Irrwege nach Winterberg
Von Gabriel Kuhn
An diesem Wochenende beginnt die Weltcupsaison der Rodler in Winterberg. Das war so nicht geplant. Eigentlich hätte der Weltcupauftakt in Innsbruck stattfinden sollen. Doch die dort für 30 Millionen Euro renovierte Bahn ist zu gefährlich. Eine Chronologie der Ereignisse:
Am 5. April 2024 erfolgt mit viel Tamtam der Spatenstich zum Umbau des »Olympia Eiskanals Igls«, der ursprünglich für die Olympischen Spiele 1976 gebaut worden war. »Eine der modernsten Anlagen der Welt« soll entstehen, wie es der Bahnbetreiber Olympiaworld formuliert, ein Unternehmen im gemeinsamen Besitz der Stadt Innsbruck und des Landes Tirol.
Im Herbst 2025 ist der Umbau fertig. Der Auslauf wurde verlängert, ein neuer Damenstart und ein neues Zielhaus errichtet und das untere Bahndrittel neu gestaltet. Was noch aussteht, ist die Homologisierung, also die Bestätigung des Internationalen Bob- und Skeletonverbandes IBSF und des Internationalen Rodelverbandes FIL, dass die Bahn für internationale Wettbewerbe tauglich ist. Was reine Formalität sein sollte, wird zur Farce.
Die Topathleten, die die Bahn am 9. November testen, halten sie für unfahrbar. Der Österreicher Wolfgang Kindl, der 2017 in Innsbruck-Igls WM-Gold gewann, bringt es auf den Punkt: »Wir zählen zu den Besten in unserem Sport. Wenn wir hier nicht sauber runterkommen, ist es unerfahreneren Rodlern definitiv nicht zumutbar.« Vor allem die Kurven 13 und 14 werden beanstandet.
Um ein Desaster zu vermeiden, geben IBSF und FIL den Veranstaltern einige Tage Zeit für Nachbearbeitungen. An den Banden der Kurven 13 und 14 wird eine neue Holz-Stahl-Konstruktion hochgezogen und die Eisdicke an einigen Stellen verändert. Für die Bob- und Skeletonfahrer ist die Bahn nun in Ordnung. Für die Rodler jedoch immer noch nicht. Der Österreichische Rodelverband (ÖRV) lässt den Weltmeister von 2023, Jonas Müller, testen, allerdings nur vom Juniorenstart. Müller hatte sich schon bei seiner ersten Probe abgemüht. Nun wird er in den Kurven 13 und 14 wieder gegen die Bande geschleudert. Sein nüchternes Urteil: »Die Bahn freizugeben, wäre aus meiner Sicht im Augenblick unverantwortlich.«
Der ÖRV verzichtet auf weitere Testläufe, andere Nationen erst recht. Der Weltcupauftakt für die Rodler wird abgesagt. Und es kommt noch schlimmer: Obwohl die Homologisierung für Bob und Skeleton erfolgte, verloren die Skeletonfahrer aufgrund der Extraarbeiten an der Bahn so viele Trainingstage, dass sie sich mehrheitlich gegen ein Antreten in Innsbruck aussprachen. So bestritten einzig die Bobfahrer am vergangenen Wochenende ihren Weltcupauftakt in Innsbruck plangemäß – die deutschen Bobs sicherten sich dabei neun von zwölf Podestplätzen.
Während der Wettbewerb der Skeletonfahrer nun kurz vor Weihnachten in Sigulda in Lettland stattfinden soll, sprang Winterberg kurzfristig als Ersatz für die Rodler ein. FIL-Präsident Einars Fogelis stellte in einer Presseaussendung fest: »Die Bereitschaft von Winterberg, innerhalb weniger Tage einzuspringen, ist ein starkes Zeichen des Zusammenhalts in unserer Rodelfamilie. Diese Solidarität zeigt, was unseren Sport ausmacht.«
In Winterberg werden damit in dieser Saison zwei Weltcupwochenenden stattfinden. Eines war bereits für den 10./11. Januar geplant. Auch in Oberhof wird der Weltcuptross zweimal Halt machen. Der Thüringer Wintersportort erklärte sich im Juli bereit, für Schönau am Königssee einzuspringen. Dort sollte erstmals nach der schweren Beschädigung der Bahn durch einen Erdrutsch 2021 wieder ein Weltcupwettbewerb stattfinden. Doch die Renovierungen – in dem Fall für 53 Millionen Euro – ließen sich nicht zeitgerecht abschließen, da Schäden an der Kälteleitung übersehen worden waren.
Es ist ein Kreuz mit den Bob- und Rodelbahnen. Sie kosten viel Geld und sind nicht unbedingt nachhaltig. Einige, die in den letzten Jahrzehnten für Großereignisse gebaut wurden, sind dem Verfall preisgegeben, darunter die 100-Millionen-Euro-Bahn der Olympischen Winterspiele von Turin 2006.
Lange wurde diskutiert, ob eine neue Bahn für die Olympischen Spiele in Cortina d’Ampezzo 2026 gebaut werden sollte. Sogar das Internationale Olympische Komitee war dagegen. Doch rechte Politiker in der Region Venetien und der italienischen Regierung setzten sich durch. Eine Auslagerung der Bob- und Rodelwettbewerbe? Niemals! (Fun Fact: Innsbruck war ein heißer Kandidat.) So wurden 110 Millionen Euro locker gemacht, um eine neue Bahn aus dem Boden zu stampfen. Auch diese wurde im November getestet – wenigstens waren die Athleten dort zufrieden.
In Innsbruck droht nun ein Rechtsstreit. Das Stuttgarter Planungsbüro Deyle, mit Bob- und Rodelbahnen durchaus vertraut, weist alle Schuld von sich. Gleichzeitig haben sich die Politiker in Österreich spätestens 2027 gegenüber den steuerzahlenden Wählern zu verantworten. Es bleibt abzuwarten, wer hier die nächsten Schritte setzt.
In Winterberg wird es den Athleten hoffentlich gelingen, sich auf das Sportliche zu konzentrieren. Die Ausbeute des deutschen Teams könnte jener der Bobfahrer nahekommen. Mit Ausnahme des Damendoppelsitzers haben nur deutsche Athleten Weltcuptitel aus der Vorsaison zu verteidigen.
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