Für Frauen, nicht für Mädchen
Von Eileen Heerdegen
Irgendwann kommt alles wieder. Schnäuzer, Cordhosen, sogar Shocking-weiße-Socken-in-Sandalen, und die Mädels der nahegelegenen Höheren Schule für Hauswirtschaftliche Berufe tragen absurd buschige Fake Lashes wie die Londoner Sixties-Girls, wie Goldie Hawn 1970 in »Die Kaktusblüte«, oder wie fast zeitlebens die deutsche Ikone der Kunstwimper: Hildegard Knef.
Aneinandergereiht hätten sie Kilometer ergeben, erinnert sich ihr dritter und letzter Ehemann Paul von Schell. Bei Hildegard Frieda Albertine Knef, deren 100. Geburtstag am Sonntag gefeiert wird, war das dramatische Augen-Make-Up niemals kulleräugig-naiv. Vielleicht war es Symbol für eine dunkle Schwere, die sie bei all den glücklichen Fügungen in ihrem Leben doch immer empfand.
Abenteuer Amerika
»Ich hoffe, sie war zufrieden«, antwortet Knefs Tochter Christina auf die Frage, ob ihre Mutter glücklich war. Langweilig war ihr Leben sicherlich nicht. In Ulm geboren, aber schon als Kleinkind nach Berlin gekommen, wurde sie dort während ihrer Ausbildung zur Zeichnerin in den UFA-Trickfilmstudios von Regisseur Wolfgang Liebeneiner für den Film entdeckt, erhielt eine Schauspielausbildung und schon 1944 erste Filmrollen. Mit der ersten großen Liebe, dem 20 Jahre älteren Ewald von Demandowsky, Chef der Filmgesellschaft Tobis, Reichsfilmdramaturg und Goebbels-Vertrauter, kam sie 1945 bei dem Versuch, zu ihrer Mutter nach Uelzen zu gelangen, in sowjetische Kriegsgefangenschaft – unerkannt als einzige Frau im Lager. Mit Hilfe eines polnischen Arztes gelang ihr später die Flucht.
»Die Mörder sind unter uns« – während Demandowsky 1946 von den Amerikanern hingerichtet wurde, fand seine junge Geliebte auf die richtige Seite. Sie spielte ihre erste große Rolle, eine KZ-Überlebende, in dem berühmten Nachkriegs-»Trümmer«-Film von Wolfgang Staudte, einem der wenigen Versuche, im Mainstreamkino die Verbrechen der Nazizeit nicht unter bunten Revuefilmen verschwinden zu lassen. Der Durchbruch für die androgyne Schönheit: 1947 gab es den Preis als beste Schauspielerin in Locarno für »Film ohne Namen«, im gleichen Jahr ging es mit Ehemann Nr. 1, dem amerikanischen Filmoffizier Kurt Hirsch, in die USA. Die Knef wurde im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, aber begrenztem Spaß an Fremdsprachen, zu Hildegarde Neff.
»Von nun an ging’s bergab«, heißt es in einem ihrer bekanntesten Songs, in dem sie ironisch auf ihr bewegtes Leben (zurück)blickt. Tatsächlich versprach das Abenteuer Amerika zunächst mehr, als es halten konnte, ein Siebenjahresvertrag 1948 mit Hollywood-Produzent David O. Selznick war lukrativ, brachte aber keine Rollen. Dafür endete das nächste Engagement mit einem handfesten Skandal: Eine kurze Nacktszene war noch der geringste Aufreger, »Die Sünderin«, 1950 von Willi Forst in Deutschland gedreht, kam mit Themen wie Prostitution und Suizid einfach zur falschen Zeit. Aber auch wenn die Knef »Die Sünderin« später als ihren schlechtesten Film bezeichnete, galt auch hier das Bonmot des irischen Schriftstellers Brendan Behan: »Es gibt keine schlechte Publicity, außer deinem eigenen Nachruf.«
Hildegarde Neff war nun bekannter denn je, lernte Marlene Dietrich und Marilyn Monroe kennen, verewigte Hand- und Schuhabdrücke vor dem legendären Grauman’s Chinese Theatre in New York und drehte einige Hollywood-Filme, unter anderem die wunderbare Hemingway-Verfilmung »Schnee am Kilimandscharo« (1952) mit Gregory Peck und Ava Gardner. In der Originalfassung interpretiert sie zwei Lieder, Cole Porter war davon so begeistert, dass er ihr die Hauptrolle im Broadway-Musical »Silk Stockings« (Ninotschka) anbot, eine Figur, wie maßgeschneidert für die etwas herbe, gern auch mal schnoddrig wirkende Hilde, die immer nach »Rollen für Frauen, nicht für Mädchen« suchte.
Zweite Karriere
»The world’s greatest singer without a voice«, so das Kompliment der großen Ella Fitzgerald, und in der Tat wurde die rauchige Stimme, der selbstbewusst-distanzierte Vortrag zu Hildegard Knefs Markenzeichen und zweiten Karriere, gekrönt von Preisen, wie dem German Jazz Award.
»Mit sechzehn, sagte ich still / ›Ich will / Will alles / Oder nichts‹ / Für mich soll’s rote Rosen regnen / Mir sollten sämtliche Wunder begegnen / Die Welt sollte sich umgestalten / Und ihre Sorgen für sich behalten.« Es gibt kaum einen Wunsch, den ich so gut verstehe, ein Traum, den ich nur zu gern mitträume. Ein wunderbares Lied voll trauriger Hoffnung.
Stets irgendwo zwischen Melancholie, Überheblichkeit und Überlebenswillen waren nicht nur ihre Songs, die sie in recht unterschiedlicher Qualität auch selbst textete, die Kämpferin überstand 56 Operationen und schließlich die Entfernung einer krebsbefallenen Brust und hielt sich weder zu ihren Krankheiten noch sonst mit Äußerungen voll Schmerz und Anklage zurück. Möglicherweise war das der Grund, dass sie in Deutschland nie der Weltstar wurde, der sie hätte sein können, hätte sein sollen. Zu deutlich, zu eigensinnig und am Schluss dann noch ein 15 Jahre jüngerer Ehemann!
Man liebte sie vor allem als Berlin-Botschafterin – »In dieser Stadt kenn’ ich mich aus, in dieser Stadt war ich mal zuhaus’«. Da war der berühmte Koffer in Berlin oder das unsägliche, »Berlin, dein Gesicht hat Sommersprossen«. Weiß doch jedes Kind, woher die schönsten von ihnen – durch ein Sieb geschossen – herkommen, aber vielleicht ist die Assoziation sogar erwünscht.
Mir ist die österreichische Hauptstadt näher als die deutsche, deshalb singe ich meine Geburtstagswünsche gemeinsam mit André Heller und seinem »Wienlied«: »Eine Taschenlampe für Ludwig Wittgenstein / Ein Motorrad für Abraham-a-Santa-Clara / Einen View-Master für Sigmund Freud«, und ich ergänze einen Rosenregen für Hildegard Knef.
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