Teil des Gewaltsystems
Von Mara Pfeiffer
Vielleicht ist es hilfreich, vor einer Beschäftigung mit der Fernsehdokumentation zu Exnationalspieler Jérôme Boateng einen Schritt zurückzutreten, um eine grundsätzliche Frage zu stellen: Wem sollte speziell ein öffentlich-rechtlicher Sender eigentlich Aufmerksamkeit schenken? Und in welchen Fällen sollte er das besser unterlassen? Dreimal gut 45 Minuten, das ist schließlich ein ordentliches Brett. Derart viel Interesse wird selbst Prominenten nicht so selbstverständlich geschenkt. Die ARD hätte sich womöglich etliche Diskussionen erspart, wäre ihr Umgang mit Aufmerksamkeitsökonomie ein besserer. Leider hat sie das verpasst.
Nun also gibt es die Dokumentation, und zumindest aus journalistischer Sicht ist es leider keine Option, eben nicht hinzuschauen. Denn das Machwerk steht ja in einem Kontext, der über die Serie und den Fußball hinausgeht: Männer, die Gewalt gegen Frauen ausüben, tragen dafür in unserer Gesellschaft in aller Regel keine großen Konsequenzen. Für nichts anderes steht der Dreiteiler »Being Jérôme Boateng«. Das liegt auch an der Art der Produktion, die teils pompös daherkommt und speziell optisch sowie musikalisch permanent überinszeniert wirkt.
Boateng ist schuldig gesprochen worden wegen vorsätzlicher Körperverletzung an der Mutter seiner Kinder, das Urteil ist rechtskräftig. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I wegen Körperverletzung an seiner früheren Freundin Kasia Lenhardt, die 2021 Suizid beging, wurden nach dem Grundsatz »in dubio pro reo«, im Zweifel für den Angeklagten, eingestellt. Lenhardts Familie war für die Serie angefragt worden und hat die Mitwirkung abgelehnt, laut Familienanwalt Markus Henning auch »verbunden mit der eindeutigen Bitte, das Thema Kasia Lenhardt nicht aufzugreifen und nicht einmal den Namen zu verwenden«. Daran haben sich die Filmemacherinnen nicht gehalten, allein das ist schon ein Unding.
Hinzu kommt, dass Boateng in der Dokumentation zunächst über zwei Teile ausschließlich als Sportler porträtiert wird. Dabei zeigt sich, warum die filmische Betrachtung insgesamt eine sehr schlechte Idee ist, denn die Serie wird keinem ihrer Themen gerecht. Durchaus wichtige Motive – wie die Inszenierung einiger Weltmeister von 2014 als »Maskottchen« für gelungene Integration durch Sport – werden nur gestreift, gleichzeitig bedienen die Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen übelste Klischees. Zudem wird Kevin-Prince als der eigentlich schwierige Boateng-Bruder geframt, auch das: hoch problematisch.
In Abwesenheit von Personen, die für betroffene ehemalige Partnerinnen sprechen könnten, darf Boateng ungestört seine Narrative ausbreiten und sogar seine eigene Betroffenheit über Lenhardts Tod inszenieren – und eine Inszenierung ist es fürwahr. Was hingegen gänzlich fehlt, sind Einordnungen von Expertinnen für Gewalt in Partnerschaften oder die Stimmen von Psychologen zu den Mustern in Beziehungen mit Machtgefälle und Gewalt.
Nach dem Erscheinen der Dokumentation haben sich bereits mehrere Beteiligte distanziert. Ihnen sei vor den Aufnahmen gesagt worden, mit Boateng selbst würde nicht gedreht. Zudem beanstanden unter anderem der Anwalt Alexander Stevens, der als Strafrechtsexperte auftritt, die Investigativjournalistin Gabriela Keller (ehemals Correctiv) und die Popkultur-Consultant Gizem Çelik, kritische Passagen ihrer Interviews seien allesamt nicht verwendet, Aussagen gekürzt und dabei aus dem Zusammenhang gerissen worden.
Die Macherinnen und Macher der Doku hatten im Vorfeld erklärt, ein differenziertes Bild des ehemaligen Fußballers zeichnen zu wollen. Selbst wenn das ein lohnender Ansatz gewesen wäre: Die Serie bietet am Ende alles andere als Differenzierung, sondern wirkt wie eine platte PR-Produktion »Boateng on Boateng«, die dem ehemaligen Nationalspieler helfen soll, seine Träume vom Trainerjob zu verwirklichen. So wird sie zu einem Teil des Gewaltsystems.
»Being Jérôme Boateng«, Regie: Annette Baumeister, Anna Grün und Ulrike Schwerdtner, drei Teile je 41 bis 49 Min., in der ARD-Mediathek
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