Mit Davidstern und Kufija
Von Matthias Reichelt
Bei dem Thema wird in Deutschland genauer hingeguckt. Seit dem 16. November ist im privaten Potsdamer Museum Fluxus Plus die Ausstellung »Comune. Das Paradox der Ähnlichkeit im Nahostkonflikt« des italienischen Künstlers Costantino Ciervo zu sehen. Ciervo wurde 1961 in Neapel geboren, studierte dort Ökonomie und Politik und wurde freier Künstler. Später studierte er Philosophie und Kunstwissenschaften in Berlin, wo er mittlerweile seit einigen Jahrzehnten lebt. Seine Karriere begann er als Maler und Zeichner, dann erweiterte er sein Spektrum mit Medienkunst. Der Marxist ist für seine aufwendigen, multimedialen Skulpturen und Installationen bekannt, mit denen er auf ungemein ästhetische Weise die Ursachen von Ausbeutung, Unterdrückung, Krieg, Flucht und Vertreibung thematisiert. Seine Werke finden sich in zahlreichen öffentlichen europäischen Sammlungen, ferner in Korea und bei der Weltbank in den USA. Seit 1997 hat der Betreiber des Museum Fluxus Plus, Heinrich Liman, für dessen Bestände viele Werke Ciervos erworben.
Die gegenwärtige Schau behandelt Aspekte des seit 1948 andauernden Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern, dem Ciervo bereits diverse Arbeiten gewidmet hat. In »Pale–Judea« (2002/2011) sind zwei kleine Monitore auf einer sich permanent bewegenden Waage montiert. Auf den Bildschirmen ist der Schauspieler Horst Günter Marx zu sehen, der auf dem einen als Palästinenser und auf dem anderen als Jude erklärt, warum er Anrecht auf das Land habe. Die Ableitungen und Erklärungen gleichen sich. Dennoch weiß Ciervo, dass es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Okkupanten und Okkupierten gibt und dass den Palästinensern bis heute ein eigener Staat verweigert wird. In der Ausstellung appelliert er, dass »zwei Völker mit eng verflochtenen Wurzeln« zu einer communitären Kooperation finden müssen, anstatt sich aufgrund komplexer ökonomischer und globalstrategischer Interessen aufeinanderhetzen zu lassen.
In dem Zyklus von acht Gemälden hat der Künstler Porträts von Palästinensern mit Hilfe von KI in israelische verwandelt und beide Figuren nebeneinander mit Davidstern und Kufija gemalt, um deren Gleichheit aus humanistischer Sicht zu demonstrieren. Kunst soll und muss Denkräume öffnen. Ähnlich intendiert ist Ciervos meisterlich gemaltes Porträt von Anne Frank mit roter Kufija, an einem Tisch mit iPad sitzend. Wie würde sich Anne Frank heute zum Nahostkonflikt positionieren? Wie würde sie sich anlässlich der genozidalen Politik Israels in Gaza verhalten? Würde sie wegen ihres Humanismus, den ihre Tagebücher dokumentieren, wie zahlreiche jüdische Intellektuelle ihre Stimme gegen die israelische Politik erheben?
Bei der Ausstellungseröffnung blieb es dem Kokurator und Geschäftsführer des Museums, Tamás Blénessy, überlassen, ein zweites Paradox hinzuzufügen. Denn er hielt eine explizit prozionistische Rede, was im Publikum die Frage aufwarf, warum er die Ausstellung überhaupt kuratiert hat. Die Zeitung Potsdamer Neueste Nachrichten, die zum Berliner Tagesspiegel gehört, formulierte zuerst einen Antisemitismusverdacht. Umgehend meldete sich der Brandenburger Antisemitismusbeauftragte Andreas Büttner, einst Mitglied der CDU, dann der FDP, heute Die Linke, der etwa für seine Einschätzung bekannt ist, die Anerkennung eines Staates Palästina sei »der falscheste Schritt, den man gehen könnte«. Wenig überraschend befand Büttner am 26. November in einer gemeinsamen Presseerklärung mit Evgueni Kutikow, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde der Stadt Potsdam, Ciervos Anne-Frank-Porträt reproduziere »Muster des Post-Schoah- und israelbezogenen Antisemitismus. Sie dienten dazu, Palästinenser zu den ›neuen Juden‹ zu stilisieren – ein historisch unhaltbares Narrativ, das den Terror islamistischer Gruppen überdeckt.« Sie erwarteten von den Verantwortlichen des Museums, »die notwendigen Konsequenzen« zu ziehen und die Ausstellung »entweder grundlegend überarbeiten oder einstellen« zu lassen.
Es verwundert, mit welcher Rigorosität von Menschen, die die Ausstellung nicht einmal gesehen haben, deren Schließung gefordert wird. Eine höchst befremdliche Einlassung, sowohl, was das zugrundeliegende Antisemitismusverständnis als auch das Verhältnis zur Kunstfreiheit anbelangt.
Bei diesem wie bei all den anderen »Skandalen« der vergangenen Jahre ist es doch immer dasselbe: Judentum, Israel und Zionismus werden gleichgesetzt. Von Künstlern wird vorab eine Distanzierung von der Hamas verlangt, um allenfalls leichte Kritik an der israelischen Politik vorbringen zu dürfen. Eine Aporie: Wenn die Vorgeschichte des Angriffs vom 7. Oktober 2023 thematisiert wird, ist es »Relativierung« – auf sie zu verweisen, entweder »Whataboutism« oder Legitimierung der Gewalt. Diese falschen Prämissen, die auch Linke übernehmen, beweisen den Erfolg der proisraelischen Propaganda in Deutschland.
»Costantino Ciervo: Comune. Das Paradox der Ähnlichkeit im Nahostkonflikt«, museum FLUXUS+, Potsdam, bis 1. Februar 2026
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