Bolsonaros Lötkolbenaktion
Von Volker Hermsdorf
Brasiliens rechter Expräsident Jair Bolsonaro sitzt seit Sonnabend wegen mutmaßlicher Fluchtvorbereitungen im Gefängnis. Auslöser war ein Alarm seiner elektronischen Fußfessel kurz nach Mitternacht. Dem 70jährigen, der im September 2025 wegen versuchten Staatsstreichs zu mehr als 27 Jahren Haft verurteilt worden war, hatte das Gericht zunächst aus gesundheitlichen Gründen Hausarrest gewährt. Ein vom Obersten Gerichtshof (STF) veröffentlichtes Video dokumentiert, wie das Kunststoffgehäuse des Funkapparats über Bolsonaros Fußknöchel ringsherum angeschmort ist. Bolsonaro selbst gab zu, dafür einen Lötkolben benutzt zu haben – allerdings nur aus »Neugier«. Für Richter Alexandre de Moraes ist der Vorfall jedoch das letzte Glied einer Reihe von Hinweisen auf eine konkrete Fluchtabsicht. Deshalb entschied er, Bolsonaro aus dem Hausarrest in eine Zelle im Präsidium der Bundespolizei von Brasília zu überführen.
Neben der manipulierten Fußfessel wertete Moraes eine von Bolsonaros Sohn, Senator Flávio Bolsonaro, organisierte »Gebetsmahnwache« vor der Villa des Expräsidenten als Versuch, eine chaotische Szenerie zu inszenieren und so einen Vorwand für dessen Verschwinden zu schaffen. Der Richter verwies zudem auf die unmittelbare Nähe von Bolsonaros Wohnsitz zu den Botschaften der USA und Argentiniens. Während der Ermittlungen waren auf dem Telefon des Expräsidenten Entwürfe für ein Asylgesuch an Argentiniens ultrarechten Staatschef Javier Milei entdeckt worden. Zuvor war zudem der ebenfalls wegen Putschversuchs verurteilte ehemalige Geheimdienstchef Alexandre Ramagem in die USA geflohen.
Verfahren und Urteile gegen Bolsonaro und seine Unterstützer haben längst globale Dimensionen erreicht. Den Angeklagten werden nicht nur der Putschversuch nach der verlorenen Wahl 2022, sondern auch die gewaltsame Abschaffung des demokratischen Rechtsstaats und die Beteiligung an einer bewaffneten kriminellen Vereinigung zur Last gelegt. Die internationale Rechte sprang dem verurteilten Expräsidenten umgehend bei. US-Präsident Donald Trump hatte bereits Wochen vor dem Urteil mit Sanktionen gegen beteiligte Richter gedroht. Javier Milei erklärte offen seine Solidarität. Nach der Überstellung des Putschisten in eine zwölf Quadratmeter große Einzelzelle mit Bett, Bad, Fernseher und Klimaanlage warf der stellvertretende US-Außenminister Christopher Landau Moraes »Menschenrechtsverletzungen« vor. Die USA seien »zutiefst besorgt über diese Attacke auf den Rechtsstaat und die politische Stabilität in Brasilien«, schrieb Landau auf X.
Bolsonaro spielt – neben Javier Milei, Nayib Bukele (El Salvador), Daniel Noboa (Ecuador) und anderen rechten lateinamerikanischen Staatschefs – eine zentrale Rolle in Washingtons geopolitischen Plänen. Sein erklärtes Ziel, Brasilien im Falle eines Erfolgs seiner Anhänger aus dem BRICS-Bündnis zu führen, passt zur US-Strategie, aufstrebende Allianzen des globalen Südens zu schwächen. Trump setzt dabei von Beginn an auf ökonomischen Druck. Die von ihm verhängten Strafzölle auf brasilianische Exporte rechtfertigte er offen mit den Verfahren gegen Bolsonaro. Zwar hob der US-Präsident die Abgaben auf Agrarprodukte wie Rindfleisch und Kaffee in der vergangenen Woche nach einem Treffen mit Präsident Luiz Inácio Lula da Silva wieder auf, doch von Einlenken kann keine Rede sein. Der Schritt war eine Notmaßnahme angesichts explodierender Lebensmittelpreise in den USA
Während Bolsonaro – vorerst – hinter Gittern sitzt, wird bereits über die Zukunft seiner Bewegung spekuliert. Der Expräsident verfügt nach wie vor über erheblichen Einfluss auf seine Anhängerschaft und ein engmaschiges Netzwerk aus rechten Politikern, Medienvertretern und Wirtschaftsakteuren, das von Lateinamerika bis ins Weiße Haus reicht. Als potentieller politischer Erbe gilt unter anderem der Gouverneur von São Paulo, Tarcísio de Freitas, ein ehemaliger Minister Bolsonaros. Aus dessen Familien melden einige Söhne – allen voran Senator Flávio und der im selbstgewählten USA-Exil lebende Abgeordnete Eduardo – Ansprüche an. Eduardo Bolsonaro reagierte auf die Festnahme seines Vaters mit scharfer Hetze gegen Richter Alexandre de Moraes und warf ihm vor, dessen Tod zu planen.
Bolsonaros Anwälte versuchen inzwischen, die Vorwürfe rund um die Lötkolbenaktion als von der Justiz »verzerrt« darzustellen und die Mahnwache als verfassungsrechtlich geschützte religiöse Veranstaltung zu verklären. An diesem Montag soll die Erste Kammer des Obersten Gerichtshofs über die Rechtmäßigkeit der Präventivhaft entscheiden.
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