Im Namen der Ordnung
Von Raphael Molter
Wenn die Innenministerkonferenz über Fußball spricht, geht es nie um das Spiel. Nun plant sie den nächsten Schritt der Kontrolle: Zentralisierung von Stadionverboten, Sanktionen schon bei Einleitung von Ermittlungen, personalisierte Tickets und KI-Überwachung. All das firmiert unter dem Label »Sicherheit«, tatsächlich aber geht es um Ordnung – um die Durchsetzung jener Eigentums- und Machtverhältnisse, die den modernen Fußball strukturieren.
Der Fußball war nie autonom. Seine Grundlage sind Eigentumstitel: Markenrechte, Lizenzen, Exklusivverträge. Diese juristischen Konstruktionen verwandeln ein gesellschaftlich hervorgebrachtes Spiel in privates Kapital. Der Staat produziert dafür die rechtliche Ordnung und schützt sie mit seinem Sicherheitsapparat. Die Verbände übernehmen Teile dieser Funktion: Sie disziplinieren das Publikum, sanktionieren Kollektive, erzeugen Berechenbarkeit für den Markt. »Sicherheit« heißt hier: Investitionsschutz.
Das Sicherheitsversprechen ist keine Antwort auf reale Gefahren, sondern stabilisiert Klassenverhältnisse im kulturellen Feld. Eine unveröffentlichte Studie aus Jena vom Institut für Fankultur zeigt: Bei mehreren Heimspielen des FC Carl Zeiss fühlten sich Zuschauer mit und ohne Pyrotechnik gleich sicher. Die große Mehrheit empfindet das Stadion als sicheren Ort. Objektiv ist es ohnehin einer der sichersten öffentlichen Räume des Landes; subjektiv ein Ort der Zugehörigkeit, nicht der Bedrohung.
Wenn also weder Verletztenstatistik noch Wahrnehmung der Fans den Alarm rechtfertigen, wozu dient er dann? Zur Legitimation von Kontrolle. Staat und Verbände erzeugen ein Bild der Gefahr, um ihre Zuständigkeit auszuweiten. »Sicherheit« wird zur Regierungsform, die das Verhalten reguliert, Subkultur einhegt und Eigentumsinteressen schützt. Stadionverbote, Verbandsstrafen und Polizeieinsätze schaffen jene Disziplin, die der kapitalistische Fußball für seine Verwertung braucht.
Auch die juristischen Kämpfe der Fans bleiben in diesem Rahmen gefangen. Die Fanhilfen leisten viel, doch ihr Rechtspositivismus – der Glaube an den neutralen Rechtsstaat – verschleiert den Klassencharakter der Repression. Der Rechtsstaat ist keine Instanz über den Klassen, sondern ihr Ausdruck. Er garantiert nicht Freiheit, sondern Rechtssicherheit für Eigentum. Marx’ Einsicht, dass bürgerliche Freiheit stets die Freiheit des Besitzenden ist, gilt auch hier. Wer Repression allein mit Grundrechten bekämpft, verteidigt die Form, die sie hervorbringt.
Die empirischen Befunde machen deutlich: Es gibt kein Sicherheitsproblem – es gibt ein Machtproblem. Politik nutzt den Fußball, um autoritäre Steuerungsformen einzuüben. Die Verbände übernehmen – mal mehr, mal weniger bereitwillig – die Rolle der Disziplinarverwaltung, weil sie so ihre Monopolrenten sichern. Medien verstärken das Szenario der Bedrohung, weil Angst Aufmerksamkeit bringt. Und die Polizeibehörden expandieren ihre Kompetenzen in einem Raum, in dem sie von Anfang an nicht gebraucht wurden. Wem nützt die Kontrolle, wer profitiert von der Angst, und wessen Freiheit wird eingeschränkt? Der Sicherheitsdiskurs im Fußball ist die populäre Form eines viel umfassenderen Prozesses der Vergesellschaftung durch Kontrolle. Der Fußball und seine Stadien sind ein Labor der Mächtigen.
Die Antwort der Fans kann nicht in der Verteidigung des Status quo liegen. Sie muss den Begriff von Sicherheit selbst zurückerobern: als soziale Sicherheit, als kollektive Verlässlichkeit, als Schutz vor Entfremdung und Willkür. Nicht mehr »Sicherheit gegen Fans«, sondern Sicherheit vor Staat und Verband. Die Realität gibt Rückenwind: Die Menschen fühlen sich im Stadion sicher, weil sie Teil einer Gemeinschaft sind, nicht, weil Polizei und Verbände sie überwachen.
Was heute als Repression im Namen der Ordnung auftritt, ist die Fortsetzung der Eigentumsordnung mit anderen Mitteln. Pyro- und Stadionverbote und Datensammlungen sind Symptome derselben Bewegung: der Integration einer lebendigen Massenkultur in die Verwertungs- und Herrschaftslogik des Kapitals. Wer das kritisieren will, darf nicht um Paragraphen feilschen, sondern muss den Zusammenhang von Staat, Kapital und Ideologie aufbrechen. Das Feuer, das im Stadion brennt, ist längst ein politisches – und wer es löschen will, fürchtet nicht den Rauch, sondern die Erinnerung daran, dass der Fußball den Vielen gehören könnte. Denn was hier aufflammt, ist nichts anderes als Klassenkampf um die Freiheit der Kurven.
Die Fanszenen Deutschlands rufen alle Fußballfans dazu auf, am Sonntag (16.11.) nach Leipzig zu kommen und dort lautstark für die deutsche Fankultur einzustehen. Der Treffpunkt für die Demonstration ist um 11.30 Uhr in der Goethestraße.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (14. November 2025 um 09:28 Uhr)»Denn was hier auflammt, ist nichts anderes als Klassenkampf um die Freiheit der Kurven.« Wie schon im Artikel »Zwischen Kommerz und Widerstand« (31.10.25) versucht Raphael Molter in die fragwürdige »deutsche Fankultur« krampfhaft etwas Fortschrittliches hinein zu interpretieren. Auch in diesem Artikel wird Marx bemüht um den gewagten Thesen und Schlussfolgerungen einen seriösen Anstrich zu geben. Dabei dürften die Ultras von Marx weiter entfernt sein als die Erde vom Mond, sofern ihnen der Name überhaupt etwas sagt. Und als wollte die Bildredaktion die Aussage »Die Menschen fühlen sich im Stadion sicher« widerlegen, wurde auch hier wieder ein Foto ausgewählt, das beweist, dass man vor der Pyro-Idiotie eben nicht sicher sein kann. Im Artikel vom 31.10.25 wird dem Treiben auf den diversen Fankurven sogar eine »praktische Infragestellung der herrschenden Formen von Eigentum, Ordnung und Autorität« unterstellt. Zu schön, um wahr zu sein. Hätten die sogenannten Ultras wirklich ein solch politisches Bewusstsein, würden sie nicht jedes Wochenende durch die ganze Republik ihren überbezahlten Idolen hinterher pilgern und sich Raufereien mit gegnerischen Fans oder sich sinnlose Scharmützel mit der Polizei liefern, sondern sich in Gewerkschaften engagieren. Dort könnten sie »kollektive Fähigkeiten« sinnvoll einbringen, indem sie mithelfen, diese Organisationen kämpferischer zu machen. Das wäre dann tatsächlich ein »Terrain, auf dem Klassenverhältnisse sinnlich erfahrbar werden« und nicht nur eingebildet. Wenn unterstellt wird, »der Fußball und seine Stadien sind ein Labor der Mächtigen«, dann könnte man entgegnen, die Polizei müsste mittlerweile genügend Erfahrungen gemacht und es nicht mehr nötig haben, jedes Wochenende Bürgerkriegsübungen zu veranstalten. Und das an einem Wochenend-Spieltag in ca. 25 (!) Stadien gleichzeitig, wenn man nur den Profibereich berücksichtigt.
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vom 14.11.2025