Gegründet 1947 Sa. / So., 27. / 28. April 2024, Nr. 99
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 30.06.2007, Seite 3 / Schwerpunkt

Bahnprivatisierung

Stalin, Schröder, Merkel: Die Kader entscheiden alles
»Ist die Linie klar, entscheiden die Kader alles.« So eine Maxime von Josef Stalin. Natürlich war es umgekehrt. Die Kader entschieden die Linie und diese war nicht immer klar. Nicht viel anders verhält es sich im bürgerlichen Politikbetrieb im allgemeinen und bei der Bahnprivatisierung im besonderen. Als Ende 2002 das Bahnmanagement angesichts der katastrophalen Fehlentscheidung zugunsten eines neuen Bahntarifsystems auf der Kippe stand, entschied Kanzler Gerhard Schröder die Kaderfrage Bahnchef, indem er per Telefonanruf Hartmut Mehdorn eine Vertragsverlängerung um weitere fünf Jahre zusicherte. Damit war auch die weitere Linie vorgegeben: mit Karacho und im Chaos an die Börse. Als in den Monaten März bis Mai 2007 das Projekt einer mate­riellen Bahnprivatisierung auf der Kippe zu stehen schien und drei Bundesministerien verlautbaren ließen, der vorliegende Tiefensee-Gesetzentwurf sei nicht akzeptabel und nicht mit dem Grundgesetz in Übereinstimmung zu bringen, entschied Kanzlerin Angela Merkel die Kaderfrage Bahnchef und sagte Ja zur Rente 68 für Mehdorn. Damit ist auch die Linie klar: Der größte Ausverkauf in der deutschen Geschichte wird ohne Rücksicht auf Verluste durchgezogen. Das »pfiffige Kerlchen« an der Spitze der Bahn erhielt grünes Licht dafür, weitere drei Jahre lang zu demonstrieren, wie schnurzpiepegal es ihm ist, wer unter ihm Kanzlerin oder Verkehrsminister ist und auf wem er herumtrampelt. Just so kam es einen Tag nach der Entscheidung über die Kaderfrage Bahnchef: Die Ministerien ließen am Donnerstag mitteilen, es sei alles nicht so gemeint gewesen. Irgendwie lasse sich das mit der Verfassung hinbiegen. Und irgendwie werde man den Widerspruch, wonach die Infrastruktur zwar formell und für das Publikum »im Eigentum des Bundes« bleibe, dieselbe aber von der teilprivatisierten Deutschen Bahn AG »betrieben und bilanziert« werden könne, auflösen. Gegebenenfalls in einem in der Schweiz abzuschließenden Vertragswerk mit ein paar tausend Seiten und für die Bundestagsabgeordneten und die Öffentlichkeit nicht einsehbar.

Hatten wir schon mal. Siehe Lkw-Mautvertrag. Das war unter Schröder. Merkel übernehmen Sie! (ww)

Mehr aus: Schwerpunkt