Kurzer Atem
Von Andreas Müller
»Dranbleiben« hieß ein Projekt, das seit Beginn des Jahres 2023 darum bemüht war, die Potentiale des Sports, insbesondere in Vereinen, im Kampf gegen Rassismus und Ausgrenzung zu stärken. Die Deutsche Sportjugend (DSJ) – in Kooperation mit dem Deutschen Olympischen Sportbund – würde ihr im Rahmen des Projekts entstandenes nationales »Netzwerk Antirassismus im organisierten Sport« zwar gern weiterführen. Doch nach drei Jahren soll es über 2025 hinaus keine weiteren finanziellen Zuschüsse seitens des Bundes geben. Die Abschlussveranstaltung zum Projekt fand am 7. und 8. November an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main statt.
Von 2023 bis 2025 wurde das Gesamtprojekt durch die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus mit insgesamt mehr als 1,9 Millionen Euro gefördert. Unter Federführung von Staatsministerin Natalie Pawlik (SPD), die im Mai dieses Jahres ihrer Parteikollegin Reem Alabali-Radovan als Antirassismusbeauftragte nachfolgte, fehlt also die Anschlussfinanzierung. »Das ist bedauerlich, und wir hoffen, dass es weitergehen kann. Unsere Forderung nach Weiterführung steht im politischen Raum«, so Elena Lamby, Ressortleiterin für Gesellschaftspolitik bei der DSJ, gegenüber jW.
Gute Gründe für eine Fortsetzung gäbe es allemal genug. Es fallen zum Jahresende nicht nur drei Vollzeitstellen weg, ab dem neuen Jahr stehen auch die zuvor neugeschaffenen Positionen von fünf Antirassismusbeauftragten in Frage – im Deutschen Leichtathletikverband, im Deutschen Fechterbund, im Sportverband DJK, im Hamburger Sportbund und bei der Brandenburgischen Sportjugend. Mit Bundesligahandballerin Lucie-Marie Kretzschmar und Basketballprofi Andreas Obst waren zudem zwei Botschafter aus den Reihen der Athleten im Einsatz.
»Unser hauptsächliches Ziel war, sichtbar zu machen, was Sportvereine auf diesem wichtigen Gebiet leisten. Dafür wurden vor allem soziale Medien genutzt. Außerdem wurde ein bundesweiter Vereinswettbewerb ins Leben gerufen«, sagt Lamby. Das Signal war: Ja, auch im Sport gibt es rassistische Vorfälle. Aber immer mehr Vereine und Verbände beginnen, das Problem ernst zu nehmen. Zum sportlichen Miteinander ist eine Atmosphäre gegenseitigen Respekts unabdingbar. Wie Vereine mit rassistischen Vorfällen umgehen und was sie präventiv gegen Rassismus tun können, erklärt etwa die Projektbroschüre »Sport mit Courage«.
Hatten an der ersten Runde des Wettbewerbs zum Thema Antirassismus 2024 rund 60 Sportvereine teilgenommen, waren es nun zum Abschluss des Projekts mehr als 80 aus allen Landesteilen. Ausgezeichnet als besonders gelungenes Vorbild wurde in Frankfurt am Main der Boxsportklub Kiel, der im sogenannten Brennpunktstadtteil Gaarden das Street-Basketballturnier »Inyoface – Gib Rassismus einen Korb« mit 80 Teams auf die Beine gestellt hatte. Ebenfalls geehrt wurden die Segelflieger aus Görlitz und die Leipziger Thaiboxer von »Sidekick«, beides Vereine aus Sachsen.
»Im Projekt des Flugsportclubs entwickeln Jugendliche mit und ohne Migrationsgeschichte gemeinsam eine mehrsprachige Videoreihe, in der sie ihre Erfahrungen mit Flugsport, Ausgrenzung, Identität und Teilhabe teilen«, heißt es in der Begründung der Jury. »Durch kreative Medienarbeit, rassismuskritische Bildung und die aktive Einbindung der Jugendlichen entsteht eine dauerhafte Arbeitsgruppe, die langfristig Impulse für Vielfalt und Antidiskriminierung im Verein setzt.« Den 2016 gegründeten Leipziger »Sidekickern« wurde attestiert, mittels gelungener Auswahl von Trainern, der Veranstaltung von Workshops und gezielter Teamentwicklung im Stadtteil Lindenau eine sportliche Heimat für Menschen zu schaffen, »die andernorts Ausgrenzung erfahren«.
Nun also, da reichlich praktische Beispiele und Modelle vorhanden sind, um den bundesweit 86.000 Sportvereinen Vorbild zu sein, da ein verzweigtes Netzwerk existiert und der organisierte Sport dank der Erfahrungen der vergangenen Jahren seine Angebote, Strukturen und Stellenplanung im Sinne wirkungsvoller antirassischer Arbeit anpassen und erweitern könnte – gerade jetzt soll Schluss sein mit »Dranbleiben«? Eine Entscheidung, die von einer im Rahmen dieses Projekts mitgeförderten aktuellen Studie der Universität Wuppertal geradezu ad absurdum geführt wird.
»Rassismus im Sport wird häufig als Einzelfall oder Fehlverhalten Einzelner abgetan. Unsere Studienergebnisse verdeutlichen jedoch, dass Rassismus im Sport alltäglich und omnipräsent ist«, sagt Professor Tina Nolte, die Leiterin der Studie. Das Forscherteam betont, dass Rassismuskritik ein Prozess sei, »für den es einen langen Atem und eine kontinuierliche Auseinandersetzung« brauche. Sie erfordere »mehr als symbolische Aktionen oder Social-Media-Statements«. Das Resümee der Wissenschaftler darf als direkte Aufforderung an Staatsministerin Pawlik verstanden werden. Die Botschaft an die neue Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus ist deutlich: »Dranbleiben!« Das Ende des Sportprojekts muss unbedingt noch einmal überdacht werden. Nicht einmal zwei Millionen Euro brauchte es aus dem Bundeshaushalt für seine Fortsetzung.
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