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Aus: Ausgabe vom 03.12.2025, Seite 6 / Ausland
Ukraine-Krieg

Timothy Snyder im Wunderland

Der US-amerikanische Historiker hat ukrainische Faschisten als Helden im Widerstandskampf gegen Russland entdeckt
Von Susann Witt-Stahl
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So wirbt der »Historiker« auf einer Onlineplattform um Spenden für Kriegsgerät

Der Yale-Professor trommelt seit Jahren gegen Frieden mit Russland. Nun lässt Timothy Snyder die Antennen der deutschen und westlichen Leitmedien glühen und warnt unter anderem in der SZ eindringlich vor einer »erzwungenen Kapitulation« Kiews. »Die einzig sinnvolle Abschreckung gegen einen neuerlichen russischen Angriff ist der NATO-Beitritt der Ukraine.«

Für seinen Kriegspropagandafeldzug sind Snyder offenbar alle Bündnispartner willkommen: Wie der Investigativjournalist Moss Robeson kürzlich recherchierte, hat der Historiker im Oktober in Kiew Werbung für das 2. »Chartija«-Korps eingespielt. Tatsächlich findet sich auf dessen Instagram-Kanal ein Video, in dem Snyder, gekleidet in ein traditionelles ukrainisches Trachtenhemd, dazu aufruft, für einen Fonds der Kriegsinfluencer der »North Atlantic Fella Organization« (NAFO) zur Finanzierung von Militärgerät für »Chartija«-Brigaden zu spenden.

Darunter auch die »Rubisch«-Brigade, deren Symbolik jüngst anlässlich hohen Besuchs für Aufsehen gesorgt hat: Präsident Wolodimir Selenskij ließ sich in deren Kommandoposten im Raum Dobropillja vor einer Fahne mit der von der Waffen-SS verwendeten Wolfsangel ablichten. Die offiziellen Insignien der »Rubisch«-Brigade, der auch zwei Bataillone der faschistischen Swoboda-Partei angehören, enthalten Symbole der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), die einst mit Hitlerdeutschland kollaboriert hatte – zum Beispiel die zur Rune stilisierte Zahl 44 für die »44 Regeln des Lebens eines Nationalisten« aus den 1930er Jahren. Die Truppenkennzeichen anderer Einheiten des 2. »Chartija«-Korps sind in den Farben des Bandera-Flügels der OUN gestaltet. Das Emblem seines »Chorunscha«-Dienstes, einer symbolischen Abteilung für germanisch-paganistische Zeremonien und Rituale, bildet die von ihrem Vordenker – einem Vernichtungsantisemiten – gestaltete und nach ihm benannte »Donzow-Bestie«.

Snyder hat bereits 2024 für Radio Chartija PR-Gespräche mit dem Schriftsteller Sergij Schadan, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2022 und Propagandaoffizier, der den Kern des Faschistenkorps bildenden »Chartija«-Brigade geführt. Ebenso beteiligte er sich an einem »Freiheitsrennen« für ukrainische Kriegsgefangene in Kiew, das von den »Verteidigern von Asowstal«, einer Initiative der Neonazibewegung »Asow« mitorganisiert worden war.

Früher hatte Snyder noch vor der grassierenden Verehrung Stepan Banderas und der OUN gewarnt. Seit 2014 betrachtet er deren Erben als Helden und die Ukraine als Wunderland – wo es statt einer faschistischen Gefahr nur »ein paar unappetitliche Leute« gibt. Denn den blutigen Maidan-Putsch unter der Führung des »Rechten Sektors« und anderer militanter Neonazis hatte er einfach zur »linken Volksrevolution« für »Menschenrechte« umetikettiert.

Schon in Snyders totalitarismustheoretischen Geschichtsschreibungen der Sowjetunion, Hitlerdeutschlands und des Zweiten Weltkriegs in seinem Bestseller »Bloodlands« von 2010 finden sich Tropen ukrainischer Nationalisten und anderer Ultrarechter: Die Ukraine wird als »Kolonie der Stalinisten« dargestellt, die Verbrechen der Banderisten werden heruntergespielt. Und »beim Partisanenkrieg in Weißrussland wirkten Hitler und Stalin auf perverse Art zusammen«, so Snyder in der Überzeugung, antifaschistische Milizen hätten den Naziterror gegen Zivilisten provoziert – für ihn ein untrüglicher Beweis für »die Interaktion beider Systeme«.

Hatten die mittlerweile dramatisch schrumpfende Welt objektiver Wissenschaft und ein kritisches Feuilleton einst gegen Snyders Variante von Ernst Noltes revisionistischen Thesen im Historikerstreit 1986/87 noch Einspruch erhoben – während des reaktionär-militaristischen Staatsumbaus der BRD wird Snyder nur noch als »linker Faschismusforscher« gefeiert, wie unlängst im ZDF. Schließlich hat er »frappierende Parallelen« zwischen Hitlers und Putins Einmarsch in die Ukraine entdeckt. So erscheint es nur konsequent, dass Snyder Solidarität mit dem »Chartija«-Korps unter dem »jüdischen Präsidenten« im Widerstand gegen das neue »Weltzentrum des Faschismus« einfordert.

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