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Aus: Ausgabe vom 13.12.2025, Seite 11 / Feuilleton
Komische Kunst

In den höchsten Tönen

Das Lob der Kastraten und andere gesammelte Bildergedichte von Hans Traxler
Von Peter Köhler
»Sie alle sagen dir nur dies: …«
»… Mensch, du bist im Paradies!« – Hans Traxler

Die Ersten werden die Letzten sein! Was wie die Umkehrung eines bekannten, Jesus zugeschriebenen Spruchs klingt und in unserer sportversessenen, rekordgeilen Gegenwart arg unheilkündend wirkt, bedeutet tatsächlich das Gegenteil. Oder um ein anderes plattgetretenes Sprichwort umzuformulieren: Wen die Götter lieben, wird alt – ja, stirbt am besten gar nicht!

Von den acht nie genug zu preisenden Mitgliedern der »Neuen Frankfurter Schule«, die die deutsche Satire und Komik seit den 1960er Jahren von Frankfurt am Main aus neu erfanden – erst für Pardon, dann für die Titanic schreibend und zeichnend –, weilen noch Peter Knorr, Bernd Eilert, Eckhard Henscheid und Hans Traxler unter den Lebenden. Eilert, 1949 geboren, und Knorr, Jahrgang 1939, genießen den Ruhestand wie offenbar auch der 1941 geborene Henscheid, der zuletzt 2018 mit einem neuen Buch hervortrat, »Aus dem Leben der Heiligen. Neue Legenden«.

Traxler hingegen, Jahrgang 1929 und mit noch einmal zwölf Jährchen mehr auf dem nicht vorhandenen Buckel der mit Abstand Älteste der erlauchten Riege, schafft bis heute, mit Mitte 90. Zugegeben, sein neues Buch versammelt ausgewählte Bildergedichte, von denen viele bereits in längst vergriffenen Bänden wie »Leute von gestern« (1981), »Freud in der Krise« (1988) oder »Ode an Hemingway« (1989) erschienen sind.

Und siehe da, das Wiedersehen (für junge Leser: die endlich mögliche erste Begegnung) mit »Albert Schweitzer in Lambarene«, »Karl Marx in London« und Maos »Drama am Jangtse Kiang«, mit Proust, Go the und Charles Darwin, mit Caspar David Friedrich und David Hockney, mit Pharao Cheops und König Heinrich IV. macht nicht einfach nur Freude: Es bildet und befreit auch, wenn man denn sein Anno Schnee erworbenes Wissen sowohl bestätigt als auch über den Haufen geworfen bzw. gänzlich unerwartet erweitert sieht – von solcherart kitzelnden Widersprüchen lebt bekanntlich der Witz.

Vor über 50 Jahren hatte sich Traxler mit Lust über Papst Paul VI. hergemacht, den als »Pillen-Paul« verspotteten Pontifex wegen seiner 1968 per Enzyklika für alle Katholikinnen verbindlich gemachten Ablehnung der Antibabypille. Das ist inzwischen Geschichte, die Religion aber ist und bleibt ein irrationales, bis in die Grenzregionen des Irr- und Wahnsinns reichendes Gebiet, in dem der Zeichner und Versifizierer immer wieder auf Leute stößt, die man lustig nehmen muss, weil man sonst selbst närrisch würde. Auf »Sekten« zum Beispiel: »In Kassel gab es eine Sekte / das waren die Kastraten / Die lobten Gott in höchsten Tönen / weil sie die tiefen nicht mehr hatten.« Oder auch das Christentum: »In einem Weinberg bei Assisi / näherte Franz sich den Schnecken / Die ahnten, was da auf sie zukam / und konnten sich blitzschnell verstecken.«

Die Zeiten haben sich geändert, die einst klagefreudige katholische Kirche scheut den Gang zum Kadi wie andere auch, etwa Politiker. Sie wissen, dass eine Klage breite Aufmerksamkeit auf das Corpus delicti lenkt und sie dabei nur verlieren können. Nicht auszuschließen auch, dass sich in breiten Bevölkerungsschichten das Verständnis für Komik, Satire, Parodie, Nonsens gebessert hat. Nur ist einschränkend anzumerken, dass diese Besserung auf Nullniveau begonnen hat.

Als 1963 der Märchenforscher Georg Ossegg ein Buch veröffentlichte, das »Die Wahrheit über Hänsel und Gretel« versprach und sie in Wort und Foto bewies, wurde gegen den Autor wegen Betrugs ermittelt – niemand anderen als Hans Traxler, der diese meisterliche Parodie auf Literaturwissenschaft und Volkskunde verbrochen hatte. Mehr Spaß verstand später sogar Helmut Kohl, der gegen keine der unzähligen Karikaturen und Satiren gerichtlich vorging; vielleicht war es aber nur Ignoranz. Die schützte dann auch Traxler und den Texter Peter Knorr, als sie 1983 den gerade eben gewählten Kanzler als »Birne« verhohnepipelten.

Vier der acht Mitglieder der Neuen Frankfurter Schule – F. W. Bernstein, Robert Gernhardt, Chlodwig Poth und F. K. Waechter – sind bereits definitiv abgereist und können nur noch von einer Wolke aus zugucken. Besonders fleißig am Werk sehen sie dann Hans Traxler, der selbst im Urlaub den Stift nicht aus der Hand legt:

»Früher, als der Gattin lieb, / Zeigt sich schon der Zeichentrieb / Um 6 greift ohne Wenn und Aber / Der Zeichner nach dem Stift von Faber / ›Sieben!‹ schlägt die Kirchenuhr / Der Künstler übt die Kreuzschraffur« – so geht es weiter, »Die Sonne steigt, die Menschen ruhn / Der Zeichner hat noch viel zu tun / Schön wär es jetzt zu kopulieren / Der Zeichner muß noch colorieren«; und die Pointe kommt spät am Tag als Antwort auf die Frage: »Was macht Dein Mann eigentlich, wenn er gerade mal nicht zeichnet?« »Dann malt er wie ein Wilder / Bilder, Bilder, Bilder!«

96 Jahre alt ist Hans Traxler. Die Statistik beweist, dass der Mensch sogar die 120 schaffen kann. Nun denn!

Hans Traxler: Die Bildergedichte. Hrsg. von Nikolaus Heidelbach. Insel-Verlag, Frankfurt am Main 2025, 352 Seiten, 36 Euro

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