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Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
Aus: 70 Jahre junge Welt, Beilage der jW vom 11.02.2017
In eigener Sache

Gegen alle Trends

Jahrelang musste die junge Welt mit ökonomischen Problemen kämpfen. Jetzt ist der Verlag saniert und gestärkt für kommende Aufgaben
Von Dietmar Koschmieder
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Dietmar Koschmieder, Eckehard Schlauß und Stefan Huth (v. l.) präsentieren auf der außerordentlichen LPG-Vollversammlung am 24.11.2013 Rettungskonzepte für die jW

An diesem Wochenende wird die in Berlin erscheinende überregionale Tageszeitung junge Welt 70 Jahre alt. Allein dies ist schon außergewöhnlich, denn im April 1995 schien das Ende des Blattes bereits besiegelt. Der jW ist es aber auch gelungen, ihre verkaufte Auflage in den letzten Jahren zu steigern und heute auf ökonomisch stabiler Grundlage zu stehen – entgegen allen Trends in der Branche. Das hat etwas mit Inhalten und Eigentumsverhältnissen zu tun.

Als am 12. Februar 1947 die erste Ausgabe der Jungen Welt gedruckt wird, ist dafür die 1946 gegründete Verlag Neues Leben GmbH zuständig. Die Redaktion arbeitet in einem halb zerstörten Haus in der Berliner Kronenstraße. Aus der Wochenzeitung soll eine überregionale Tageszeitung werden. Dafür wird der Verlag Junge Welt GmbH mit einem Stammkapital von 25.000 Mark gegründet, in der dann seit dem 1. März 1952 die erste und bisher einzige deutschsprachige Tageszeitung der Jugend verlegt wird. Da ist sie bereits Zentralorgan des Zentralrats der FDJ, wird aber nicht nur von der Zielgruppe der 14- bis 18jährigen gelesen. Mit dem Eintrag in das Handelsregister der volkseigenen Wirtschaft des Magistrats von Groß-Berlin am 2. April 1954 wird die Verlag Junge Welt GmbH staatliches Eigentum. In den folgenden Jahren steigt die Auflage auf »traumhafte 300.000« Exemplare, wie es ein JW-Chefredakteur formuliert – sie überschreitet 1977 die Millionengrenze. Zuletzt ist die Junge Welt mit täglich bis 1,5 Millionen Exemplaren auflagenstärkste Zeitung der DDR.

Das ändert sich rasch in den Jahren nach 1989. Die Verlag Junge Welt GmbH wird wie die meisten sozialistischen Betriebe filetiert und dann aufgelöst. Interessante Produktionszweige wie die Tageszeitung Junge Welt bieten die Abwickler zuvor Westinvestoren an. Darunter ist auch der Hamburger Verlag Gruner und Jahr, wo darüber nachgedacht wird, aus der Zeitung ein Bild-ähnliches Massenblatt zu machen. Daraus wird nichts, den Zuschlag bekommt Erik Weihönig (Mediengruppe Schmidt & Partner), Geschäftsführer der Tageszeitung Junge Welt Verlag GmbH. Es folgen wirre Jahre mit diversen Verlagskonstruktionen, Eigentümerwechseln, Auslagerungen von Teilbereichen – nur ein klares inhaltliches Profil ist nicht erkennbar. Die Auflage des Blattes sinkt. Durch Preissteigerungen wird JW die teuerste überregionale Tageszeitung in Deutschland. Die Auflage verfällt weiter. Es gibt Überlegungen, Junge Welt, Neues Deutschland und Freitag zur Ostdeutschen Tageszeitung zusammenzulegen mit den drei großen Gs (Hermann L. Gremliza, Gregor Gysi und Günter Gaus) als Herausgeber. Auch daraus wird nichts, immerhin entwickelt Gremliza ein brauchbares inhaltliches Konzept für die Junge Welt, das dann im Mai 1994 umgesetzt wird. Seither wird junge Welt mit kleinem »j« geschrieben.

Zwar können durch diese interessanten Veränderungen erstmals nennenswert neue Leser in den alten Bundesländern gefunden werden, die verkaufte Auflage der jungen Welt schrumpft trotzdem weiter. Am 5. April 1995 erfahren Belegschaft wie Betriebsrat auf dem Weg zur Arbeit über das Radio, dass die junge Welt eingestellt wird. Zum Abschied entsteht die legendäre Kartoffeldruck-Ausgabe mit dem Titel »Kein Abo unter dieser Nummer«, die Kolleginnen und Kollegen räumen ihre Arbeitsplätze.

Das Ende der jungen Welt? Es kommt anders: Der Betriebsratsvorsitzende Dietmar Koschmieder unternimmt den irrwitzigen Versuch, kurzfristig einen Verlag zu gründen und die Geschäfte weiterzuführen. Sein Konzept wird von einer Belegschaftsversammlung mit großer Mehrheit abgelehnt. Die Verlag 8. Mai GmbH wird trotzdem mit zunächst 25.000 DM gegründet, Gesellschafter sind der bisherige Betriebsratsvorsitzende und mit Klaus-Dieter Fischer ein weiterer Mitarbeiter. Niemand sonst war bereit, einzusteigen. Nur wenige Tage später wird die Produktion der jungen Welt wieder aufgenommen. Das Überlebenskonzept sieht auch die Gründung einer Genossenschaft vor – denn Kredite oder eine Anschubfinanzierung gibt es nicht. Während der neue Verlag schon am 24. April 1995 im Handelsregister steht, kommt die Genossenschaft LPG junge Welt erst zum 7. Oktober in Gang. Die sieben Gründungsmitglieder bringen gerade mal 7.000 DM Startkapital mit – zu wenig, um eine Tageszeitung abzusichern. Jetzt geht es darum, die nächsten Monate zu überstehen und möglichst viele Genossinnen und Genossen zu werben. In dieser äußerst angespannten Situation versuchen einige Kollegen, die junge Welt zur Jungle World zu machen – der Putsch unter Leitung von Jürgen Elsässer im Frühjahr 1997 scheitert, aber die junge Welt verliert Abonnements.

Im März 1998 ist Genossenschaft LPG junge Welt eG stark genug, mit 52 Prozent die Mehrheit am Stammkapital der Verlag 8. Mai GmbH zu übernehmen. Minderheitsgesellschafter mit 48 Prozent bleibt Geschäftsführer Dietmar Koschmieder. Das Stammkapital beträgt nur 50.000 DM, auf eine deutliche Kapitalerhöhung wird bewusst verzichtet. Durch Mitgliederzuwachs ist die Genossenschaft in den folgenden Jahren immer besser in der Lage, den Verlag zu unterstützen: Sie gewährt Kredite, finanziert Investitionen vor, hilft bei bilanzieller Überschuldung. Entscheidender Faktor für die Ökonomie von Verlag und Zeitung bleibt aber die Entwicklung der bezahlten Abonnements: Seit der Jahrtausendwende kann die junge Welt hier auf Stabilität bauen – auch weil sie jetzt damit beginnt, über Internetabos die Onlinenutzer an der Kostendeckung zu beteiligen. Seit etwa 2004 wächst der Bestand an bezahlten Abonnements – bescheiden zwar, aber gegen den Trend. Und etwa 2010 gelingt ein weiterer untypischer Erfolg: Während alle überregionalen Tageszeitungen beim Kioskverkauf dramatische Einbrüche erleben, kann die junge Welt auch hier ihre Zahlen steigern. Im April 2016 wird durch einen zweiten Druckstandort abgesichert, dass die Zeitung in ganz Deutschland, in Österreich und der deutschsprachigen Schweiz im Einzelhandel zu kaufen ist.

Verlag und Genossenschaft sind bis zu diesem Zeitpunkt ökonomisch streng getrennt, Zuschüsse und Kredite der Genossenschaft schlagen in der Bilanz des Verlages als Verbindlichkeiten zu Buche – bei wachsenden Verlusten. Bis Ende 2015 hat sich ein nicht gedeckter Fehlbetrag von über 950.000 Euro in der Verlagsbilanz angehäuft, im Herbst 2016 liegt zudem der Verlust im laufenden Geschäftsjahr bereits bei über 170.000 Euro. Deshalb wird die Kampagne »Dein Abo zur rechten Zeit« gestartet. Diese dauert noch bis März 2017, aber schon das Zwischenergebnis ist sehr erfreulich: Die Aboauflage wächst, auch die Genossenschaft hat deutlich an Stärke zugelegt. Im November 2016 beschließt eine außerordentliche Vollversammlung der LPG ein Sanierungsprogramm mit der Absicht, bis zum 70. Geburtstag der jungen Welt am 12. Februar 2017 den Verlag zu stabilisieren.

Und genau dies darf heute vermeldet werden: Die Verlag 8. Mai GmbH ist saniert und gestärkt für kommende Aufgaben. Ihr Stammkapital beträgt jetzt 286.000 Euro, die angesammelten Schulden wurden um 355.000 Euro reduziert. Und bisherige Genossenschaftskredite in Höhe von 500.000 Euro sind in eine stille Einlage beim Verlag umgewandelt worden. Zudem wird das Geschäftsjahr 2016 aufgrund von Spenden und der guten Aboentwicklung deutlich besser ausfallen als erwartet. Der Verlag gehört jetzt zu 95,4 Prozent der LPG junge Welt eG, Koschmieder bleibt Minderheitsgesellschafter mit 4,6 Prozent Anteil am Stammkapital. Kurzum, die junge Welt ist zwar noch nicht wieder in Volkes Hand, immerhin aber in den Händen engagierter Leserinnen und Leser. Die Genossenschaft hat im Februar das 2.000. Mitglied aufgenommen, und die verkaufte Auflage stieg erstmals seit 22 Jahren wieder über die 20.000er Marke.

Möglich ist diese erstaunliche Entwicklung dank engagierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch dank der Unterstützung durch die Leserinnen und Leser. Sie alle wollen eine Tageszeitung, die sich seit 70 Jahren der Sache des Friedens, der Völkerverständigung und sozialen Gerechtigkeit verpflichtet fühlt, auch heute nicht missen.

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Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!

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