Israelische NGOs dokumentieren Genozid
Von Helga Baumgarten
Schon in den beiden Jahren zuvor waren die Zahlen unfassbar hoch – aber 2025 hat das israelische Militär noch mehr Palästinenser im Gazastreifen getötet. Es war das Jahr mit den meisten Opfern seit Beginn der Besatzung 1967. Zu diesem Schluss kommt ein am Montag veröffentlichter Bericht von »Die Plattform«, in der zwölf Menschenrechtsorganisationen aus Israel zusammengeschlossen sind. Inzwischen sind mehr als 70.000 Tote im Gazastreifen namentlich erfasst. Dabei fehlen noch mindestens zehntausend Verschüttete, deren Leichname gerade mühsam geborgen werden. Rund 80 Prozent der Getöteten sind laut eigener Daten des Militärs Zivilisten.
Während 2024 etwa eine Million Palästinenser im Gazastreifen aus ihrem Zuhause vertrieben worden waren, stieg diese Zahl 2025 auf knapp zwei Millionen: etwa 90 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Zerstörungen in dem Küstenstreifen erreichten ein unvorstellbares Ausmaß: Ganze Stadtviertel, das komplette Wasserversorgungssystem, Landwirtschaft, Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, Universitäten und Verwaltungsgebäude wurden zerstört.
Die Lektüre des Berichts ist schwere Kost. Im Monat Juli allein waren demnach 13.000 Kinder schwerst unterernährt. Im August wurde anhand der international führenden Klassifikation der Ernährungssicherheit (englisch IPC) erklärt, dass in Gaza-Stadt eine Hungersnot herrsche. Bis Oktober waren 461 Menschen verhungert, darunter 157 Kinder. Der Bericht weist auch auf die Massaker bei den Nahrungsverteilungszentren der von den USA und Israel eingesetzten »Gaza Humanitarian Foundation« (GHF) hin. 2.306 Menschen wurden durch Soldaten oder lokale wie ausländische GHF-Kräfte bei den Ausgabestellen getötet, viele mit scharfer Munition gezielt erschossen: Männer, Frauen und Kinder. Fast 17.000 wurden verletzt. Die GHF wurde kurz nach Inkrafttreten der Waffenruhe abgewickelt.
Tel Aviv behauptet immer, die Hamas-Kämpfer würden sich hinter der Zivilbevölkerung verstecken, sie als »menschliche Schutzschilde« missbrauchen. In dem Bericht wird erneut herausgestellt, dass die israelische Armee genau diese Praxis systematisch als Militärstrategie (»Mosquito Protocol«) verfolgt. Viele dieser als »menschliche Schutzschilde« – die Soldaten nennen sie »Schawisches«, also Sklaven – missbrauchten Palästinenser werden oft wochenlang mit verbundenen Augen gefesselt gehalten. Viele überlebten nicht.
Auch die Lage in der Westbank wird im Bericht schonungslos offengelegt. Während 2023 und 2024 mindestens 1.200 Attacken von Siedlern gegen Palästinenser bekannt wurden, hat 2025 eine regelrechte Massenvertreibung begonnen. 44 Beduinengemeinden wurden zerstört und durch neue israelische Siedlungen »ersetzt«. Fast 3.000 Menschen wurden ihrer Heimat beraubt, darunter 1.326 Kinder. In Ostjerusalem werden derweil durch undurchsichtige städtische Landregistrierungsprozesse immer mehr Palästinenser enteignet. Die Leistungen der Stadt für diese Bewohner werden schlechter, die kommunalen Steuern steigen. Die jüdischen Siedlungen expandieren unaufhaltsam auf Kosten der Palästinenser. Laut dem Bericht markiert das Jahr 2025 den Übergang von institutionalisierter Diskriminierung zu einer neuen Politik der Enteignung.
Die israelischen Gefängnisse sind unterdessen zu einer Institution der systematischen Folter geworden. Mindestens 98 Palästinenser starben dort; sie wurden zu Tode gefoltert, erhielten keinerlei medizinische Versorgung und nicht genug zu essen unter unmenschlichen Bedingungen. Die Zahl der Häftlinge ist auf mehr als 9.000 angestiegen, 3.577 davon sind in »Verwaltungshaft«, ohne Anklage oder Verurteilung. Das sind dreimal so viel wie vor dem palästinensischen Überfall auf Israel im Oktober 2023.
Da Israel den Anschein erwecken möchte, dass Geschichte und Archäologie in dem Land ausschließlich jüdisch sind, wird jede Erinnerung an die palästinensische Kultur systematisch getilgt. Im Februar schätzten die UNESCO, die Weltbank und andere, dass mehr als 53 Prozent der Kultur- und Kulturerbestätten im Gazastreifen zerstört oder beschädigt wurden, im Oktober veröffentlichte die UN-Organisation eine Liste mit 114 betroffenen Orten. In den besetzten Gebieten werden Projekte, die zuvor unter dem Vorwand der »Erhaltung« oder der Förderung des Tourismus unter Kontrolle genommen wurden, seit 2025 zur Vertreibung der dort lebenden Palästinenser benutzt. Archäologische Stätten stehen dabei im Mittelpunkt, wie zuletzt Sebastia im Norden der Westbank. In Ostjerusalem konzentrieren sich der Staat, die Stadt und vor allem die rassistischen Siedlerkolonialisten auf die Altstadt und deren Umgebung. Sie erfinden neue historische Narrative und enteignen Land, das Palästinensern gehört.
Der Bericht kommt zu einem verheerenden Urteil: »Verbrechen gegen die Menschheit sind inzwischen zur täglichen Realität geworden, die niemand untersucht und für die niemand zur Verantwortung gezogen wird.« Und er endet mit der Warnung, dass dieser Prozess irreversibel ist, wenn nicht sofort gegengesteuert wird. Von wem, fragt sich der Leser.
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