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Aus: Ausgabe vom 03.12.2025, Seite 9 / Schwerpunkt
Immobilienhaie

Benkos Spuren in Berlin

Schadensbegrenzung: Investmentruinen der Signa-Holding – und ein Senat, der den »Selfmade-Milliardär« lange hofierte
Von Oliver Rast
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Optische Barriere: Hochhausturm »Mynd« zerstört östliche Sichtachse auf den Berliner Fernsehturm

Sie öffneten ihm Türen, sie suchten seine Nähe, sie umgaben sich gern mit ihm – kurz gesagt: Politisch Verantwortliche hofierten den »Selfmade-Milliardär« René Benko. Mit Charme, Chuzpe und Chefkomplex inszenierte sich der Tiroler Schulabbrecher dabei als visionärer Baumeister, der Innenstädte in Tummelplätze für eine finanzstarke Klientel verwandeln wollte. Auch in Berlin.

Doch als Zinsen stiegen und Märkte kippten, wurde aus dem Aufstieg ein Sturzflug. Benkos Prestigeprojekte entpuppten sich als Baugruben ohne Fundament, in denen Milliarden Euro versickerten – meist wohl fremdes Kapital. Im November 2023 meldete Signa Real Estate Insolvenz an; zentrale Bauvorhaben wurden gestoppt. Einen Monat später fiel auch die Muttergesellschaft Signa Holding. Benko sitzt inzwischen in Haft. Vor dem Landgericht Innsbruck wurde er kürzlich wegen betrügerischen Bankrotts zu zwei Jahren verurteilt. Weitere Verfahren werden folgen.

Die prominentesten Baustellen Benkos befinden sich am Alexanderplatz, Hermannplatz und Kurfürstendamm – alles Filialen der früheren Warenhauskette Galeria Karstadt-Kaufhof (GKK) (heute: Galeria), die er bis zur Insolvenz der Signa Real Estate sukzessive übernommen hatte.

Wie viele »Entwicklungsflächen« aus der Signa-Insolvenzmasse es in Berlin gibt, ist unklar. Eine Projektliste liege der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (SenStadt) nicht vor, so ein Sprecher von Ressortchef Christian Gaebler (SPD) gegenüber jW. Selbst Fachpolitiker aus dem Abgeordnetenhaus (AGH) wie Julian Schwarze (Bündnis 90/Die Grünen) rätseln. Dafür brauche es »Einblick in die Signa-Bücher«, sagte der stadtentwicklungspolitische Fraktionssprecher der jW. Klar sei nur: Neben bekannten Großprojekten gab es kleinere, »die kaum öffentlich thematisiert wurden« – etwa das denkmalgeschützte Bremsenwerk am Ostkreuz.

Aktuell fällt besonders das Hochhausprojekt »Mynd« am Alex in seiner letzten Bauphase ins Auge – ein 140 Meter hoher Turm direkt am Galeria-Gebäude, der die Sicht auf den Fernsehturm versperrt. Die Commerz Real, Immobilienfirma der Commerzbank-Gruppe, hatte im Februar 2024 mitgeteilt, das Objekt übernommen zu haben.

Ein Blick nach Charlottenburg-Wilmersdorf: das Büroprojekt »Glance« in der Franklinstraße 8 am Spreebogen und die »Mall of Ku’damm« am Kurfürstendamm 231. Letztere ursprünglich als »Hochhauscluster« geplant, nun auf ein Mehrgeschossgebäude reduziert. Für beide Grundstücke seien neue Eigentümer gefunden worden, heißt es aus der Stadtentwicklungsabteilung des Bezirksamts (BA) auf jW-Nachfrage. Während die Planung für die Franklinstraße weit vorangeschritten ist, »werden zum Projekt am Kurfürstendamm 231 auf Basis des Rahmenplans mit dem neuen Eigentümer erst Gespräche aufgenommen.«

Völlig offen bleibt die Lage am Hermannplatz in Neukölln. Laut ursprünglichem Benko-Plan sollte das ehemalige Karstadt-Kaufhaus grundlegend umgebaut und dem historischen Bau von 1929 nachempfunden werden. Nach dem Signa-Fiasko ist nichts passiert – der Senat hat alle Baumaßnahmen bis heute ausgesetzt.

Zur Bankrottgeschichte von Signa gehört, dass Senat und BA Charlottenburg-Willmersdorf Benko den roten Teppich ausrollten – mit einem Letter of Intent (LOI) im Sommer 2020 und einer Kooperationsvereinbarung vom September 2022 für den Block rund um den Kurfürstendamm. Zwei – nicht rechtsverbindliche – Absichtserklärungen für den Erhalt der GKK-Häuser und »für die städtebauliche Entwicklung«, so der SenStadt-Sprecher. Aber: Mit der Insolvenz der Signa-Holding seien beide informellen Erklärungen obsolet.

Kritiker sprechen hingegen von »Blankochecks« für Benko, mit denen sich Regierungsmitglieder in der Stadt faktisch in die Rolle des Erfüllungsgehilfen eines privaten Projektentwicklers gebracht hätten. Dabei gab es früh Hinweise auf Benkos »Erfolgsmasche«: überbewertete Immobilien, spekulative Bodenpreise, verschachteltes Firmenkonstrukt mit mehr als 1.000 Gesellschaften. Schwarze von den Grünen: »Es war von Anfang an ein Fehler, Signa als Partner zu akzeptieren.« Selbst Frank-Christian Hansel, Sprecher für Wirtschaft und Energie der AfD-Fraktion im AGH, kritisiert gegenüber jW das Hofieren Benkos durch den früheren »rot-rot-grünen« Senat unter Michael Müller (SPD): »Der LOI war politisch bequem, aber stadtentwicklungspolitisch fahrlässig.« Vorfestlegungen auf private Bauprojekte »für weiche Jobzusagen« dürfe es nicht mehr geben – also: »Keine stadtweiten ›Paketdeals‹ mit nur einem Investor.«

Und nun? Eine parlamentarische Aufarbeitung, gegebenenfalls mit einem Untersuchungsausschuss? Vielleicht. Zuvorderst brauche Berlin aber bezahlbaren Wohnraum statt Büroleerstand und Luxusapartments, betonte Grünen-Politiker Schwarze. Ziel sei gemeinwohlorientierter Wohnungsneubau – auch auf geeigneten Ex-Signa-Flächen. Dafür müsse der »schwarz-rote« Senat von Kai Wegner (CDU) mehr Vorkaufsrechte erlassen, »um Einfluss auf die Entwicklung nehmen zu können«. Um Leerstand zu vermeiden, seien zudem kulturelle und kreative Zwischennutzungen denkbar. Und nicht zuletzt müsse der Senat prüfen, »welche Immobilien für eine Nutzung durch die öffentliche Hand in Frage kommen«, sprich: auf Sicht vergesellschaftet werden können.

Was bleibt, ist Schadensbegrenzung – und der Merksatz: Wer Investoren hofiert, sollte vorher in deren Bücher blicken.

Crimestory: Signa-Imperium

Er hat es geschafft. Er wird in die Annalen eingehen. In die Chronik der Wirtschaftsgeschichte Österreichs – als Bankrotteur der Superlative: René Benko, Gründer der Signa Holding. Zur Crimestory: Für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (kurz WKStA) ist die »Causa Benko/Signa« ein Fahndungserfolg. Die spezielle Anklagebehörde mit Sitz in Wien wirft dem Immobilienmogul nach dem Crash seines Imperiums die größte Pleite in der Alpenrepublik vor. Die Delikte: verschobene Vermögenswerte, getäuschte Investoren, geschädigte Gläubiger.
Bereits 2023 und mehr noch 2024 stürzte das Firmenkonglomerat in die Insolvenz. Mehr als 3.000 Gläubiger meldeten Forderungen von rund 40 Milliarden Euro an. Im Oktober dieses Jahres verurteilten die Richter des Landesgerichts Innsbruck Benko im ersten Strafprozess wegen betrügerischer Konkursvergehen zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung. Im Dezember muss der »visionäre Baumeister« erneut vor Gericht erscheinen. Diesmal geht es um Luxusuhren, Diamanten und Bargeld, die er mutmaßlich mit Hilfe seiner Ehefrau versteckt haben soll.

Den Signa-Konkurs nahmen die Grünen jüngst im Nationalrat zum Anlass, Maßnahmen gegen Wirtschaftskriminelle zu fordern. Denn: Zwei Jahre nach dem Kollaps seien die Schlupflöcher, die Benko und sein Konzern nutzten, noch immer offen. Nina Tomaselli, finanzpolitische Fraktionssprecherin, sprach von »Wutröte« bei ehrlichen Betrieben und warf der ÖVP-SPÖ-Neos-Bundesregierung Untätigkeit vor – ein Gesetzesvorschlag ihrer Parteikollegin und Sprecherin für Justiz, Alma Zadić, sei bis heute blockiert, ein Grünen-Antrag mehrfach vertagt worden. Das »grüne« Duo fordert höhere Strafen für Bilanztricks, strengere Regeln für Stiftungen und Luxusimmobilien.

Zadić erinnerte zudem daran, dass »die Benkos dieser Welt« sich nicht am Sparen beteiligen, und forderte endlich Konsequenzen: Verluste dürften nicht sozialisiert, Gewinne nicht verschleiert werden. Ferner verlangen die Abgeordneten eine Strafbemessung nach Umsatz – und nicht zuletzt kritisieren sie, dass die Betrugsbekämpfungsoffensive ohne zusätzliches Personal ins Leere laufe.

Die SPÖ beklagte, Steuerzahler müssten für die »größte Unternehmenspleite Österreichs« haften, und pochte auf das Schließen weiterer Steuerlücken. Die FPÖ sprach von einem »Sumpf« und warf Grünen und ÖVP während ihrer vergangenen Koalition Versagen vor; die ÖVP hingegen betonte, bestehende Pflichten seien nicht eingehalten worden, und man dürfe keinen »Generalverdacht« gegen alle Unternehmen schaffen.

Vom Parlamentszwist abgesehen: Benko bleibt Posterboy, steht weiter im Blitzlichtgewitter – trotz Karriereknick und neuem Stammsitz im Häfn. (or)

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