Gegründet 1947 Donnerstag, 11. Dezember 2025, Nr. 288
Die junge Welt wird von 3063 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 11.12.2025, Seite 16 / Sport
Formel 1

Tränen von Bedeutung

Die Formel-1-Weltmeisterschaft ist vorbei und boomt, gewonnen hat sie Lando Norris im McLaren
Von Gabriel Kuhn
2025-12-07T152156Z_380590017_UP1ELC716OIFI_RTRMADP_3_MOTOR-F1-AB
Gib Gummi: Lando Norris und sein McLaren feiern die Formel-1-Weltmeisterschaft (Abu Dhabi, 7.12.2025)

Am vergangenen Wochenende ging die 76. Formel-1-Weltmeisterschaft mit dem Grand Prix in Abu Dhabi zu Ende. Vor dem letzten Rennen hatten noch drei Fahrer die Chance auf den Weltmeistertitel. Das hat Seltenheitswert. Deutsche Motorsportfans mögen sich an das Jahr 2010 erinnern, als die Ausgangslage ähnlich war. Sebastian Vettel raste beim Saisonfinale völlig unerwartet zu seinem ersten von insgesamt vier WM-Titeln für RB Racing, als er die direkten Konkurrenten Fernando Alonso (Ferrari) und Mark Webber (RB Racing) hinter sich ließ – beide hatten sich mit Boxenstopps verzockt. 1986 schnappte sich Alain Prost in einem McLaren im letzten Moment den Titel, nachdem der WM-Führende Nigel Mansell (Williams) wegen eines Reifenschadens ausgeschieden war und dessen Teamkollege Nelson Piquet dem Franzosen nicht hinterherkam.

Die diesjährigen Konkurrenten waren der WM-Führende Lando Norris und sein Teamkollege Oscar Piastri (beide McLaren) sowie der Weltmeister der letzten vier Jahre Max Verstappen (RB Racing). Verstappen war zur Hälfte der Saison bereits weit abgeschlagen und hatte eine Titelverteidigung offiziell schon aufgegeben. Doch ein Wechsel an der Spitze von RB Racing – Teamchef Christian Horner wurde nach 20 Jahren durch Laurent Mekies ersetzt – führte eine Wende herbei. Verstappen dominierte die zweite Saisonhälfte, fuhr in sämtlichen der letzten zehn Rennen aufs Podest und gewann die letzten drei.

Die beiden McLaren duellierten sich während der Saison auf Augenhöhe. Lange sah es danach aus, als würde der 24jährige Australier Piastri in seiner erst dritten Formel-1-Saison tatsächlich den Titel holen können. Doch der erfahrenere Brite Norris, zwei Jahre älter und schon seit sieben Jahren in der Formel 1, schlug zurück. Fünf Rennen vor dem Saisonende übernahm er die Führung in der WM-Wertung und gab sie nicht mehr ab. In Abu Dhabi reichte ihm ein dritter Platz hinter Verstappen und Piastri, um sich mit einem Zwei-Punkte-Vorsprung vor Verstappen ins Ziel zu retten. Verstappen verpasste damit die Chance auf fünf aufeinanderfolgende WM-Titel. Deutsche Formel-1-Fans werden es verschmerzen können, denn damit bleibt diese Leistung einzig Michael Schumacher vorbehalten.

Im Ziel kullerten bei Norris die Tränen. Keine Überraschung. Norris hat das Bild des harten Rennfahrers verändert. Er spricht offen über Nervosität und den Druck, den er verspürt. Ein Familienmensch, der in den Boxen am liebsten seine Mutter herzt. Dem Ruf des Sports tut das gut.

Die Formel 1 ist ein Phänomen. In einer Zeit, in der viel von toxischer Männlichkeit, fossilem Kapital und Klimawandel die Rede ist, geht es ihr besser denn je. Insgesamt sieben Millionen Menschen wohnten den Grands Prix der vergangenen Saison bei, mehr denn je. Bei einem der traditionsreichsten Rennen, dem Grand Prix von Silverstone in England, wurde mit einer halben Million Menschen ein neuer Besucherrekord aufgestellt. Und die Marke expandiert. Bestand die Formel-1-WM vor zehn Jahren noch aus 19 Grands Prix, sind es mittlerweile 24.

Viele Fans sind sehr jung. Die Formel 1 weiß sich zu vermarkten. Die Netflix-Serie »Formula 1: Drive to Survive«, die Einblick hinter die Kulissen gewährt, ist ein Hit, und der Hollywood-Streifen »F1«, in dem Brad Pitt seine ewige Jugend demonstrieren darf, wurde vom siebenfachen Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton mitproduziert.

Aber geschickte Vermarktung allein reicht nicht. Das Produkt Formel 1 lässt im Zeitalter der Wokeness Erinnerungen an eine Ära aufkommen, in der alles noch einfacher, lockerer, irgendwie menschlicher war. Ähnlich wie populistische Parteien schafft es die Formel 1, den Widerspruch zwischen den Privilegierten und gewöhnlichen Menschen irrelevant erscheinen zu lassen. Dazu tragen »Meet the Drivers«-Sessions bei, die scherzende und Anekdoten erzählende Fahrer nahbar machen, ebenso wie »Pit Walks«, die einen Spaziergang durchs Fahrerlager ermöglichen. Aushängeschilder wie Lando Norris helfen, dem Image des harten Rennfahrers eine softe Seite zu verleihen. Ähnlich wie die veganen Hot Dogs, die entlang der Rennstrecken verkauft werden, obwohl sie niemand isst, oder die Hybridmotoren, die ökologisches Engagement vermitteln, obwohl sie heulende Motoren vermissen lassen. Es gelingt, eine Klammer zu schaffen zwischen traditionellen Werten und neoliberaler Offenheit. Kein Wunder, dass sich die Formel 1 kaum um Proteste gegen Rennen in Saudi-Arabien oder Katar scheren muss. Diese passen ins Bild, und die Fans akzeptieren ihre Rolle als Konsumenten.

Lewis Hamilton mag ins Filmgeschäft eingestiegen sein, als Fahrer verlief die vergangene Saison enttäuschend. Erstmals im ikonischsten aller Formel-1-Wagen, dem Ferrari, unterwegs, schaffte er es kein einziges Mal aufs Siegerpodest. Das war ihm in seinen achtzehn Formel-1-Saisons zuvor noch nie passiert. In der Gesamtwertung landete er auf Platz sechs, noch hinter seinem Teamkollegen Charles Leclerc.

McLaren gewann nicht nur den ersten WM-Fahrertitel seit 2008, sondern mit Platz eins und zwei in der Endabrechnung auch überlegen die Konstrukteurswertung. Auf Platz zwei folgte Mercedes. Für das einzige deutsche Formel-1-Team sammelten George Russell und Kimi Antonelli fleißig Punkte, die ganz großen Erfolge blieben jedoch aus. Russell gewann immerhin die Grands Prix von Montreal und Singapur. RB Racing kam dank Verstappens 421 Punkten auf Rang drei – sein Teamkollege Yuki Tsunoda steuerte ganze 33 Punkte bei. Kein Wunder, dass er im kommenden Jahr durch Isack Hajdar ersetzt wird.

Der einzige deutsche Fahrer im Feld, Nico Hülkenberg im Sauber, wurde in der Gesamtwertung tapferer Elfter. Seinen Teamkollegen Gabriel Bortoleto ließ er klar hinter sich. In Silverstone schaffte er es als dritter aufs Podest.

Der extreme Unterschied zwischen der Punkteausbeute Verstappens und Tsunodas scheint zu bestätigen, dass die fahrerischen Qualitäten in der Formel 1 doch nicht zu unterschätzen sind. Allzu oft nehmen Laien an, dass allein die Technik entscheide. Dass sie einen großen Einfluss hat, bleibt freilich unbestritten – ebenso, dass aus diesem Grund die Karten immer wieder neu gemischt werden. In der kommenden Saison wird es zu aerodynamischen Neuerungen sowie wesentlichen Veränderungen bei den Hybridmotoren und Kraftstoffen kommen. Eine anhaltende Dominanz von McLaren ist also alles andere als gesichert. Auch das tut dem Sport gut.

Von Sebastian Friedrich und jW-Autor Gabriel Kuhn ist auf ndr.de das Feature »Ein Rennen gegen die Zeit: Warum boomt die Formel 1?« zu hören.

www.ndr.de/kultur/epg/Ein-Rennen-gegen-die-Zeit,sendung1539994.html

Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug

Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

                                              jW-Jahreskalender für 2026 herunterladen (hier direkt)