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Aus: Ausgabe vom 24.11.2025, Seite 5 / Inland
Kapital sticht Klimaschutz

Triumph der Erdgaslobby

BRD ermöglicht CO2-Speicherung und hilft damit nicht dem Klima, sondern den schmutzigsten Industrien
Von Niki Uhlmann
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Absurder Anreiz: Je mehr CO2 emittiert wird, desto lukrativer wird dessen Speicherung

Die Atmosphäre ist schlecht. Einerseits ist zu viel CO2 in der Luft, andererseits scheinen Regierende dagegen machtlos. Mit der Zustimmung des Bundesrats zur Novelle des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes (KSpG) am vergangenen Freitag wird die Atmosphäre eher schlechter als besser. Künftig darf das in Mengen klimaschädliche Gas für kommerzielle Zwecke abgeschieden und unter dem Meeresboden gespeichert werden (CSS, Carbon Capture and Storage). Vor den Risiken dieser Technologie für die Natur und ihrer aufschiebenden Wirkung auf die Dekarbonisierung warnen Umweltschutzverbände allerdings schon seit Jahren.

Dem Klima zuliebe?

So ganz überzeugt ist offenbar nicht mal die Bundesregierung: Das KSpG »kann für die Abkehr von fossilen Brennstoffen in sehr energieintensiven Industrien eine wichtige technologische Möglichkeit sein«, feierte sie die Entscheidung gleichentags auf ihrer Webseite eher verhalten. Manche Treibhausgase wären einfach nicht zu vermeiden, etwa in der Zementindustrie oder in der Abfallverbrennung. »Unverzichtbar« sei folglich die Kohlenstoffspeicherung, »um auch diesen Branchen klimaneutrales und wettbewerbsfähiges Wirtschaften« zu ermöglichen, legte man implizit die Profiteure des neuen Rechts offen. Da die BRD sich verpflichtet habe, »bis 2045 klimaneutral zu werden«, und »da der Aufbau von Transport- und Speicherinfrastrukturen zwischen sieben und zehn Jahre dauern kann«, müsse nun alles ganz schnell gehen.

Was dafür alles nötig ist, hat dpa recherchiert. Zwar könne CO2 mit Zügen, Lkw und Schiffen transportiert werden. Das sei aber nicht besonders effizient. Und es geht ja ums Klima. Also sollen Leitungen her, bei deren Bau der Privatwirtschaft satte Fördermittel winken dürften. Sechs Milliarden Euro hatte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) – zufällig auch ehemalige Leiterin des Energieinfrastrukturdienstleisters Westenergie – im Oktober allein für 2026 in Aussicht gestellt. Weitere Töpfe stünden in der EU bereit. Rund ein Dutzend Konzerne hat laut dem Verband Gas- und Wasserstoffwirtschaft bereits Interesse angemeldet. Das Bundeswirtschaftsministerium, so dpa weiter, habe angegeben, keine CO2-Speicher zu planen oder zu betreiben. Gefragt ist also auch hier wieder privates Kapital. Dessen Vertreter – wie der Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie – weisen bereits darauf hin, dass die Infrastruktur in sieben bis zehn Jahren nur aufgebaut werden könne, wenn sich das für die Investoren lohnt. Dafür wird Reiche schon sorgen.

Dem Kapital zuliebe!

»Die Erdgaslobby hat einen folgenschweren Sieg eingefahren«, kommentierte Olaf Bandt, Vorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), das neue KSpG. CSS sei ein »Etikettenschwindel, mit dem die Klimakrise weiter angeheizt wird«. Tatsächlich bezweckt die Technologie das genaue Gegenteil des ausgegebenen Ziels: »Unter dem Deckmantel der Klimaneutralität könnten fossile Konzerne ihr Geschäftsmodell bald sogar noch ausweiten«, heißt es in einer Resolution, die BUND am Vortag der Entscheidung verabschiedete. Je schmutziger gewirtschaftet und je mehr Kohlendioxid emittiert werde, »desto lukrativer und attraktiver das System«. Derweil gingen »Anreize, innovative Technologien und Alternativen zur Vermeidung von Emissionen auszubauen, verloren«. Hier wies Bandt ergänzend darauf hin, dass die Gasdeponien »Trinkwasserressourcen gefährden und ganze Regionen belasten könnten«, da die Sicherheit der Speicher über Jahrhunderte hinweg kaum zu garantieren sei.

Schon im Oktober hatten mehr als 100 Organisationen, Gemeinden und Konzerne die Regierung aufgefordert, die KSpG-Novelle nicht voranzutreiben. Auch sie kritisierten in ihrem offenen Brief, dass Milliarden an Steuermitteln für das Verschleppen des Ausstiegs aus fossiler Energie aufgewendet werden sollen. Ferner wurde moniert, dass mit der Londoner Konvention, »ein Meeresschutzübereinkommen, welches die Ausfuhr von Abfällen verbietet«, aufgeweicht werde und dass »Informations-, Beteiligungs- und Klagerechte der Bevölkerung beschnitten« werden sollen. Der Weltklimarat halte CCS demnach »für den teuersten Versuch, den CO2-Ausstoß zu reduzieren« und bezweifle dessen Wirksamkeit. Wenn das KSpG die Lösung sein soll, darf man sich folglich das Problem zurückwünschen.

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  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (25. November 2025 um 11:04 Uhr)
    Seit Jahrzehnten schon hat die Bevölkerung die Erfahrung gemacht: Ist von Reformen die Rede, dann kommt nichts Gutes. Seit Jahren ist es ebenso gesicherte Erfahrung: Wenn die Regierenden sich zu Gipfeln treffen und gipfeln, dann kommt wenig bis nichts heraus, außer Spesen und großen Reden wird nie etwas zum Besseren auf den Weg gebracht. Der jüngste Klimagipfel hat genau das einmal mehr unter Beweis gestellt. Wie könnte es auch anders sein, wenn sich die Lobby der Energiekonzerne trifft, dass dann Klima und Weltbevölkerung die Gewinner sein könnten und nicht die Profiteure an den Energiemärkten? Die CO₂-Speicherung ist das aktuellste Thema. Warum ist von der CO₂-Bepreisung plötzlich nur ganz spärlich zu hören? Sollte damit nicht der große Wurf für das Klima gelingen? So sind uns jedenfalls die Stimmen der Marktvertreter und aller ihrer Nachbeter noch gut im Gehör. Die CO₂-Bepreisung hat offenbar ganz nach den Spielregeln des Kapitals den Konzernen segensreiche Zusatzprofite gebracht, während die Otto Normalverbraucher, die Lohnabhängigen, dafür zahlen und auch noch glauben sollen, für das Klima etwas zu leisten. Der Klimagipfel hat jedenfalls nichts von einer großen Erfolgsbilanz fürs Klima verlauten lassen. Mit der CO₂-Speicherung dürfen wir mit hinreichender Sicherheit annehmen, dass die Sache nicht anders ausgeht, die Profite steigen aber keineswegs im Interesse des Klimas und der Bevölkerung, der Lebensbedingungen unserer Erde. Kapital hat seit seiner ersten Stunde der Existenz noch nie anders gehandelt und das Leben von Natur, Umwelt und Mensch immer untergraben, den kurzfristigen Profiten geopfert. Das könnte an sich langsam gewusst werden.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (24. November 2025 um 19:57 Uhr)
    Für seinen Sieg hat das fossile Imperium lange gebaggert! Also diesbezüglich nicht zu viel Ehre für Frau Reiche! Die EU hat 2019 (!) »Candidate PCI projects in cross-border carbon dioxide (CO2) transport networks« benannt und geplant (PCI: Projects of Common Interrest). Damals war Deutschland ein weißer Fleck auf der CCS-Landkarte und in die öffentliche Debatte haben es diese PCIs nicht geschafft. Eines dieser Projekte wurde so beschrieben: »Athos project proposes an infrastructure to transport CO2 from industrial areas in the Netherlands and is open to receiving additional CO2 from others, such as Ireland and Germany Developing an open-access cross-border interoperable high-volume transportation structure is the idea.« (Das Athos-Projekt schlägt eine Infrastruktur für den Transport von CO2 aus Industriegebieten in den Niederlanden vor und ist offen für die Aufnahme von zusätzlichem CO2 aus anderen Ländern wie Irland und Deutschland. Übersetzt mit https://translate.yandex.com/). Zum Thema Zement: Es gibt durchaus Alternativen, die ohne oder mit wesentliche weniger CO2-Emissionen auskommen als die Klinkerproduktion mittels Kalkstein. Außerdem gibt es eine Verfahren, das Abriss-Beton sortenrein in seine Bestandteile zerlegt (entwickelt von Heidelber Materials, in Tschechien läuft eine kommerzielle Anlage) und eine Kreislaufwirtschaft ermöglicht. Der Calciumoxidanteil ist extrem hoch, nur ein geringer Teil davon wird während der Nutzungsphase von Beton karbonisiert. Altbeton als Schotter zu verwenden ist Verschwendung.

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