Aufbauen und führen
Von Detlef Kannapin
Am 25. November veröffentlichte Spiegel Online einen Text der unverwüstlichen Geistesheroen Claudia Major und Carlo Masala, in dem diese »unsere Aussichten« skizzieren. Während die Erziehung vor Donezk mit Hunderttausenden Toten weitergeht, halten die beiden den geistesgeschichtlichen Zeitpunkt für günstig, der deutschen Außenpolitik mit noch mehr Nachdruck den alten Imperialismus in neuem Gewand anzuempfehlen.
Unter der vielsagenden Überschrift »Ein neuer pragmatischer Westen muss her – mit Deutschland in einer Schlüsselrolle« (sie meinen: »Der Spätimperialismus hat keine Perspektive – aber Deutschland kann trotzdem vom Verfall profitieren«) skizzieren unsere beiden »Analysten« ein Szenario, in dem die deutsche Bundesrepublik wieder zur Weltgeltung gelangen kann, nein, soll und muss. Sie gehen davon aus, dass die USA »zu einem unsicheren Kantonisten« geworden sind, während das »neoimperiale Russland« und die »engere Zusammenarbeit revisionistischer (!) Nuklearmächte wie Russland und China« den Frieden (welchen?) bedrohen. So weit, so falsch.
Spannender sind die »Empfehlungen«, die unsere Wiedergänger aus Alldeutschen und Ostlandreitern für Bundeskanzleramt und Generalstab bereithalten: »Die Bundesrepublik muss transatlantisch bleiben, europäischer und globaler werden und diese Bestrebungen pragmatischer verfolgen.« Frei nach Ödön von Horváth: Fräulein Pollinger, Sie müssen praktischer werden. Bedeutet: Deutschland muss imperialistischer werden und das flexibler – z. B. den »Wiederaufbau« der Ukraine nicht den Amis überlassen und auch mal vom Baltikum aus über die Ostgrenzen schießen.
Für das Tandem geht es aber nicht allein darum, irgendwelche vorhandenen Institutionen (EU, NATO »als Ganzes«) zu stärken, sondern darum, »möglichst« breite »Koalitionen der Willigen und Fähigen« aus deren Mitgliedern zu rekrutieren, um … das verrät der Text zunächst nicht. Vermutlich »die sicherheitspolitische Agenda des Westens umzusetzen«, kurzum: die NATO-Doktrin von 1999 endlich weiter ins Werk zu setzen, alle Anwandlungen alternativer Gegenentwürfe mit politischen und militärischen Mitteln zu vernichten. Zu diesem Zwecke revitalisieren sie das alte deutsche Mitteleuropakonzept – ohne Österreich, dafür mit der Mittelmacht Italien, dem Brückenkopf Polen und den europawilligen Siegermächten Frankreich und Großbritannien. Zukünftig soll »der Westen« »breiter gedacht werden« und ohne das State Department funktionieren (worüber dort sicherlich laut gelacht werden wird).
Major und Masala haben ein Anliegen, das wie aus dem »Reibert« abgeschrieben, aber ihnen politisch ausgesprochen »weitsichtig« scheint: »Das Ziel sollte nicht zuerst der Aufbau neuer Institutionen sein (dauert wohl zu lange, DK), sondern die Definition gemeinsamer Ziele und die Verfolgung gemeinsamer Interessen.« So argumentierten Major und Masala unabhängig voneinander schon 2021/22. Damals hörten auf sie zu wenige – aber das kann sich ändern. Wir übersetzen ihre Botschaft erneut: »Besser erst schießen, dann fragen. Ich nehme gern ein paar Verluste in Kauf, als den ganzen Stützpunkt zu gefährden.« Der letzte Satz ist eine Paraphrase aus dem Film »Dr. Seltsam« (1962). Was damals als Überspitzung kenntlich war, ist heute grauenhaft spätimperialistische Realität.
»Deutschlands Aufgabe besteht also darin, als Scharniermacht (!) zwischen dem globalen Süden und dem transatlantisch-europäischen Westen globale Kooperationen aufzubauen und zu führen.« Die Scharniermacht war früher das deutsche Mitteleuropa und später das Bollwerk gegen den Bolschewismus. Wir beenden den ewigen Germanenzug usw. Man schätze das nicht gering. Die Sorgen des Kapitals an der asiatischen Front sind nicht kleiner geworden, proportional dazu steigt die Aggressivität – wie verklausuliert auch immer formuliert.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Oliver Sümnick aus Hundsbach (3. Dezember 2025 um 17:01 Uhr)Diese beiden im ORF und den Leitmedien omnipräsenten Experten saßen schon seit Beginn der Ukraine-Krise im falschen Zug und merken es immer noch nicht. Der vom deutschen Kapital und der Politik beauftragte Geschichtsrevisionist und Großinquisitor Jörg Berberowski hat heute bei T-Online schon mal die geopolitische Realität anerkannt. https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/krisen/id_100999364/russland-im-ukraine-krieg-und-die-usa-trump-bekommt-was-er-will-.html Dass die Amerikaner ihre ohnehin nackt am Tisch sitzenden europäischen Partner über denselben gezogen haben, wird ebenso zur Kenntnis genommen wie die Tatsache, dass es nicht möglich ist, Russland auf dem Schlachtfeld eine strategische Niederlage beizubringen und der Krieg für die Ukraine verloren ist. Berberowski: »Heute wird die Ostpolitik von Willy Brandt verteufelt. Aber es ist leider in Vergessenheit geraten, dass sie über einen Zeitraum von vierzig Jahren gut funktioniert und den Frieden in Europa gesichert hat. (…) Die Ostpolitik Willy Brandts hat die verhärteten Fronten aufgeweicht, sie hat Dissidenten einen Entfaltungsraum eröffnet und sie in gewissen Grenzen auch vor Verfolgung geschützt. Sie hat letztlich den Aufstieg Gorbatschows ermöglicht, der mit guten Gründen sagen konnte, dass der Westen kein Feind der Sowjetunion mehr sei. Wer konnte denn 1989 noch behaupten, der Klassenfeind im Westen wolle die Sowjetunion ausmerzen, und wer hätte das geglaubt?« Soweit der Plan. Die gute Nachricht wäre, dass wir kurz- bis mittelfristig wohl nicht in einem Atomkrieg sterben. Die schlechte ist, dass die AfD zukünftig weitere Stimmzuwächse wird verzeichnen können und mitregieren darf.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz Schoierer (3. Dezember 2025 um 08:48 Uhr)»Zukünftig soll ›der Westen‹ ›breiter gedacht werden‹ und ohne das State Department funktionieren (worüber dort sicherlich laut gelacht werden wird).« Zu vermuten ist eher, dass nur der Autor – in krasser Fehleinschätzung – darüber laut lacht. Im State Department wird man Deutschlands dritten Anlauf zur Weltmacht schon richtig einordnen können. Und wenn im Artikel gleich drei mal der wichtigtuerische Begriff »Spätimperialismus« fällt, sollte uns der Autor mitteilen, wann denn der späte Imperialismus (von selbst?) das Zeitliche segnet. Die Revolutionäre könnten sich dann eventuell die mühevolle Kleinarbeit sparen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich Hopfmüller aus Stadum (2. Dezember 2025 um 20:24 Uhr)Im alten Reibert steht: Unangepasste Fahrweise, im Gelände, kann einen längeren Fußmarsch zur Folge haben. Auf die Zwei passt allerdings besser: Beim Erreichen des Gipfels sind die Gehbewegungen selbständig einzustellen. Luis Trenker allerdings: Neblig woars und mir san affi gschting und affi gschting, do reist der Nebel auf und mir woarn fuchzig Meter übern Gipfel. Besseres zu Aufbau und Führung gibt es wohl nicht.
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