Glitzernde Fassaden
Von David Goeßmann
Klimagipfel sind vor allem Ankündigungsgipfel. Man werde Treibhausgase reduzieren, die Energiewende befördern, die Klimafolgen bekämpfen, heißt es seit dreißig Jahren von den Industriestaaten, die hauptverantwortlich für die Klimakrise sind. Auch bei der Finanzierung ist viel versprochen worden. Das war schon der Fall bei den Gipfeln in Kopenhagen (2009) und Paris (2015), und auch bei der COP 30 in Brasilien, die vom 10. bis 21. November stattfindet, dürften die Regierungen ihre Absicht erklären, den Entwicklungsländern unter die Arme zu greifen. Doch Versprechen sind noch keine Taten.
In Paris wurden zum Beispiel ab dem Jahr 2020 hundert Milliarden US-Dollar jährlich zugesagt. Zwar erreichte man 2022 (mit zweijähriger Verspätung) diese Marke zum ersten Mal – aber nur auf dem Papier. Die Industrienationen vermeldeten 116 Milliarden, der tatsächliche Wert der Hilfen beläuft sich laut der Hilfsorganisation Oxfam auf nur 28 bis 35 Milliarden Dollar. Denn bei 70 Prozent der Gelder handelt es sich um Kredite. Die erhöhen lediglich die Last der ohnehin schon überschuldeten Länder des globalen Südens. 24 Milliarden Dollar der OECD-Summe sind zudem private Investments.
Darüber hinaus werden die Gelder zu großen Teilen in die Entwicklungshilfe (Official Development Assistance, ODA) gebucht. Ein Viertel der ODA-Hilfe speist sich heute aus Klimageldern, was andere Aufgaben wie die Bekämpfung von Armut an den Rand drängt. So stellte die Bundesregierung im Dezember 2016 auf die kleine Anfrage der Grünen, ob die Klimafinanzierung zusätzlich zur Entwicklungszusammenarbeit geleistet werde, fest, dass die »deutsche Klimafinanzierung (…) nahezu vollständig ODA-anrechenbar« ist. »Klima- und Entwicklungspolitik« seien »intrinsisch miteinander verzahnt«. Solch eine Verzahnung ist natürlich sinnvoll, wenn man nicht bereit ist, zusätzlich zu zahlen. Das widerspricht jedoch dem Versprechen, jenseits der Entwicklungshilfe für die Klimakrise öffentliche Finanzmittel bereitzustellen.
Historische Schuld
Selbst mit den eingebuchten Klimageldern sind die OECD-Staaten allerdings weit von der Marke für Entwicklungshilfe – 0,7 Prozent des BIP – entfernt. Eine Summe, die bereits in den 1970er Jahren zugesagt wurde. Damit fließen praktisch keine Gelder zusätzlich in den globalen Süden, und die Länder dort werden mit den Folgen der Klimakrise alleingelassen, während Kredite und private Investments von den armen Ländern refinanziert werden müssen.
Nun ist die Klimafinanzierung nicht ein freiwilliger Wohltätigkeitsakt der industrialisierten Länder, sondern sie entspringt einer historischen Schuld. Die Klimagelder sind tatsächlich Entschädigungen für die permanente Übernutzung der Atmosphäre durch das Verbrennen von Kohle, Gas und Öl zur Energiegewinnung der Industriestaaten, wodurch sie »kohlenstoffinsolvent« wurden. Die reichen Nationen haben gemäß ihrem Anteil am Treibhausgasbudget schon lange keine Emissionsrechte mehr und leben auf Emissionspump der armen Länder, wie Studien zeigen.
Diese historischen Klimaschulden wurden bereits in der UN-Klimarahmenkonvention 1992 in der Formulierung der »gemeinsamen, aber geteilten Verantwortung« für den Klimawandel zum Ausdruck gebracht. Daran anschließend wurde erklärt, dass die Industriestaaten »neue und zusätzliche finanzielle Mittel« bereitstellen werden, soweit die Entwicklungsländer »sie benötigen, um die vereinbarten vollen Mehrkosten zu tragen« für Emissionsminderung und Anpassung an die Klimaschädigungen.
Die Höhe der Summe, der Umfang der Mehrkosten, ist auch kein Geheimnis. Es gibt eine Reihe von ökonomischen Berechnungen dazu. Die jüngsten Untersuchungen, von der UN unterstützt, gehen von insgesamt einer Billion US-Dollar jährlich für die Entwicklungsländer (exklusive China) ab 2025, 2,3 bis 2,5 Billionen ab 2030 und 3,1 bis 3,5 Billionen ab 2035 aus. Die Autoren der Studien schätzen, dass die Entwicklungsländer die Hälfte der Kosten selbst aufbringen könnten, was eine optimistische Annahme und keinesfalls klimagerecht ist.
Selbst wenn man alle Kredite, ODA-Hilfen und privaten Investitionen einrechnet, ist die Kluft zwischen dem bisher Angebotenen und dem Finanzierungsbedarf enorm. Die derzeitige Summe (auf dem Papier) müsste sofort um das Vielfache gesteigert werden, um allein die Hälfte der Kosten für die armen Länder zu erreichen, um dann auf 1,75 Billionen in zehn Jahren zu steigen. Auch sollten, wie Nichtregierungsorganisationen schon seit langem fordern, nur noch echte Zahlungen angerechnet werden, die zusätzlich zur Entwicklungshilfe geleistet werden, also keine Kredite, private Investments und ODA-Gelder mehr.
Doch die Tendenz geht vor dem Klimagipfel in Brasilien in die andere Richtung, trotz des vagen neuen Versprechens der Industriestaaten, 300 Milliarden Dollar bis 2035 zu mobilisieren. So erklärt Oxfam, dass die Klimagelder parallel zur Entwicklungshilfe seit 2022 rückläufig sind. Zudem ist die Anrechnungspraxis weiter undurchsichtig, während private Investments zunehmend intransparent in die Klimafinanzsummen eingerechnet werden. Vor allem wird sehr wenig Geld für Anpassungsmaßnahmen bereitgestellt, während die Klimafinanzierung für die Länder, die sie am dringendsten benötigen, nicht gedeckt ist. Die am wenigsten entwickelten Länder und die gefährdeten Inselstaaten erhalten nicht einmal ein Viertel der Klimagelder, wobei mehr als die Hälfte davon in Form von Krediten vergeben wird. Eine aktuelle Studie zum Klimagipfel zeigt darüber hinaus, dass weniger als drei Prozent der internationalen Hilfen zur CO2-Minderung in den »fairen Übergang« weg von umweltverschmutzenden Industrien fließen.
Raus aus dem Zahlendschungel
Oft sind es Großprojekte in Ländern mit mittlerem Einkommen, die die Klimagelder der reichen Länder anziehen, wobei die Investments oft keinen transformativen Charakter haben, was eigentlich laut Green Climate Fund (GCF) der Fall sein soll. So wurde, statt die Energiequellen zu diversifizieren, der Ausbau einer großen Dammanlage in Tadschikistan mit 50 Millionen Dollar unterstützt. Damit mache sich das Land auf problematische Weise von Wasserkraft abhängig, wenden Kritiker ein. Im Zuge des Klimawandels drohen nämlich Schnee und Eis, die die Turbinen des Damms speisen, stark abzunehmen. Selbst die erste Direktorin des GCF, Héla Cheikhrouhou, stellt fest, dass der Fonds insgesamt keine »bahnbrechenden Projekte« unterstütze. Oft sei der politische Druck zu groß, vermutet Joe Thwaites, ehemaliger Klimafinanzanalyst des World Resources Institute.
Die Klimafinanzierung ähnelt heute einem Zahlendschungel, der mit Fassadenpolitik an die Öffentlichkeit verkauft wird. Das gilt nicht nur für die viel zu kleinen Summen, die fehlgeleitete Anrechnungspraxis und Buchungsmethoden. Die Geberländer und ihre Institutionen steuern den Fluss der Gelder. Wie bei der Entwicklungshilfe tendiert die Klimafinanzierung dazu, als Exportunterstützung für westliche Firmen und für geostrategische Zwecke missbraucht zu werden. Im schlimmsten Fall werden die Mittel in Einzelprojekten verschleudert, anstatt eine sich selbst tragende Energiewende zu stimulieren, während die Rechte von Indigenen und die Bedürfnisse der vor Ort lebenden Bevölkerung missachtet werden, wie das Beispiel des Turkana-Windparks in Kenia zeigt. Den Empfängerländern die Kontrolle über die Klimagelder zu geben ist daher nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch der Effektivität.
Gefordert wird von zivilgesellschaftlichen Gruppen weltweit daher ein grundlegender Wandel der Klimafinanzmittel. Vor allem müssen die Summen, die als öffentliche Zahlungen bereitgestellt werden, schnell angehoben werden. Die Industrieländer könnten etwa jährlich rund 270 Milliarden US-Dollar an direkter Subventionierung fossiler Brennstoffe in Klimaschutzmaßnahmen umleiten, stellt Oil Change International fest. Die Organisation hat berechnet, wie durch verschiedene Steuern auf umweltverschmutzende Unternehmen, Extremvermögen und emissionsintensiven Konsum rund 5,3 Billionen Dollar pro Jahr mobilisiert werden könnten. Was fehlt, ist nicht das Geld und die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, sondern der politische Wille der Regierungen, die finanziellen Ressourcen für den Klimaschutz im globalen Süden zu mobilisieren. Ob die Klimakonferenz in Belém daran etwas ändern wird, hängt von dem Druck ab, der auf die Verantwortlichen in den Industriestaaten ausgeübt wird.
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