Südkorea ein Jahr danach
Von Martin Weiser, Seoul
Vor einem Jahr hat der damalige Präsident Yoon Suk Yeol das Kriegsrecht ausgerufen und Südkorea in eine wirtschaftliche und politische Krise gestürzt, die noch immer nicht überwunden scheint. In Yoons People Power Party (PPP) möchte man aber nicht wirklich von ihm lassen. Der Partei- und Fraktionsvorsitzende der konservativen PPP bedauert es zwar öffentlich, dass es zur Ausrufung des Kriegsrechts kam. Aber nur 25 der 107 PPP-Abgeordneten im Parlament in Seoul gingen so weit, sich auch von allen in der Partei zu distanzieren, die Yoon bei diesem Verfassungsbruch unterstützt hatten.
Der im Juni neugewählte Präsident Lee Jae Myung von der Demokratischen Partei hatte bei seiner Rede anlässlich des Jahrestages am Mittwoch eigentlich leichtes Spiel. Er musste nur die Bürger für ihren Einsatz gegen die Abriegelung des Parlaments loben und meinte sogar, die Südkoreaner hätten für diesen gewaltlosen Widerstand den Friedensnobelpreis verdient. Den 3. Dezember werde man dementsprechend von jetzt ab als einen Feiertag begehen. Inhaltlich war Lee aber mehr an der Zukunft interessiert und weniger an den eigenen Fehlern. Schließlich hätte seine Partei unter anderem Yoons Lügenpropaganda über den Norden vor Ausrufung des Kriegsrechts auseinandernehmen können. Vielleicht aus Angst, als »Nordkoreaversteher« verhöhnt zu werden, lässt man bis heute die Finger davon. Yoon hatte den Kurs gegen Pjöngjang vor seinem erzwungenen Abgang deutlich verschärft.
Lee sprach die Kriegspläne seines Amtsvorgängers auch explizit an. Yoon wollte nachweislich eine militärische Auseinandersetzung mit dem Norden anzetteln, um per Kriegsrecht all seine Kritiker auszuschalten. So planten Yoon und dessen Verteidigungsminister Kim Yong Hyun, einen Erstschlag auszuführen. Es überrascht jedoch, dass Lee in seiner Rede als Staatsoberhaupt keinerlei Worte für die Demokratische Volksrepublik Korea übrig hatte. Schließlich betont er regelmäßig, dass die beiden Länder wieder miteinander reden müssten. Die stete Erinnerung der Demokratischen Volksrepublik, dass man sehr an einem Ende der gemeinsamen Militärübungen mit den USA interessiert sei, wird von Lees Regierung gleichsam stiefmütterlich behandelt.
Yoon meldete sich zum Jahrestag ebenfalls aus seiner Gefängniszelle zu Wort, hatte aber außer Plattitüden für seine Unterstützer nichts mitzuteilen. Einsichtig hat er sich bisher auch bei seinen vielen Gerichtsauftritten nicht gezeigt. Die aufgezeichneten Sitzungen lassen eher einen alten Mann vermuten, der sein wahres Gesicht unter Alkoholeinfluss offenbart. So soll er etwa im Juli 2024 den Vorsitzenden seiner eigenen Partei, Han Dong Hoon, in betrunkenem Zustand als Kommunisten bezeichnet und später gescherzt haben, er würde ihn eigenhändig erschießen, wenn jemand ihn herbringen würde. Han landete dann im Kriegsrecht am 3. Dezember prompt auf einer Liste von Politikern, die eingesperrt werden sollten.
Zeitgleich zu den Zeugenaussagen vor Gericht trauen sich jetzt auch langsam Leute der untersten Ebenen, weitere Details preiszugeben. Ein ehemaliger Soldat steckte zum Beispiel erst vor kurzem der Zeitung Hankyoreh, dass das südkoreanische Militär bereits seit Oktober 2023 per Ballon Flugblätter in den Norden geschickt hatte. Es war bereits bekannt, dass die Yoon-Regierung den Norden so lange provozieren wollte, bis man die Zuspitzung der Lage an der Grenze als Anlass für die Ausrufung des Kriegsrechts hätte nehmen können. Im Herbst 2024 schreckte man auch nicht vor Drohnenflügen über Pjöngjang und Kim Jong Uns Privatresidenz zurück. Anscheinend, weil man mit den Flugblättern per Ballon bis dahin nicht die gewünschte Reaktion erzielt hatte.
Bis Yoon in letzter Instanz für seinen Umsturzversuch verurteilt wird, könnten noch einige Jahrestage verstreichen. Das Seouler Gericht, vor dem der Fall verhandelt wird, wird wohl erst im Januar ein Urteil fällen – und der Angeklagte bis zur letzten Instanz seine Schuld leugnen. Laut Gesetz könnten die Richter Yoon zum Tode verurteilen. Im November 2022 soll dieser gesagt haben, er werde den Ausnahmezustand ausrufen, auch wenn er dafür vor das Erschießungskommando komme. Das liest sich nun fast prophetisch, wobei in Südkoreas Justizsystem seit 1997 niemand mehr hingerichtet worden ist.
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