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Aus: Ausgabe vom 13.11.2025, Seite 1 / Titel
Kindeswohl im Kapitalismus

5, 6, 7 … arm geblieben

UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in der BRD: Jedes siebte Kind ist arm, Unterschiede im Grad der Bildung und der Gesundheit wachsen
Von Luca von Ludwig
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Die kapitalistische Geburtenlotterie ist leider kein Spiel, sondern lässt Millionen Kinder in Armut leben

Wie geht es den Kindern hierzulande? Man ahnt es, es geht ihnen schlecht. Schon seit längerem, und es wird schlimmer. Zu diesem Ergebnis kommt der »Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland 2025«, den UNICEF Deutschland am Mittwoch veröffentlichte. »Es bewegt sich zu wenig für Kinder«, konstatierte Georg Graf Waldersee, Vorstandsvorsitzender der Organisation, bei der Vorstellung des Reports mit Blick auf die sich stetig vergrößernde materielle Armut, in der Kinder und Jugendliche in der BRD demnach leben.

Zu den sechs Aspekten, die das mit der Erstellung des Berichts betraute Deutsche Jugendinstitut (DJI) zur Abbildung kindlicher und jugendlicher Lebensrealitäten herangezogen hat, gehören unter anderem die »materielle Situation«, Bildung und Gesundheit. In allen Bereichen zeichnet sich für die Bundesrepublik ein Negativtrend ab. So seien mittlerweile 14 Prozent der Minderjährigen – jedes siebte Kind also – armutsgefährdet. Ein Achtel der Kinder sei auf das Bürgergeld angewiesen, sie machten ein Drittel der Menschen im Bezug aus. Neun Prozent, das heißt 1,3 Millionen Kinder, erlebten »erhebliche materielle und soziale Deprivation«, was bedeutet, dass sie sich mehrere alltägliche Bedarfsgüter nicht leisten können – von einer ausreichend beheizten Wohnung oder einem zweiten Paar Schuhe bis zur Teilnahme an regelmäßigen Freizeitaktivitäten. Von den zwölf europäischen Ländern, die das DJI als Vergleichsmaßstab ausgewählt hat, weisen nur Spanien, die Slowakei und Ungarn höhere Zahlen auf.

Sabine Walper, Direktorin des DIJ, verwies am Mittwoch darauf, dass es zwar in der Theorie viele Sozialhilfsleistungen gebe, sie aber praktisch nur selten in Anspruch genommen würden. Oft wüssten die betroffenen Menschen nichts von den möglichen staatlichen Leistungen, oder aber die behördlichen Hürden seien zu hoch. Andere und explizit auch ökonomisch schwächere Länder schnitten bei der Bekämpfung von Ungleichheit deutlich besser ab, weil sie gezielt in die Förderung von Kindern und Jugendlichen investierten.

Das Aufwachsen in Armut hat weitreichende Folgen für das weitere Leben. Umgekehrt zeigt sich, wie sehr Bildungserfolg von der sozialen Herkunft abhängt: Während insgesamt circa ein Viertel der Kinder und Jugendlichen eine Leseschwäche aufweist, sind es laut dem Report bei jenen aus armen Haushalten ganze 39 Prozent. In wohlhabenderen Familien waren es nur acht Prozent. Auch der Zugang zu Kitas sei ungleich verteilt, führte Walper am Mittwoch aus. Dies erschwere die Erwerbstätigkeit der Eltern. Elf Prozent der Kinder lebten hierzulande in Haushalten, in denen die Eltern kaum am Berufsleben teilnehmen – ein EU-weiter »Spitzenplatz« für die BRD.

Ein dramatisches Bild zeichnet der Report zudem für die Entwicklung der Gesundheit der Minderjährigen. Nicht zuletzt die Coronapandemie hat einen starken Anstieg regelmäßiger gesundheitlicher Probleme bewirkt. 2022, die aktuellsten Daten stammen aus jenem Jahr, klagten 40 Prozent der Jugendlichen über regelmäßige Gesundheitsbeschwerden. 2018 waren es gerade einmal 26 Prozent gewesen. Zudem stellt der Bericht die mangelhafte Versorgungslage bei Kinderarztpraxen insbesondere in ländlichen und oft armen Regionen heraus.

Die sogenannten Wirtschaftsweisen präsentierten gleichentags ihren Jahresbericht zur ökonomischen Lage der Nation. Veronika Grimm nutzte die Gelegenheit, um die Bevölkerung über die enorme Vermögensungleichheit im Land hinwegzutrösten, indem sie auf die doch so ausgeprägten sozialen Sicherungssysteme verwies. Also, Kinder: Hat schon alles seine Richtigkeit.

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