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Aus: Ausgabe vom 04.12.2025, Seite 16 / Sport
DOSB

»Ein schweres Versäumnis«

Über sein zerrüttetes Verhältnis zum DOSB und das 75. Jubiläum des Sportdachverbands. Ein Gespräch mit Detlef Kuhlmann
Von Andreas Müller
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»Das Vorgehen des DOSB ist für mich nicht nachvollziehbar. Es gibt keinen ›Geschichtsverantwortlichen‹ mehr.« – Detlef Kuhlmann

Sie leiten das Niedersächsische Institut für Sportgeschichte (NISH) und gelten als profunder Kenner der Historie deutscher Sportverbände und Landessportbünde. Am 10. Dezember begeht der Dachverband DOSB sein 75jähriges Jubiläum, die Vorläuferorganisation Deutscher Sportbund (DSB) wurde 1950 in Hannover gegründet. Beim Deutschen Olympischen Sportbund sind Sie »Persona non grata«, haben Hausverbot. Gibt es eine Chance, dass Sie am Festakt in Hannover teilnehmen dürfen?

Nein, ich habe keine Einladung erhalten. Statt dessen werde ich an diesem Tag als Mitglied des Hochschulrates der Deutschen Sporthochschule in Köln an einer Sitzung teilnehmen, die kurzfristig auf den 10. Dezember verlegt wurde.

Sachlich-fachlich betrachtet hätten Sie vermutlich sogar ins Zentrum des DOSB-Festaktes und dessen Vorbereitung gehört.

Schon im Herbst 2024 hatte ich den Dachverband des Sports auf dieses wichtige Jubiläum hingewiesen und zugleich erste konzeptionelle Überlegungen vorgelegt. Tatsächlich gab es dann im Februar 2025 die Anfrage eines DOSB-Vorstandsmitglieds bei einem Vorstandsmitglied des NISH, doch unter der Bedingung, dass auf meine Mitwirkung vollständig verzichtet wird. Dem hat das Institut klar widersprochen und sich nicht erpressen lassen. Später hat ein anderes DOSB-Vorstandsmitglied mir persönlich mitgeteilt, es würde keine Feier zum 75jährigen Jubiläum geben, weil der Verband schlechte Presse befürchtet. Immerhin: Man hat sich doch noch eines Besseren besonnen. Es gibt jetzt einen Festakt, wenngleich einen eher dürftigen.

Wie kam es zu diesem Bruch?

Im März 2025 habe ich eine E-Mail erhalten, die ich als Tätigkeitssperre auf Lebenszeit mit faktischem Hausverbot deute. Sie war von einem Vorstandsmitglied unterzeichnet, das ich persönlich gar nicht kannte. Ein Vorwurf lautet, ich hätte eine schriftliche Vereinbarung mit der DOSB-Kommunikationsabteilung missachtet. Eine solche Vereinbarung ist mir bis heute unbekannt. Sie wurde mir trotz wiederholter Nachfrage bis heute nicht vorgelegt. Für andere Vorwürfe fehlen seitdem ebenfalls substantielle Begründungen. Deswegen habe ich den neuen DOSB-Vorstandsvorsitzenden Otto Fricke um Aufklärung gebeten. Bislang ohne Reaktion.

Ist das Ausdruck eines veränderten Umgangs des DOSB mit seiner Geschichte?

Das Vorgehen des DOSB ist für mich nicht nachvollziehbar. Es gibt keinen »Geschichtsverantwortlichen« mehr. Ich hatte in letzter Zeit sehr wohl bemerkt, dass von mir vorgeschlagene Themen immer häufiger abgelehnt wurden – einmal musste erst der Vorsitzende der Sportorganisation Makkabi Deutschland bemüht werden, damit eine Buchbesprechung von mir zur Geschichte des jüdischen Jugendsports in Berlin doch noch Eingang in die DOSB-Medien fand. Das alles ist sehr traurig, von der nachlassenden bzw. inzwischen fast gänzlich ausbleibenden Würdigung verdienter Persönlichkeiten des Sports beim Dachverband anlässlich von runden Geburtstagen ganz zu schweigen. Ich verfüge über ein umfangreiches Archiv zum deutschen Sport und erhalte zum Beispiel bei Jubiläen viele Anfragen. Wenn ich so etwas beim DOSB nicht mehr publizieren darf, grenzt das schon deutlich an Geschichtsvergessenheit.

Was sich zugleich im lieblosen Festakt spiegelt. In dessen Zentrum steht eine etwa 60minütige Talkrunde mit der DOSB-Vizepräsidentin Kerstin Holze sowie Andreas Höfer, dem Direktor des Sport- und Olympiamuseums, Reinhard Rawe vom Landessportbund Niedersachsen und einer Nachwuchssportlerin. Wie blicken Sie auf diese Veranstaltung?

Ich habe dem DOSB-Vorstand konkrete Vorschläge unterbreitet, wie eine solche Festveranstaltung würdig und angemessen gestaltet werden sollte – zuletzt noch einmal vor wenigen Tagen und bisher ohne Reaktion. Gäste, an die Einladungen ergingen, müssen sich angesichts des schmalen Programms jedoch fragen, ob der Aufwand mit Reise- und Aufenthaltskosten lohnt, um für ein Stündchen dort dabeizusein. Der Hodler-Saal im Neuen Rathaus von Hannover bietet beim Festakt gerade mal 80 Personen Platz – und das zum Geburtstag einer riesigen Sportfamilie mit über 29 Millionen Mitgliedern. Sehr seltsam das alles, der Rahmen wie das Programm. Fast bin ich geneigt zu sagen: unwürdig. Und erinnere mich an die sehr gelungene zweitägige Veranstaltung anlässlich des 50. Geburtstages des DSB vor 25 Jahren. Damals, im Dezember 2000, hatten sogar der damalige Bundespräsident Johannes Rau und der für Sport verantwortliche Bundesinnenminister Otto Schily den Weg nach Hannover gefunden.

Was möchten Sie dem Dachverband zum 75. mit auf den Weg geben?

Ich sehe weiterhin große Potentiale für den Dachverband – gerade, wenn er an das anknüpfen würde, was ihm der DSB 2006 bei seiner Fusion mit dem Nationalen Olympischen Komitee zum DOSB als bedeutendes Erbe überlassen hat: Nämlich den Sport als wichtiges Kulturgut unserer Zeit zu erhalten, zu pflegen und zu fördern und dabei gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Die Arbeit unserer rund 86.000 Sportvereine wurde 2021 von der UNESCO zum »Immateriellen Kulturerbe« erhoben. Eine große Auszeichnung für den DOSB, die besonders erfreulich ist, weil sie diese einmalige Vereinslandschaft des Sports von ihren Wurzeln her würdigt. Dem Dachverband ist es bis heute nicht gelungen, diese identitätsstiftende Würdigung zum Wohle seiner »gemeinwohlorientierten Sportvereinskultur« sichtbar zu machen und zu nutzen. Meines Erachtens ein schweres Versäumnis.

Sehen Sie Chancen, das Verhältnis zu kitten? Eine gute Gelegenheit wäre die beim DOSB immer noch ausstehende Würdigung des vor fünf Jahren verstorbenen Sportfunktionärs Walther Tröger.

Was das betrifft, warte ich weiterhin zuversichtlich auf versöhnliche Signale. Ein erster Schritt wäre, mich zu den Vorwürfen wegen der Tätigkeitssperre zunächst einmal anzuhören. Dazu ist es bisher nicht gekommen. Ich weise diese Vorwürfe zurück und würde sie gern ausräumen. Meinetwegen auch auf informellem Weg: Der Ehemann eines DOSB-Vorstandsmitglieds ist mein ehemaliger Dienstherr an der Leibniz-Universität Hannover. Mit ihm bin ich sogar über gemeinsame Wettkämpfe im Langstreckenlauf sportkameradschaftlich verbunden. Was die Verdienste von Walther Tröger angeht, der am 30. Dezember 2020 verstarb, steht der DOSB selbst im Wort, die seinerzeit wegen Corona ausgefallene Trauerfeier nun anlässlich seines fünften Todestages endlich nachzuholen. Ich habe den Vorschlag unterbreitet, den traditionellen DOSB-Neujahrsempfang 2026 an seinem Stammsitz in Frankfurt zu nutzen. Auch diese Beziehung zur Stadt liegt sehr nahe. Schließlich hat Walther Tröger als langjähriger Präsident des NOK und Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees vor allem hier gewirkt und wurde schon 1989 mit der Ehrenplakette der Stadt Frankfurt ausgezeichnet.

Professor Detlef Kuhlmann (71) lehrte und forschte mit dem Schwerpunkt Sportpädagogik und Breitensport bis zu seinem Ruhestand 2023 an der Leibniz-Universität in Hannover sowie zuvor an der Universität Bielefeld, der FU Berlin und an der Universität Regenburg. Zwischen 1988 und 1992 war er Vizechef der Führungsakademie Berlin des DSB.

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