Wenn die Mietpreisbremse versagt
Von Ralf Wurzbacher
Vonovia bekommt den Hals nicht voll, wie so viele Vermieter in Deutschland. Nach einem Handelsblatt-Bericht vom Montag strengt Europas größter Wohnungskonzern massenhaft Prozesse an, um Mieterhöhungen durchzusetzen, aber die Gerichte schmettern die Klagen in den meisten Fällen ab. Das Problem: Die wenigsten Mieter riskieren einen Rechtsstreit – und lassen sich »bereitwillig« abzocken. Das hat System, wie eine am Dienstag vom Deutschen Mieterbund (DMB) vorgelegte Untersuchung belegt. Die beleuchtet die Situation in Berlin und in Ulm in Baden-Württemberg – mit »alarmierenden Ergebnissen«. In beiden Städten werden bei der Preisgestaltung die gesetzlichen Vorgaben in gravierendem Ausmaß verletzt.
»Das systematische Umgehen der Mietpreisbremse und des Mietwucherparagraphen ist kein Kavaliersdelikt und erfordert dringend politisches Handeln«, äußerte sich am Dienstag Verbandspräsidentin Melanie Weber-Moritz in einer Medienmitteilung. In der Hauptstadt liegen bei knapp 46 Prozent und damit fast der Hälfte der inserierten Bestandswohnungen mutmaßlich Verstöße gegen die geltende Mietpreisbremse vor, in Ulm sogar in 70 Prozent der Fälle. Der DMB-Mietenmonitor basiert auf der Auswertung von über 20.000 Wohnungsanzeigen im Zeitraum zwischen Mai 2024 und Oktober 2025. Die Befunde decken weitverbreitete Machenschaften auf, von denen man bis dahin nur eine Ahnung hatte. So richtete der Berliner Senat Anfang März eine Mietpreisprüfstelle ein, an die sich inzwischen Hunderte Menschen mit dem Verdacht gewandt haben, von ihrem Vermieter über den Tisch gezogen zu werden. Die Prüfung ergab, dass neun von zehn Betroffenen damit richtig lagen. Mit den Recherchen des Mieterbunds ist der Skandal jetzt quasi aktenkundig, weil repräsentativ bestätigt.
Bei einer sogenannten Mietpreisüberhöhung wird die ortsübliche Vergleichsmiete um mindestens 20 Prozent überschritten. Bei einer Kluft von 50 Prozent und mehr greift eigentlich der Straftatbestand des Wuchers, der aber wohl nur begrenzt Schrecken erzeugt. Für Berlin verzeichnet die Erhebung in fast 15 Prozent eine Mietpreisüberhöhung und in rund 18 Prozent Mietwucher. Für Ulm liegen die Werte bei 33,4 beziehungsweise 14,7 Prozent. Nahezu keine Wirkung erzielt augenscheinlich die Mietpreisbremse, die auf »angespannten« Wohnungsmärkten bei Neuvermietung Preisaufschläge von maximal zehn Prozent oberhalb des lokalen Mietspiegels erlaubt. Abweichungen von der Regel sind bei möblierten Wohnungen zwar unter bestimmten Bedingungen möglich, aber nicht generell, wie viele Vermieter glauben machen wollen. Objekte mit Möbeln werden in Berlin laut DMB zu 69 Prozent rechtswidrig teuer vermietet, in Ulm zu 55 Prozent. Überraschend erscheint indes, dass in der mittelgroßen Stadt an der Donau in der Gesamtsicht sogar noch mehr betrogen wird als in der Spreemetropole. Schließlich fiel die Wahl auf Ulm aufgrund einer »traditionell guten Bodenpolitik« und lokalpolitischer Bemühungen, »Spekulation zu begrenzen und bezahlbaren Wohnraum zu sichern«, heißt es in der Studie. Offenbar sind die guten Vorsätze mittlerweile ausverkauft.
Der DMB fordert sofortige Maßnahmen, um Mieterinnen und Mieter vor unzulässigen Forderungen zu schützen, und verwies auf eine entsprechende Gesetzesinitiative des Bundesrats zur Verschärfung des Mietwucherparagraphen. Unter anderem sieht die Vorlage eine Verdopplung der maximalen Strafe auf 100.000 Euro vor. Allerdings wurde ein nahezu deckungsgleicher Antrag der Linksfraktion vor drei Wochen im Bundestag durch die Fraktionen von Union, SPD und AfD niedergestimmt. Man wolle den künftigen Vorschlägen der im September durch Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) einberufenen »Mietrechtskommission« nicht vorgreifen, begründeten die Regierungspartien die Ablehnung. Laut Koalitionsvertrag soll der Expertenzirkel eine »Harmonisierung von mietrechtlichen Vorschriften«, »eine Reform zur Präzisierung der Mietwuchervorschrift« und eine »Bußgeldbewehrung bei Nichteinhaltung der Mietpreisbremse« bis zum 31. Dezember 2026 vorbereiten. Bis zum Vollzug könnte noch ein Jahr mehr verstreichen, womit das Gesetz wohl frühestens 2028 in Kraft treten würde. Das Strafgesetzbuch nennt so etwas »unterlassene Hilfeleistung«.
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