Mieter, du musst raus
Von Susanne Knütter
Sie kommen oft mit Geleitschutz. Alter, Anzahl der Kinder, soziale Härten ignorieren sie von Berufs wegen. Ihre Aufgabe ist die Durchsetzung des Rechts und das besagt: Wer wohnen will, muss Miete zahlen – auch wenn die vielerorts unbezahlbar ist. Im letzten Jahr haben Gerichtsvollzieher 32.358 Zwangsräumungen durchgeführt. Ein Anstieg um mehr als 2.000 bzw. sieben Prozent binnen Jahresfrist, wie aus einer Antwort des Bundesjustizministeriums auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linkspartei hervorgeht, die jW vorliegt.
Das sind 90 Zwangsräumungen pro Tag. Betrachtet man nur die 230 Arbeitstage, haben Gerichtsvollzieher bundesweit täglich sogar 140 Räume, Wohnungen oder Haushalte geräumt. Die Zahl stieg in nahezu allen Bundesländern. Nur in Brandenburg, Thüringen und Bremen ging sie leicht zurück. Bezogen auf die Einwohnerzahl bleibt die Hansestadt trotzdem Räumungshotspot. Insgesamt die meisten Haushalte wurden im letzten Jahr in Nordrhein-Westfalen ihrer Bleibe beraubt. Zwölf Prozent mehr als im Jahr zuvor. »Das ist der traurige Rekord bundesweit«, wie die Linkspartei schreibt. In Ostdeutschland ist Sachsen erneut »Räumungsmeister«.
Mietschulden sind die häufigste Ursache für den Wohnungsverlust. In den vergangenen zehn Jahren sind die Mieten im Bundesdurchschnitt um 50 Prozent angehoben und in Berlin sogar verdoppelt worden, wie die Linke erinnert. Aufgrund von Mieten, Heiz- und Stromkosten, die kaum noch zu stemmen sind, geht der Paritätische Gesamtverband davon aus, dass mindestens fünf Millionen Menschen mehr arm sind, als die amtlichen Statistiken ausweisen. Daraus folgt auch, dass der Jobcenterbetrag, der für die Kosten der Unterkunft vorgesehen ist, immer häufiger nicht reicht. Die Wohnkostenlücke versuchen Bürgergeldbezieher irgendwie zu füllen – oft vergeblich. Auch Zahlungsverzögerungen von den Ämtern sind Auslöser für Mietrückstände. Wenn die Kosten der Unterkunft oder das Wohngeld zu spät gezahlt werden, kann für die Mieter schnell ein Rückstand von zwei Monatsmieten entstehen. Ein Kündigungsgrund. Die geplante Bürgergeldreform wird diese Probleme noch verschärfen. Demnach sollen Beziehern bei Terminversäumnissen Leistungen gestrichen werden. Bereits jetzt geht die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe von mehr als einer Million Wohnungslosen im Laufe des letzten Jahres aus.
Zwangsräumungen in die Wohnungslosigkeit müssen verboten werden und Mieten bezahlbar sein, forderte die Sprecherin für Mieten- und Wohnungspolitik der Fraktion Die Linke im Bundestag, Caren Lay, am Sonntag gegenüber jW. Dafür brauche es »viel mehr Sozialwohnungen mit dauerhaft bezahlbaren Mieten« und der Kündigungsschutz müsse dringend verbessert werden: »Keine Kündigungen, wenn die Miete nachgezahlt wird. Menschen über 70 Jahre sollen nicht aus ihrer Wohnung gekündigt werden dürfen.«
Schonfristzahlung, Mietendeckel, Mietpreisbindung, neue Wohnungsgemeinnützigkeit, Vergesellschaftung – es gibt Ansätze, um Wuchermieten und drohende Wohnungslosigkeit anzugehen oder zumindest abzumildern. Bisher wurden sie entweder verhindert oder nur halbherzig umgesetzt. Auch der Neubau, so wie er derzeit erfolgt, nützt in erster Linie den Bauunternehmen. Denn die neu entstehenden Wohnungen bleiben für Wohnungslose und Arme unerschwinglich. Zu groß ist das herrschende Interesse am Staus quo, der die Bereicherung durch Eigentum an Wohnraum beinhaltet. Zu schwach der Widerstand der Mieter. Noch.
Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug
Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von Joachim Becker aus Eilenburg (15. Dezember 2025 um 15:31 Uhr)Das ist kapitalistische Wohnungspolitik in der BRD. Wer seine Miete nicht pünktlich oder gar nicht zahlen kann, wird auf die Straße gesetzt. Das wäre in der DDR undenkbar gewesen, dass Menschen wegen Mietrückständen aus ihrer Wohnung geworfen worden wären. In der DDR gab es ja auch ein Recht auf angemessenen Wohnraum. Davon kann in der BRD keine Rede sein.
- Antworten
Ähnliche:
IMAGO/Le Pictorium09.12.2025Warum verkaufen Eigentümer nicht für Obdachlose?
Joko/imago22.10.2025Stadtbild
Fabrizio Bensch/Reuters15.11.2017»Obdachlosigkeit direkte Folge verfehlter Politik«