»Komm mal wieder«
Von Jürgen Block
Was wir sicher über ihn wissen, ist nicht viel. Am 26. August 1914 geboren in Bremen-Hastedt, einem Arbeiterquartier, ausgerechnet in der Malerstraße. Dann ab 1929 Malerlehre, später berufliche Tätigkeiten auf Bremer Werften (bei der Bremer Roland-Werft war er Betriebsratsvorsitzender) und in Handwerksbetrieben. Während der Lehrzeit Eintritt in den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD), danach Beteiligung am kommunistischen Widerstand gegen die Nazis, nach dem Krieg Kampf gegen Atomtod und Wiederbewaffnung (1956) und den NATO-Doppelbeschluss (1979). Freunde und Weggefährten beschreiben ihn als höflichen, gebildeten und zurückhaltenden Menschen, ja als »Gentleman«, der nie ohne Krawatte aus dem Haus ging.
Was wir kennen, sind die Veröffentlichungen: die Erzählbände »Kolonie Raffgier« (1976) und »Damals im April« (1990). Dazu einige verstreut veröffentlichte Kurzgeschichten, insgesamt 24 Stück, plus zwei Gedichte. Von einer Geschichte und einem Gedicht sind nur noch die Titel überliefert. Das ist das überlieferte literarische Werk.
Bevor er Schriftsteller wurde, arbeitete Hans Meier als Journalist. Anhand seiner Initialen kann man ihm 26 Artikel in der sozialistischen Wochenzeitung Neues Echo (1961 bis 1969) zuweisen. Darüber hinaus war er auch Mitherausgeber einer Broschüre über sein Wohnquartier in der Bremer Neuen Vahr (1980) und verfasste ein Sendemanuskript zu einem Feature für Radio Bremen über Bremen als Auswandererhafen (1982). Seine Kurzgeschichte »Onkel Louis« wurde vom Bremer Hochschullehrer Ian Watson ins Englische übersetzt und erschien in der englischen Zeitschrift Fireweed zum Thema »Anti-Fascist Issue« neben Autoren wie Bertolt Brecht, Anna Seghers und Heinrich Böll (1977). Zwischen 1980 und 1990 hielt Hans Meier Lesungen und Vorträge in Schulen, öffentlichen Bibliotheken, gewerkschaftlichen Gremien, Bürgerhäusern und Freizeitheimen. Die Rede- und Vortragsmanuskripte sind offenbar mit dem restlichen Nachlass verlorengegangen. Von seinen Büchern ist nur noch der »Raffgier«-Band antiquarisch erhältlich.
Aber Hans Meier lebt weiter, vor allem in der guten Erinnerung seiner Freunde, der politischen und literarischen Weggefährten. Auch der Schriftsteller Ulrich Land, der 1988 für den WDR ein Interview mit Hans Meier führte (»Klar, daß wir Schiß hatten«), erinnert sich noch heute an ihn als eine beeindruckende Persönlichkeit. In einem Bremer Stadtführer von Ian Watson (»Bremen erlesen«, 2019) und in einem Beitrag von Johann-G. König im Bremischen Jahrbuch über Bremer Autorinnen und Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts (2018) wird die Lektüre der Texte Hans Meiers ausdrücklich empfohlen. Zuletzt würdigten Thomas Metscher und Jenny Farrell ihn als »Meister der knappen Form« (»Kunst und Revolution«, 2024).
Gemeinsam mit seiner Frau, von allen Dorchen genannt, leistete Hans Meier ab 1933 Widerstand gegen die Nazis. Die Meiers hängten es nicht an die große Glocke, so dass nur wenige davon wussten. Meier wurde mehrmals festgenommen, beim dritten Mal zu Gefängnis verurteilt, aber er verriet niemanden.
Vieles um und über Hans Meier bleibt unklar und rätselhaft. So stellt sich die Frage, wie aus dem zu Beginn des Ersten Weltkriegs geborenen Arbeiterkind ein vielseitig gebildeter und geachteter Schriftsteller werden konnte. Um hierauf eine Antwort zu finden, gehe ich im Folgenden auf zwei Orte näher ein.
Bremen und die Ostertorwache
Die Ostertorwache in Bremen liegt schräg gegenüber der Kunsthalle und dem Theater am Goetheplatz, in dem 1966 Peter Zadeks Aufführung von Schillers »Räuber« für Furore sorgte. In dem Gefangenenhaus der Ostertorwache war Hans Meier in der Nazizeit wegen antifaschistischer Widerstandstätigkeit und »versuchten Hochverrats« von Oktober 1936 bis April 1939 eingesperrt. Einen Steinwurf entfernt befindet sich das noch heute einschüchternd wirkende Polizeigebäude, in dem er mehrmals verhört worden war, und wo heute die Stadtbibliothek ihren Sitz hat. Die Gestapo hatte unweit am Wall ihr Hauptquartier, ging aber im Gefangenenhaus ein und aus und hatte im Kellergeschoss einen eigenen Verhörraum. Laut Angaben von Meier selbst erlitt er seinerzeit außer einer Backpfeife keine körperlichen Misshandlungen. Von den seelischen und psychischen Folgen, über Jahre Tag und Nacht der absoluten Willkür der Gestapo ausgeliefert gewesen zu sein, scheint er mit seinen Freunden und Wegbegleitern kaum gesprochen zu haben. Nur in seinem Antrag auf Wiedergutmachung aus den 1960er Jahren, aufbewahrt im Bremer Staatsarchiv, hat er darüber berichtet.
Die Wache liegt am Rande der Innenstadt inmitten der beschaulichen Wallanlagen, die zum Spazierengehen einladen und die von Sommervillen wohlhabender Bürger gesäumt sind. Sie wurde, nachdem Abschiebehäftlinge 1996 aus Protest gegen Überfüllung einen Brand gelegt hatten, umgewidmet und wieder zur säulenumstandenen »Weißen Wache« aufgehübscht. Heute beherbergt sie die Ausstellung des Bauhauskünstlers Wilhelm Wagenfeld. Eine Gedenkstätte im Gebäude erinnert an das Gefangenenhaus.
Im Gefangenenhaus hat Hans Meier auch seine Strafe als Hochverräter abgesessen, weil er als Handwerker für die Renovierungsarbeiten gebraucht wurde. Er soll später oft erzählt haben, dass das Gefängnis seine »literarische Universität« gewesen sei. Denn hier hatte er Zugriff auf eine gut sortierte Anstaltsbibliothek, die nicht »gesäubert« worden war – ob aus Absicht oder nicht, ist unbekannt. So konnte er die geliebten Short storys von Ernest Hemingway lesen, die seine eigenen Kurzgeschichten so sehr prägen sollten. Meier hatte das Glück im Unglück, den amerikanischen Meister nicht wie viele andere Schriftsteller erst nach dem Krieg kennenzulernen.
Hans Meier verhielt sich als politischer Gefangener immer höflich und korrekt gegenüber dem Wachpersonal. So wurde ihm als Gegenleistung auch schon einmal ein zweites Buch oder ein Extrastück Brot zugesteckt. Der Ich-Erzähler in der Geschichte »Grüne Bohnen« erklärt sich das Verhalten der Wächter »als Art, das Gewissen zu beruhigen«. Denn es sind »ältere Männer, die schon zu der Zeit Gefangenenaufseher waren, als in dieser Stadt noch ein Sozialdemokrat der Justiz vorstand, der heute, soviel ich weiß, pensioniert ist«.
Nach außen hin stellt sich der Erzähler dumm und ahnungslos, denn er will seine Genossen nicht verraten. Jeder Häftling, der zu ihm in die Zelle gesteckt wird, könnte ein Spitzel sein. Ist Meier seit dieser Zeit so sehr traumatisiert, dass er die höfliche Zurückhaltung aus der Knastzeit im späteren Leben als Schutz vor möglichen Verletzungen beibehält?
Fast vierzig Jahre brauchte Hans Meier, um seine Erfahrungen im Gefangenenhaus in die angemessene literarische Form zu bringen. Seine Kurzgeschichten kommen auf den ersten Blick einfach daher und behandeln – immer auf Grundlage der eigenen Lebenserfahrungen – zu großen Teilen das Leben unter dem Faschismus und in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Westdeutschland.
In »Der Bibelmann« geht es um zwei Gefangene, die für ein Jahr lang eine Zelle teilen. Sie könnten verschiedener nicht sein: Der Ich-Erzähler ist Kommunist, sein Zellengenosse ein Zeuge Jehovas. Aus der Perspektive des Erzählers ist der Bibelmann Karl Hahn »wegen seines Fanatismus ein armer Irrer – der Leser möge mir verzeihen, ich war damals ganze 19 Jahre alt und wie viele junge Marxisten voller Überheblichkeit«. Am Ende weigert sich der Bibelmann, seinem Glauben abzusagen. Der Erzähler versucht ihn verzweifelt davon zu überzeugen, einfach zu lügen, um sich zu retten. Aber umsonst. Hahn verabschiedet sich mit den Worten: »Der Herr möge dich beschützen.« Der Erzähler: »Ich habe geheult, als sie ihn abholten (ich war erst 19 Jahre, bedenken Sie das)«. Dreißig Jahre nach dem Naziterror fragt er sich: »Ob der Herr mich beschützt hat?« Ihm ist erst jetzt als altem Marxisten beim Erzählen klar geworden: Die Nazis, die »Bestien«, haben seinen »Freund Karl Hahn« auf dem Gewissen, während er selbst aus purem Zufall und ungewissem Geschick überlebt hat.
Das Atelier im Bauernhaus
Hans Meier hatte als Funktionär der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) mit dem Aufbau der Bremer Universität (seit 1971) zu tun und kam in diesem Zusammenhang in Kontakt mit Professoren, so auch mit dem Anglisten und Philologen Thomas Metscher. Metscher ist gemeinsam mit seiner Frau Priscilla der Entdecker Hans Meiers. Er vermittelte ihm einen Buchvertrag mit dem in Fischerhude ansässigen Verlag »Atelier im Bauernhaus«. 1976 erschien dort der Erzählband »Kolonie Raffgier«.
Hans Meier hat zuerst als Journalist professionell geschrieben. Nach Kriegsende bis 1956 als KPD-Funktionär für die Bremer KPD-Tageszeitung Tribüne der Demokratie, seit Anfang der 1960er Jahre bis 1969 für die sozialistische Wochenzeitung Neues Echo. Seine Artikel im Neuen Echo behandeln alle möglichen Themen: wirtschafts-, außen-, innen- und sozialpolitische, kulturelle und Sportthemen. So hat er sich in viele Bereiche eingearbeitet. Man könnte sagen, er habe seine journalistische Tätigkeit als ein Studium generale genutzt, um seine Allgemeinbildung zu festigen und zu erweitern.
Zwei Beispiele. Erstens: In einem Beitrag über ein Kulturfest zum Bremer Ostermarsch schwärmt er von der zum ersten Mal in der BRD auftretenden US-amerikanischen Sängerin Barbara Dane. Für Hans Meier ist sie eine »umwerfend originelle und vitale Künstlerin großen Formats« (Neues Echo, 17.3.1967). Wer mag, kann sich selbst überzeugen bei ihren Interpretationen von »Nine Hundred Miles«, »I Hate the Capitalist System« oder »I’m On My Way«. Zweitens: Bei der Besprechung des erschütternden und heute längst vergessenen polnischen Filmes »Das Ende unserer Welt« (1964) von Wanda Jakubowska über Auschwitz geht Hans Meier auf die (damals noch) ungewöhnliche Erzählweise des Filmes ein. Der schildert das Leid der KZ-Häftlinge aus der Erinnerung der Hauptperson. Diese läuft in der Jetztzeit durch das Lager und lässt Zuschauer »in Rückblenden (…) die Hölle von Auschwitz (…) miterleben« (Neues Echo, 19.9.1965). Die bewunderte Vitalität Danes und die durch zahlreiche Rückblenden gekennzeichnete Erzählweise Jakubowskas werden später Kennzeichen von Meiers eigener Prosa.
Aber der Journalist Hans Meier schreibt ganz anders als der Schriftsteller. Zwar hat er im Neuen Echo schon einen klaren und präzisen Stil, aber Zeitungsartikel sind Gebrauchstexte, die nebenbei oder nach anstrengender Arbeit gelesen werden. Deshalb weisen Meiers journalistische Texte die genretypischen Wiederholungen von wichtigen Informationen auf, die dafür sorgen, dass der vielfach abgelenkte Leser die Konzentration nicht verliert. Das literarische Erzählen verlangt eine besondere, eigene Form. Wie erarbeitete sich Hans Meier seinen eigenen Prosastil?
1980 veröffentlichte er ein Gedicht, das von einer Lesung in der Diele des »Ateliers« handeln könnte (»Lesung in der ›Bauerndiele‹«). Darin legt Meier sein literarisches Credo ab: Das lyrische Ich kaufte sich, um seinen »dürftigen Wortschatz / Zu erweitern« und seiner »Schreibe / Ein wenig Poesie einzuhauchen« zwei Literaturzeitschriften. Aber was muss er im Literaturmagazin Nr. 4 lesen? Die angeblich so wortreichen und poesieangehauchten linken Schriftsteller verkünden einerseits den »Tod der Literatur« und andererseits den Anspruch, dass sie selbst Literatur seien und »leben«. Aus diesen etwas überspannten und vorlauten literaturpolitischen Debatten hat sich der höfliche Hans Meier herausgehalten.
Statt dessen hat er sich auf seine Art von Literatur konzentriert, die nicht um die schwankende Befindlichkeit eines Ichs kreist, auch nicht marktgängig ist, sondern die sich dem historischen Erinnern widmet, dem Widerstand gegen die Vernichtung von Wissen und Menschen. Literatur sei, heißt es in dem Gedicht, eine »schöne und nahrhafte / Sache«, vor allem für seine »Kumpels«, für die er in der Bauerndiele lese. Ihnen »gefiel / (s)eine Schreibe«, so dass es am Schluss heißt: »Komm mal wieder / Sagten sie beim Abschied.« Eine solche Literatur, die aufgrund einer gemeinsamen »Dritten Sache« (Bertolt Brecht) im direkten Dialog mit den Kumpels steht, ist eine »nahrhafte Sache«, sie dient der Menschwerdung des Menschen.
Vom Handwerk
Hans Meier widmete sich erst als Rentner ganz dem literarischen Schreiben. Da hatte er genügend Lebenszeit hinter sich, um die Lebensthemen in sich reifen zu lassen und sein Sprachvermögen auszubilden. Und mit dem Erhalt der Rente war er vom Erwerbszwang befreit. Er selbst sprach von »professioneller literarischer Arbeit«, die erst jetzt möglich war.
Auf die Frage, wie Meier zum Schreiben kam, gibt es zwei verschiedene Antworten. Meier selbst sagte im Gespräch mit Ian Watson für Radio Bremen (1994), sein Freund Thomas Metscher habe ihm mit Rat und Tat geholfen, »im hohen Alter ein Arbeiterschriftsteller« zu werden. Meier war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der »Kolonie Raffgier« 62 Jahre alt. Aber Thomas Metscher selbst äußerte gegenüber dem Verfasser, dass Meier ihm Anfang der 70er Jahre bereits perfekte Kurzgeschichten vorgelegt habe, die keiner Korrekturen mehr bedurften.
Es fehlt also letzte Gewissheit, auf welche Weise Hans Meier sein literarisches Erzählen wirklich gelernt hat. Sicher wird er durch Lektüre angeregt worden sein. An erster Stelle wäre da die Dialogführung in Ernest Hemingways Short storys zu nennen. Aber es stellt sich doch die grundsätzliche Frage, ob ein Autor überhaupt in der Lage ist, autodidaktisch nur für sich im stillen Kämmerlein das Erzählhandwerk zu erlernen.
Ende der 1970er Jahre vermutlich, also nach Erscheinen von »Kolonie Raffgier«, schloss Hans Meier sich dem »Werkkreis Literatur der Arbeitswelt« an, einem Verband, der professionelle und nichtprofessionelle Schriftsteller zusammenführte, die bevorzugt über Themen der Arbeitswelt schrieben. Meier nahm regelmäßig an Treffen des Bremer Werkkreises teil, bei denen Texte vorgelesen und kritisch besprochen wurden. Die Mitglieder veröffentlichten ihre Texte auch in Anthologien der Fischer-Taschenbuchreihe »Literatur der Arbeitswelt« oder im Selbstverlag. Dokumentiert ist ein gemeinsamer Band, aus dem das Gedicht »Lesung in der Bauerndiele« stammt (»aus der nicht ganz freien Hansestadt Bremen«, Band 3). Laut Auskunft der Bremer Autorin Ulrike Kleinert hat es 1980 mindestens eine Gemeinschaftslesung der Werkstatt gegeben.
Hans Meier hat an seinen Texten immer wieder gefeilt. Anders als bei den journalistischen Texten musste er seine Kurzgeschichten ständig verbessern (laut Auskunft seines Enkels). Wenn man die verschiedenen Druckversionen vergleicht, erkennt man, mit welcher Genauigkeit er vorging. So nutzt Meier verstärkt die Tempusformen, um den Abstand des Erzählers zum Erzählgegenstand zu betonen. In der Geschichte »Grüne Bohnen« zum Beispiel wird dem Erzähler ein von den Wärtern als schwerer Gewalttäter bezeichneter Mithäftling in die Zelle gebracht. Plötzlich wechselt der Erzähler vom Präsens ins Präteritum: »Ich nahm an, dass er Nazi war.« Nachdem der Erzähler aber erfahren hat, dass der Mann durch Verkettung unglücklicher Umstände dazu gebracht wurde, einen SA-Mann zu erschlagen, kehrt er ebenso plötzlich wieder ins Präsens zurück: »›Du bist unschuldig.‹ Ich sage das voller Überzeugung.« In dem »ich sage« drückt sich neben der Nähe und Solidarität der beiden Häftlinge auch der Erkenntnisprozess des Erzählers aus. Beim Schreiben wird dem Erzähler bewusst, dass der Leidensgenosse in der Vergangenheit kein Spitzel war, der ihm Geheimnisse über die Widerstandsgruppe entlocken sollte, sondern einer, der in ähnlicher Weise wie der Bibelmann im Laufe einer Nacht zu einem Freund geworden ist. Als der Mann von den Wärtern abgeholt wird, versucht der Erzähler, ihn mit einer offensichtlichen Lüge aufzumuntern: »Mach’s gut.« Er weiß, ohne es auszusprechen, dass die Nazijustiz unerbittlich Rache an dem Unglücklichen üben wird. Am Schluss der Geschichte wendet sich der Erzähler ohne offensichtliche Regung wieder der Häftlingsarbeit des Bohnenpulens zu, dabei jeden Gedanken an den Freund unterdrückend. Selbst unter unmenschlichsten Bedingungen können Freundschaften entstehen. Implizite Aufforderung an den Leser: Werden auch Sie ein Mensch!
Festhalten am Sozialismus
Im Sommer 2025 haben wir das ehemalige »Atelier im Bauernhaus« in Fischerhude aufgesucht. Im Jahr 1993 ist das Bürohaus des Verlags abgebrannt, wodurch auch die Briefe und weitere Quellen von Hans Meier vernichtet wurden. Nach dem Tod des eigenwilligen Verlegers Wolf-Dietmar Stock Anfang des Jahres wird der Verlag jetzt aufgelöst. Die Erben haben uns erlaubt, uns im ehrwürdigen Bauernhaus umzuschauen. Wir standen in einer repräsentativen großbäuerlichen Diele, vollgestellt mit Büchern, Kisten und Gerümpel. War dies die Bauerndiele, von der Hans Meier in seinem Gedicht gesprochen hat?
Die Diele verschafft uns eine Vorstellung von den verschiedenen Zeitschichten in einem Raum. Mit den ineinander verschachtelten Rückblenden sind Meiers Kurzgeschichten sinnbildlicher Ausdruck für das menschliche Sein in der Geschichte. Die Gegenwart ist Brennpunkt von Vergangenheit und Zukunft. Oder: Der Mensch ist Produkt und Handelnder einer »werdend-gewordenen« Welt (Metscher). Oder: Der Faschismus, an den wir Nachgeborenen uns erinnern, ist nicht einfach vergangen, sondern schlummert noch drohend im Schoß der Gegenwart. Oder: In der gegenwärtig erlebten Freundschaft und Solidarität findet die Zukunft statt. Damit erklärt sich Literatur als realhistorisch verankerte Vorstellungspraxis, die durch keine andere Denkform, sei es Wissenschaft oder Philosophie, zu ersetzen ist. In diesem Sinne stellen Hans Meiers Kurzgeschichten perfekt gestaltete oder, wie Thomas Metscher sagt, klassische Literatur dar.
1990 wurde Hans Meier durch mehrere Herzinfarkte jäh aus seiner Arbeit gerissen. Er hoffte, nach der Genesung weitermachen zu können. Bisher aber haben sich keine Belege gefunden, dass er bis zu seinem Tod am 12. November 2000 je wieder geschrieben hat.
In einem Gespräch mit Ian Watson aus dem Jahr 1994 hielt Hans Meier sein Vermächtnis fest: »Ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass dem Sozialismus die Zukunft gehört. Er ist nicht überholt, wie immer wieder verkündet wird. Er ist durch nichts zu ersetzen. Man muss schon völlig blind sein, um nicht zu sehen, wie der Kapitalismus mit jedem Tag seine Unfähigkeit beweist, die großen Probleme zu lösen (…). Gewiss, die Arbeiterbewegung hat eine verheerende Niederlage erlitten. Aber den Verfechtern des Sozialismus bleibt nur eins, wieder von vorn zu beginnen und den Kampf aufzunehmen für einen Sozialismus, der diesen Namen verdient, der durch und durch demokratisch ist und der bereit ist, mit allen politischen Kräften zusammenzuarbeiten, die grundsätzlich für eine friedliche und humane Welt eintreten.«
Jürgen Block ist Schriftsteller und Lehrer. Er lebt in Bremerhaven.
Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (13. November 2025 um 09:55 Uhr)Ein schöneres Denkmal kann man Hans Meier nicht errichten als diesen so warmherzig geschriebenen Artikel. Wir wissen nicht viel von ihm, wie wir auch von vielen anderen unserer Mitkämpfer nicht viel wissen. Weil sie bescheiden waren und praktisches Tun immer vor langes Reden gestellt haben. »Einer von uns«, das tut vor allem dann gut, wenn wir daran denken, wie viele es waren und sind, die sich in solch einem Bild selbst wiederfinden können.
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