Schwierige Zeiten
Von Edgar GöllStromabschaltungen, Transportprobleme, Inflation, Engpässe bei Medikamenten und Basisprodukten. Im 65. Jahr nach der Revolution ist die sozialistische Inselrepublik mit großen Herausforderungen konfrontiert. Oder wie es in Kuba heißt: Die Lage ist »sehr komplex«.
Zwar hat das Land die Coronapandemie unter anderem dank eigener Impfstoffe überstanden, kämpft jedoch mit den Folgen des starken Rückgangs im Tourismus. Auch die globale Erwärmung und deren Folgen wie der Meeresspiegelanstieg sowie Schäden durch Extremwetterereignisse machen sich bemerkbar. Die Produktion lahmt, die alltägliche Versorgung ist sehr schlecht. Die Menschen fühlen sich überlastet und vor allem jüngere wandern aus, weil sie keine Verbesserung der Lage sehen und vermuten, dass die US-Blockade absehbar nicht enden wird. Dadurch nimmt der Fachkräftemangel weiter zu. Wegen der hohen Bildungs- und Gesundheitsstandards altert die kubanische Gesellschaft stark. Die negativen Trends der Weltökonomie treffen das Land, besonders die explodierenden Nahrungsmittel-, Energie- und Transportkosten. Daraus wiederum ergibt sich ein starker Devisenmangel und Investitionsstau.
Die Anforderungen an Politik und Management sind auf vielen Ebenen also immens. In solch turbulenten Zeiten kommt es gelegentlich zu Fehlentscheidungen. So wurde die lange erwartete Währungsreform 2021 zu einem ungünstigen Zeitpunkt durchgeführt. Es gab umfangreiche Investitionen in die Tourismusinfrastruktur, doch die Touristen blieben aus. Das war kaum vorauszusehen.
Schleichende Strangulation
Vor allem aber hat Kuba mit der feindseligen Politik des Imperiums USA zu kämpfen: gegen die lange andauernde menschen- und völkerrechtsverletzende Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade, die unilateralen Zwangsmaßnahmen und raffinierten Umsturzversuche. Daraus ergibt sich ein giftiges Paradox. Kuba aktualisiert und modernisiert seinen Sozialismus und versucht vorsichtig Innovationen umzusetzen, um die Wirtschaft zu aktivieren. Doch genau diese Maßnahmen werden von den USA für zersetzende Manipulationen und Untergrabungsversuche ausgenutzt, zum Beispiel in Richtung des kubanischen Privatsektors, um ihn gegen die eigene Regierung in Stellung zu bringen. Vor allem blockieren die USA jegliche (Devisen-)Einkommensquellen Kubas.
Allein die direkten wirtschaftlichen Blockadeschäden belaufen sich jährlich auf etwa vier bis sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zum Beispiel, weil Liefer- und Wertschöpfungsketten unterbrochen werden und Ersatz teurer und aufwendiger ist. Und weil der damalige US-Präsident Donald Trump das Land in seiner letzten Amtswoche 2021 willkürlich auf die US-Liste der »Terrorismus unterstützenden Staaten« setzte, werden weltweit Geldtransfers und Geschäftsbeziehungen mit Kuba untersagt bzw. beschränkt, die sogenannte Sekundärblockade.
Die kurze Entspannungsphase während Barack Obamas Amtszeit hingegen lässt erahnen, welches wirtschaftliche Potential in Kuba steckt. Besonders der Tourismus florierte. Doch unter der Regierung Trumps wurden alle Erleichterungen nicht nur rückgängig gemacht, sondern Hunderte neuer unilateraler Sanktionen verhängt. Seit Joseph Biden an der Spitze der USA steht, üben die Vereinigten Staaten sogar noch weiteren Druck aus. Sie bekämpfen Kuba weiterhin in einem heißen Wirtschaftskrieg und einem kalten Krieg. Dabei spielen NGOs und Medienkampagnen eine flankierende Rolle. Bei manchen Menschen trifft das auf Resonanz, denn tatsächlich ist die komplexe Wirkungsweise, die von Blockade und geheimer Subversion ausgeht, nicht einfach nachzuvollziehen. Es ist eine raffinierte und schleichende Strangulation Kubas.
Gesellschaft entscheidet mit
Kubas Regierung und die Bevölkerung bemühen sich mit Nachdruck, die Wirtschaftsentwicklung und die Versorgungslage zu verbessern. Dazu gehören eine ganze Reihe neuer Gesetze und Reformen. So wurde 2021 die Gründung privatwirtschaftlicher kleiner und mittelgroßer Unternehmen erlaubt, ihre Anzahl wächst seither stetig. Neue Regelungen gibt es auch in den Bereichen Familie, Baurecht, Migration und Ausländerrecht. Mit dem im vergangenen Jahr verabschiedeten »Gesetz über soziale Kommunikation« sollen die staatlichen Medien »effektiver, breiter und transparenter« werden. Über solche Gesetzesänderungen wird in breit angelegten gesellschaftlichen Foren diskutiert – ein Wesensmerkmal der Demokratie in Kuba, das in westlichen Medien verschwiegen wird. Auch die häufigen Besuche der Minister in den Provinzen und Regionen garantieren die Nähe zur Basis und das Durchhalten der Bevölkerung.
Ein kleiner Lichtblick ist der Tourismus, der zwar kürzlich wieder zugenommen, die Planziele aber noch nicht erreicht hat. Mangels Alternativen wird darauf auch weiter gesetzt. Ein weiterer zentraler Bereich sind Wissenschaft und Innovation. Und dennoch: Um die Mangellage auszugleichen, leisten die Kubaner »kreativen Widerstand«, in dem sie in allen Lebenslagen improvisieren.
Erfolgreicher ist die Außenpolitik Kubas: Das Land schließt mit verschiedenen Staaten des globalen Südens Verträge, kooperiert in multilateralen Organisationen wie der CELAC oder G77 und versucht eine Annäherung an die BRICS. Die USA lassen immer wieder kleine Anzeichen für punktuelle Annäherung, z. B. im Agrarsektor, erkennen. Einige hoffen weiterhin, dass Biden in einer zweiten Amtszeit endlich sein Versprechen und die Annäherungspolitik von Obama umsetzen werde. Gewinnt jedoch Trump – da besteht kaum Zweifel – dürfte dies anders aussehen. Auch der aktuelle Rechtstrend in maßgeblichen westlichen und lateinamerikanischen Ländern dürfte es für Kuba schwer machen.
Angesichts der prekären Lage in Kuba und der kriminellen US-Zwangsmaßnahmen steigen aber auch die Aktivitäten der internationalen Solidaritätsbewegung. So gibt es in den USA zunehmend Vorstöße aus Zivilgesellschaft und Agrarwirtschaft, Kuba von der ominösen Terrorliste zu streichen. Ende 2023 wurde in Brüssel ein internationales Tribunal abgehalten, das die Blockadepolitik klar und juristisch fundiert verurteilte. Die UN-Vollversammlung verurteilt die USA schon seit Jahrzehnten für ihre Politik und fordert sie zur Beendigung ihrer Blockade auf. Gerade erst hat die Solidaritätsbewegung eine neue »Unblock Cuba«-Kampagne und die weltweite Aktion »Link for Cuba« gestartet. Vorbereitet wird zudem eine Europakonferenz der Solidarität in Paris. Dort sollen alle verfügbaren Kräfte gegen die US-Politik gebündelt werden.
Edgar Göll ist Zukunftsforscher und Soziologe, aktiv in der Kuba-Solidarität.
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