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Aus: Ausgabe vom 08.12.2025, Seite 10 / Feuilleton
Jazz

Im Schlaraffenland

Das neue Album »Songbook« des Jazzpianisten Kenny Barron
Von Andreas Schäfler
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Wer kann, der kann: Kenny Barron

Kenny Barron, inzwischen auch schon 82, ist ein Alleskönner am Jazzpiano und seit Jahrzehnten erste Wahl, wenn ein funkelnder Solist und subtiler Begleiter in Personalunion gesucht wird. Als verdienter Hardbop-Veteran hat er im Herbst seiner Karriere selbstverständlich einen langgehegten Wunsch frei und umgibt sich für »Songbook« gleich mit einem ganzen Rudel mehr (Kurt Elling, Ann Hampton Callaway, Tyreek McDole) oder weniger prominenter Jazzsängerinnen und -sänger, die seine Klavierliteratur als Lieder interpretieren. Denn heimlich, still und leise hat eine gewisse Janet Jarrett, vormals Sekretärin von Barrons Saxofonistenbruder Bill, ein gutes Dutzend von Kennys Kompositionen mit prägnanten, sehr jazzgemäßen Texten ausgestattet.

Dass die von vornherein auf verschärfte Phrasierung hin angelegt sind, hört man auf Anhieb, wenn sich hier eine Stimme nach der anderen die jeweils ersten Zeilen vorknöpft. Auch nicht verborgen bleibt die Lust, die es für die singenden sechs Damen und zwei Herren offenbar bedeutet, sich über dem Flow dieser Songs zu exponieren. Der resultiert aus der unvergleichlichen Aero­dynamik von Kenny Barrons langjährigem Trio mit Kiyoshi Kitagawa (Bass) und Johnathan Blake (Schlagzeug), das wie eine gute alte und ewig zuverlässige Propellermaschine funktionagelt.

Mit dem versierten Kunstflieger und seinen untadeligen Bordmechanikern geht es auf »Songbook« zu den tollsten Destinationen im musikalischen Schlaraffenland. Mal wähnt man sich, von Catherine Russells Gospelgesang verhext, in einer Südstaatenkirche, mal mit einem Drink an einem brasilianischen Strand sitzend, wo Cécile McLorin Salvant der Abendsonne eine Bossa-Nova-Melodie hinterherschickt. Was der Jazz sich sonst noch so an Territorien und Stilen einverleibt hat, zaubert Kenny Barrons traditionssattes Klavierspiel unaufdringlich herbei. So auch einen raffiniert synkopierten Calypso, bei dem Tyreek McDole gesanglich glänzen darf.

Wie überhaupt die Stimmen, eine betörender als die andere, das eigentliche Ereignis dieser Einspielung sind. Zwei-, dreimal wird geshoutet, dass sich ein paar Balken biegen, doch das fein säuberlich Elaborierte überwiegt. Die Fähigkeit etwa von Ekep Nkwelle, blitzschnell chamäleonhafte Farbwechsel in ihrem Timbre vorzunehmen, was an die alte hohe Schule von Eddie Jefferson oder Lambert, Hendricks & Ross erinnert. Die Anforderungen an Stimmbildung und Intonation sind auf »Songbook« oft himmelhoch, die an die Klavierbegleitung allerdings nicht minder. Man ahnt jeweils schon, wie Kenny Barron dabei sein nächstes Solo ersinnt, mit dem er unverzüglich um die Ecke kommen wird. Seine zum Teil schon älteren Stücke entwickelt er fortwährend weiter und justiert sie hier für jede einzelne Stimme neu. Man wird ihn wohl nie auch nur einer einzigen Verlegenheitsfloskel überführen können.

It’s the singer, not the song. Oder verhält es sich umgekehrt? Bei Kenny Barrons »Songbook« läuft es auf ein faires Unentschieden hinaus: Alle Beteiligten geben keine Ruhe, bevor nicht die Intimität zwischen Sänger oder Sängerin und Song, aber auch zwischen der Musik und dem zuhörenden Zaungast hergestellt ist. Der ist am Ende zwar satt und zufrieden, ob der versammelten Fachkompetenz und unablässig unter Beweis gestellten Perfektion aber auch ein bisschen erledigt.

Kenny Barron: »Songbook« (Artwork/Integral)

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