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Aus: Ausgabe vom 27.11.2025, Seite 16 / Sport
Sportpolitik

»Entscheidender ­Faktor ist die Wertschätzung«

Über das moderne Ehrenamt im Sport und Sorgen der Vereine um künftiges Personal. Ein Gespräch mit Ronald Wadsack
Von Andreas Müller
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Der jüngste Freiwilligenreport verrät: Mit 12,8 Prozent engagieren sich die meisten Ehrenamtler nach wie vor im Sport, wenngleich der Anteil gegenüber der letzten Erhebung knapp zwei Prozentpunkte eingebüßt hat. Über sämtliche Bereiche hinweg waren 2024 insgesamt 36,7 Prozent der Bevölkerung ehrenamtlich aktiv, mehr als drei Prozent weniger als im Zeitraum zwischen 2014 und 2019. Ein bedenklicher Abwärtstrend?

Als bedenklich, besorgniserregend oder dramatisch betrachte ich das nicht, denn diese Erhebung betrifft ja, auf den Sport bezogen, das Spannungsfeld ganz unterschiedlicher Vereine – solche von nur ein paar Dutzend Mitgliedern bis zu denen mit Zehntausenden Mitgliedern oder Vereinen mit beträchtlichen Unterschieden im städtischen und im ländlichen Raum. Das große Problem besteht darin, dass es meines Wissens keine aktuellen Untersuchungen gibt, die richtig in die Vereine reingehen und ihre Strukturen, ihre Vereinskultur und ihr Umfeld gründlich ausleuchten. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das eine ausgesprochene Schwachstelle. Bisher werden nur äußerliche Kriterien abgefragt, statt jeweils die tatsächlichen Existenzbedingungen zu betrachten.

Jüngst waren Schlagzeilen wie diese zu lesen: »Burnout im Ehrenamt«, »Vereinsvorstände am Limit«. Sportvereine tun sich immer schwerer, genügend Mitarbeitende zu finden bzw. zu binden, Mitarbeitende, die sich in den Vorständen oder als Übungsleiter betätigen. Laut dem jüngsten Sportentwicklungsbericht sieht sich mehr als jeder sechste Verein in seiner Existenz bedroht, weil er es nicht mehr schafft, ausreichend engagiertes Personal zu finden bzw. im Verein zu halten.

Solche Erkenntnisse liefern wichtige Fingerzeige für Tendenzen. Im Unterschied zur Vergangenheit haben wir es heute mit signifikanten Veränderungen zu tun. Früher gab es eine Art Automatismus, der den Vereinen wie selbstverständlich Engagement garantierte. In unserer modernen Arbeits- und Lebenswelt hat sich die Ausgangssituation für die einzelnen Menschen deutlich verändert. Unter diesen Umständen ist es für die Vorstände der allermeisten der rund 86.000 Sportvereine zur wichtigen Aufgabe geworden, gerade bei den Funktionsträgern und bei den Übungsleitern geeigneten Nachwuchs zu finden und für das Engagement Weichen zu stellen. Für diese wichtige zeitgemäße Aufgabe hat sich der Begriff Freiwilligenmanagement etabliert. Die wichtigste Botschaft lautet: Nicht auf Hilfe von außen warten, sondern selbst aktiv werden.

Das neuartige Staatsministerium für Sport und Ehrenamt meint, dass den Problemen mit finanziellen Anreizen etwas entgegenzusetzen wäre, und hat der Erhöhung der jährlichen Ehrenamtspauschale von 840 Euro auf 960 Euro sowie der ebenfalls jährlichen steuerfreien Pauschale für Übungsleiter von 3.000 Euro auf 3.300 Euro den Weg geebnet.

Die Frage ist, was solch eine Zahlung bewirken kann. Für Studierende mag sie attraktiv und motivierend sein, für viele Berufstätige ist dieser Betrag von weit weniger Bedeutung. Entscheidend fürs Ehrenamt ist, dass die Menschen nicht noch Geld mitbringen müssen. Von diesem Grundsatz abgesehen spielt das Geld für das ehrenamtliche Engagement eher eine untergeordnete Rolle. Vor allem das hat der neueste Freiwilligensurvey sehr deutlich gezeigt. Menschen, die ihr Ehrenamt aufgaben, taten das nicht, weil ihnen die Pauschale zu niedrig war. Sie taten dies zu 62 Prozent, weil sie die Zeit dafür nicht mehr haben, 32 Prozent nannten gesundheitliche Gründe, 31 Prozent wollen keine Verpflichtungen mehr eingehen, jeweils 27 Prozent geben berufliche oder familiäre Gründe an.

Wenn der finanzielle Aspekt nachrangig ist, was ist dann die Hauptsache?

Vereinfacht gesagt geht es um das gute Gefühl und das spürbare Erlebnis, gebraucht zu werden und nützlich zu sein. Der entscheidende Faktor ist Wertschätzung. Die persönliche Wertschätzung in der Gemeinschaft ist wichtiger als eine Vergütung. Wenn man so will, ist dieses spürbare Wohlgefühl ein Äquivalent für die eingesetzte und gespendete Zeit im Ehrenamt. Genau hier liegt meines Erachtens auch der entscheidende Ansatz, um geeignete Menschen für die Vorstände zu gewinnen. Dabei müssen die Sportvereine selbst aktiv werden, statt auf Hilfe von außen zu warten. Natürlich gibt es für sie bei den Landessportbünden professionelle Beratung, und das ist sehr gut. Aber ihr Profil festlegen, die eigene Vereinsorganisation kritisch hinterfragen, über ihre Modernisierung nachdenken und ihre Zukunftsfähigkeit sicherstellen, diese Aufgabe kann ihnen niemand abnehmen. Diese Zukunftsorientierung ist für mich ein Erfolgsfaktor moderner ehrenamtlicher Vereinsarbeit.

Was könnte ganz praktisch helfen?

Als erstes wegkommen von der Mentalität: Leiden ist leichter als handeln. Niemand kennt den Charakter und die ganz speziellen personellen, räumlichen oder geographischen Bedingungen eines Vereins besser als seine eigenen Engagierten und Mitglieder. Also können nur sie selber die Zukunft gestalten. Zum Beispiel wäre einmal die schlichte Frage zu beantworten: Was tun wir vor Ort und in unserem Umfeld, um Leute zu werben? Wie können wir in unserer Umgebung mit Hilfe einer Marketingaktion unser Engagement nach außen sichtbar machen? Vielleicht ist es möglich, im Rahmen einer solchen Kampagne mit anderen Vereinen in derselben Stadt oder im Landkreis zu kooperieren – oder darüber hinaus dauerhafte Partnerschaften einzugehen. Warum sollten sich nicht drei, vier oder fünf Sportvereine zusammenschließen und ihre aufwändige Vereinsverwaltung und Buchführung demnächst von einem einzigen Spezialisten besorgen lassen? Diese Art der Zukunftsorientierung bedeutet auch, einen kreativen Blick über den Tellerrand zu wagen.

Professor Ronald Wadsack war bis zu seiner Pensionierung vor kurzem am Institut für Sportmanagement der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Salzgitter tätig. Seine Spezialgebiete waren Sport und Betriebswirtschaftslehre, Mitarbeitermanagement im Sport sowie Themen der Sportverbände und Vereine.

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