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Aus: Ausgabe vom 08.12.2025, Seite 8 / Kapital & Arbeit
Russisches Vermögen in Belgien

Milliardenraub mit legalem Anstrich

Merz will an russisches Vermögen: Belgiens Regierungschef in die Mangel genommen, Schützenhilfe aus der EU-Kommission
Von Gerrit Hoekman
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Merz hat einen Plan: Abendessen in »privatem Rahmen« mit von der Leyen und De Wever am Freitag abend

Am Freitag trafen sich der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz und die Vorsitzende der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, mit dem belgischen Ministerpräsidenten Bart De Wever in Brüssel. Es ging um das auf belgischen Konten eingefrorene und von Euroclear verwaltete Vermögen der Russischen Föderation in Höhe von 185 Milliarden Euro. Die beiden Deutschen und wohl auch die Mehrheit der EU-Staaten wollen das Geld in einen Wiederaufbaukredit für die Ukraine umwandeln, doch De Wever stellt sich quer. Der Termin mit ihm – laut Kanzler in »privatem Rahmen« bei einem Abendessen – war Merz so wichtig, dass er dafür überraschend einen Besuch in Norwegen absagte, um seiner CDU-Parteifreundin von der Leyen beizustehen. De Wever ging seinerseits mit der Rückendeckung des gesamten belgischen Parlaments in das Treffen. In seltener Eintracht sind alle Parteien – angefangen von der marxistischen PTB/PVDA bis hin zum rechtsradikalen Vlaams Belang – der Meinung, dass De Wever recht hat.

»Wir werden keine Risiken eingehen, die Hunderte Milliarden Euro auf Belgiens Schultern laden könnten. Heute nicht, morgen nicht, niemals«, hatte der belgische Regierungschef schon am Mittwoch gegenüber dem flämischen, öffentlich-rechtlichen Sender VRT NWS angekündigt. Das Ansinnen der EU-Kommission komme einer Enteignung gleich, die gegen internationales Recht verstoße. Valerie Urbain, die Vorstandsvorsitzende des in Belgien ansässigen Finanzdienstleisters Euroclear, bei dem die russischen Milliarden eingefroren sind, fürchtete am Freitag in einem Interview mit VRT NWS erhebliche Konsequenzen für ihr Unternehmen. Der Fall berge so viele juristische Fallstricke, dass er schlimmstenfalls den Konkurs von Euroclear zur Folge haben könnte. Zum Beispiel, wenn die Sanktionen gegen Russland dereinst aufgehoben werden und die russische Zentralbank das Geld zurückverlangt, das dann aber in einem Kredit für die Ukraine steckt.

Eine weitere mögliche Folge: Staaten wie etwa China, Indien oder die reichen Länder im Nahen Osten verlieren das Vertrauen in das Rechtssystem der EU und verlagern ihre Investitionen in andere Länder. »Dies könnte zu einem geringeren Interesse an der Finanzierung europäischer Schulden führen, was wiederum höhere Kosten zur Folge hätte«, so Urbain. »Angesichts der Stellung von Euroclear im Finanzsystem und unserer Größe könnte dies auch die Attraktivität des europäischen Marktes beeinträchtigen. Und wenn der Fortbestand von Euroclear bedroht ist, hätte das auch Auswirkungen auf den globalen Finanzmarkt.«

Wie De Wever warnt Urbain außerdem vor möglichen Gegenmaßnahmen Moskaus: »Diese könnten sich nicht nur gegen unsere Kunden richten, sondern gegen sämtliche belgischen Vermögenswerte in Russland.« Die Gefahr ist keineswegs von der Hand zu weisen: »Jede Operation mit den souveränen Vermögenswerten Russlands ohne die Zustimmung Russlands wäre Diebstahl. Und es ist klar, dass der Diebstahl von Mitteln des russischen Staates weitreichende Konsequenzen haben wird«, sagte der russische Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew, am Freitag der Nachrichtenagentur AFP zufolge. Dies würde zur »Zerstörung der Grundlagen des globalen Finanzsystems« führen, »was vor allem die Europäische Union treffen wird«.

Das in Belgien eingefrorene russische Geld »wäre besser in Friedensverhandlungen investiert, anstatt eine extrem komplexe und riskante Rechtsstruktur zu schaffen und dann diese Verhandlungsmacht zu verlieren«, schlägt Urbain vor. Immerhin mache das Vermögen etwa zehn bis 15 Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts aus und sei deshalb ein veritables Druckmittel gegenüber Moskau.

Merz und Von der Leyen beharren indes auf ihrem Plan und weisen den Vorwurf der Enteignung weiterhin zurück. »Wir haben heute abend einen sehr konstruktiven Meinungsaustausch zu diesem Thema geführt. Belgiens konkrete Bedenken hinsichtlich der möglichen Verwendung eingefrorener russischer Vermögenswerte sind unbestreitbar und müssen in jeder denkbaren Lösung berücksichtigt werden, damit alle Staaten das gleiche Risiko tragen«, hieß es in einem offiziellen Statement des Kanzlers. Auf dem EU-Gipfel am 18. und 19. Dezember soll nun endgültig über die Verwendung des russischen Vermögens entschieden werden.

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