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Aus: Ausgabe vom 03.12.2025, Seite 3 / Kapital & Arbeit
Autoritärer Sozialstaat

Wie hängen Sozialabbau und Militarisierung zusammen?

Die Arbeiter müssen in Fragen von Sozialstaat und Antimilitarismus in die Offensive gehen, sagt Andreas Engelmann
Interview: Gitta Düperthal
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Nah dran an der Klassenfrage: Anhänger der Linkspartei auf der großen Friedensdemonstration in Berlin (3.10.2025)

Bürgerrechtsorganisationen warnen vor einem »autoritären Sozialstaat«. Was ist darunter zu verstehen, und was sind seine schlimmsten Auswirkungen?

Autoritärer Sozialstaat heißt: Die Aspekte der Kontrolle und Repressionen werden stärker, im Gegensatz zu denen des Helfens und Unterstützens, der Förderung der Selbständigkeit und Freiwilligkeit. Paradebeispiel ist das »Bürgergeld«, das in die neue Grundsicherung verwandelt werden soll. Die wenigen Fortschritte, die das »Bürgergeld« im Unterschied zu Hartz IV enthielt, werden zurückgenommen. Gewollt ist ein Regime, das bereits vor dem ersten Tag des Bezugs versucht, mit Sanktionen Druck auszuüben, statt Betroffenen zu helfen, ihre Situation zu verbessern.

Im Interesse der Lohnabhängigen liege die Verteidigung des Sozialstaates, sagen Sie. Wegen angespannter wirtschaftlicher Lage drohe ihnen soziale Bedürftigkeit, gar der Verlust der eigenen Wohnung. Weshalb schweigen Gewerkschaften weitgehend dazu?

In Zeiten extremer Wohnungsnot soll die Übernahme der Wohnungskosten gedeckelt und im Sanktionsfall sogar verweigert werden können. Das passiert in einer Zeit, in der Immobilienbesitzer versuchen, alte Mieter herauszubekommen, um deren Wohnungen zu höheren Preisen neu zu vermieten. Das setzt potentielle Leistungsbezieher unter Druck. Letztlich werden sie eher bereit sein, unzumutbare oder schlecht bezahlte Jobs anzunehmen. Diese Drohkulisse schwächt auch die Organisations- und Kampfkraft der Lohnabhängigen. Was unserer Analyse nach durchaus beabsichtigt ist. Die Angriffe auf den Sozialstaat stehen mit der Militarisierung im Zusammenhang. Hunderte Milliarden werden in Aufrüstung gesteckt, der Staat verschuldet sich. Den Gewerkschaften fällt es teilweise schwer, diesen Zusammenhang in aller Klarheit zu benennen.

Wie hängen Sozialabbau und Militarisierung zusammen?

Man zwingt zum Beispiel Menschen mangels Alternativen auf Bildung und im Arbeitsmarkt in die Bundeswehr. Deren Werbestrategie: Mit Bezügen von 2.600 Euro brutto bietet sich das Militär als attraktiver Arbeitgeber an, während sinnvolle Tätigkeiten und Ausbildungen fehlen.

Wieso stehen die Gewerkschaften nicht als Bollwerk gegen diesen politischen Druck?

Es mangelt an Einigkeit der Industriegewerkschaften, sie vertreten auch Beschäftigte in der Waffenproduktion. Doch meiner Wahrnehmung nach sieht auch innerhalb der Gewerkschaftsbewegung eine riesige Strömung den Zusammenhang sehr klar und will sich der Militarisierung entgegenstellen. Allerdings ist das Thema für Großorganisationen vermint. Man will sich nicht den gängigen Vorwürfen aussetzen, mit denen versucht wird, Antimilitaristinnen und Kriegsgegner mundtot zu machen: zum Beispiel mit der Rhetorik von einer »Unterstützung Putins«.

Gilt es nicht, die Ursache sozialer Verteilungskämpfe aufzugreifen?

So ist es. Der Impuls, in diese Auseinandersetzungen um die Angriffe auf den Sozialstaat, um die Aufrüstung und eine zunehmend militaristische Außenpolitik nicht hineinzugehen, ist falsch. Wichtig ist aber nicht nur, den Abwehrkampf zu führen. Man muss in beiden Fragen in die Offensive kommen: breit für Kämpfe für einen besseren Sozialstaat und Antimilitarismus mobilisieren und konkret für die kollektiven Interessen der Gewerkschaftsmitglieder einstehen. Mit einer positiven Kampferfahrung ließe sich eine höhere Bindungswirkung erzeugen, die möglicherweise auch rechtspopulistischen Parteien entgegenwirken könnte.

Wie können Bürgerrechtsorganisationen die Gefahr des autoritären Sozialstaats abwehren?

Wir können vor dem damit einhergehenden Abbau von Rechtsstaatlichkeit warnen. Thematisieren, ob sich die Exekutive noch an Recht und Gesetz hält: seien es Alexander Dobrindts unionsrechtswidrige Grenzkontrollen, Friedrich Merz’ Weigerung, sich internationalen Haftbefehlen zu beugen oder der Einsatz der Polizei zur Unterbindung von gerichtlich erlaubten Kundgebungen und Demonstrationen – etwa bei »Rheinmetall entwaffnen«. Die Perlen der Rechtsstaatlichkeit sind nicht einzeln zu verteidigen, sie hängen an einer ganzen Kette.

Andreas Engelmann ist Bundessekretär der Vereinigung Demokratischer Jurist:innen (VDJ)

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