilisieren die Kommunistische Partei verstand, die Ho Chi Minh gegründet hatte.

Einen ersten Eindruck davon erhielten wir schon kurz nach unserer Ankunft Mitte August während einer fast drei Wochen dauernden schweren Angriffswelle auf Hanoi. Wir befanden uns gegen zwölf Uhr wenige hundert Meter von der Long-Bien-Brücke entfernt, als F-105-»Thunderchief«-Kampfjets sie in sieben Wellen angriffen. Wir erlebten, wie ihnen ein außerordentlich starkes Abwehrfeuer von Flugabwehrkanonen und auch Boden-Luft-Raketen entgegenschlug. Die F-105 warfen ihre Bomben aus einigen tausend Metern Höhe ab. Wir standen zusammen mit vier oder fünf Vietnamesen, die uns, als wir Deckung suchten, zu sich gewinkt hatten. Für sie war das Kriegsalltag, und sie strahlten eine Ruhe aus, die uns, wie auch später, oft half, mit solchen Situationen fertig zu werden. Wir befanden uns hinter einer etwa eineinhalb Meter hohen Erdaufschüttung, die vor den Häusern eine Art Schutzwall gegen Bombensplitter bilden sollte. Ein älterer Vietnamese legte kameradschaftlich seinen Arm auf meine Schulter, sein Lächeln schien zu sagen: Keine Angst, wir halten durch. Wenn eine neue Welle der F-105 nahte und die Bomben vor uns einschlugen, duckten wir uns. Die Long Bien wurde an diesem Tag übrigens nicht getroffen. Das Sperrfeuer der Luftabwehr hatte das verhindert.

Mitte Oktober erlebten wir in der Hafenstadt Haiphong eine Woche lang Tag und Nacht die Angriffe von Maschinen der im Golf von Tongkin kreuzenden Flugzeugträger. Im Wohnviertel Dong Hai wurden 55 Wohnhäuser zerstört, ganze Häuserreihen waren Ruinenfelder. Im Bezirk Hong Bang wurde das Krankenhaus schwer beschädigt, darunter die pharmakologische Forschungsabteilung und die Kinderstation. In ganz Nordvietnam wurden bis Oktober 1967 insgesamt 74 Krankenhäuser zerstört.

Erfolgreiche Luftabwehr

Zurück in Hanoi, erfuhren wir, dass in den vorangegangenen Tagen nach Abschuss ihrer Maschinen 15 US-Piloten gefangengenommen worden waren, darunter am 26. Oktober der Marineflieger John Sidney McCain. Der prominente Offizier und 2018 verstorbene republikanische US-Senator – sein Großvater befehligte im Zweiten Weltkrieg die US-Flugzeugträger im Pazifik, und der Vater war Befehlshaber der US-Flotte in Europa – gab zu, das Feuer der Luftabwehr sei besonders über Hanoi »sehr dicht und sehr präzise«. Die Air Force verliere zehn und mehr Prozent ihrer Maschinen. Oberst Robinson Risner, ein Fliegerass aus dem Koreakrieg, der bereits am 16. September 1965 nach einem Treffer in Gefangenschaft geraten war, gab an, dass die Nordvietnamesen bei einem Angriff von 18 »Thunderchiefs« seines Geschwaders fünf vom Himmel geholt hätten. Der britische Konsul sagte mir einmal, das seien, verglichen mit den Abschussziffern, welche die Royal Air Force in der Luftschlacht über England gegen Görings Flieger erzielte, Ergebnisse, die sich sehen lassen könnten.

Im Frühjahr 1968 waren wir auf dem Weg nach Süden bei Vinh nachts am Lam-Fluss angekommen, wo wir auf die Freigabe einer Behelfsbrücke warteten. Da vor uns mehrere Tanklaster standen, beschlossen wir, umzukehren. Wir hatten kaum einen Kilometer zurückgelegt, als die Passage bombardiert wurde. Wir sahen ein riesiges Flammenmeer und wussten, dort starben viele Menschen. Wir übernachteten abseits der Straße Nr. 1 in einem kleinen Dorf, in dem die Bewohner eine Anzahl einfacher Bambushütten an Stelle der meist zerstörten festen Häuser errichtet hatten. Am späten Nachmittag luden wir unser weniges Gepäck bereits auf die Jeeps, als das Dorf angegriffen wurde. Die Maschinen flogen so tief, dass wir die Köpfe der Piloten in den Kanzeln erkennen konnten. Ringsherum explodierten Bomben und schlugen Raketen ein. Wir hatten nur eines im Sinn, das Verbrechen mit unseren Kameras festzuhalten. Aber unsere vietnamesischen Begleiter wurden, wie so oft, unsere Lebensretter. Sie zerrten uns förmlich mit Gewalt auf unsere Jeeps, und wir rasten davon, das Dorf im Bombenhagel hinter uns zurücklassend.

Da die DRV nicht zuletzt dank der militärischen Hilfe der UdSSR und der VR China nicht zur Kapitulation gezwungen werden konnte, musste Washington auch angesichts der Proteste im eigenen Land am 1. November 1968 die bedingungslose Einstellung der Luftangriffe erklären. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die nordvietnamesische Luftabwehr 3.243 US-Flugzeuge und -Hubschrauber abgeschossen.

Irene und Gerhard Feldbauer waren von 1967 bis 1970 als Berichterstatter für ADN und Neues Deutschland in der Demokratischen Republik Vietnam und haben darüber 2006 bei Pahl-Rugenstein das Buch »Sieg in Saigon. Erinnerungen an Vietnam« veröffentlicht

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