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Aus: Ausgabe vom 05.11.2025, Seite 16 / Sport
Tischtennis

Die jungen Russen leiden

Nahe dran: Jonas Egerts sehenswerter Dokumentarfilm »Ping Pong Paradise« über den TTC Neu-Ulm
Von René Hamann
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Das Leben ist ein Tischtennisschläger: Spitzenspieler Tomokazu Harimoto

Zugegeben, es ist kompliziert. Warum tritt ein Verein mit zwei Aufstellungen an, je nachdem, welcher Wettbewerb gerade stattfindet? Und wenn das in Ordnung ist, weshalb wird er am Ende bestraft?

Klingt akademisch, das Problem, nachgerade sportakademisch. Im Dokumentarfilm »Ping Pong Paradise«, der Filmhochschulabschlussarbeit von Regisseur Jonas Egert, ist dieses Problem sozusagen die Quintessenz. Auch wenn man sich nicht auskennt, sollte einen das keinesfalls abhalten, sich diesen tollen Film anzuschauen. Verhandelt werden da ohnehin vor allem andere Dinge.

Es geht um den TTC Neu-Ulm, einen typischen Tischtennisverein der Oberklasse aus der bayerischen Provinz. Typisch – und doch ein Outlaw. Verleger und Millionär Florian Ebner hat sich den Verein ausgedacht, Lücken im System des DTTB (Stichwort Wildcard) ausgenutzt und ihn kurzerhand in die Bundesliga gestellt, mit drei jungen russischen Spielern samt russischem Trainer. Egert heftet sich an ihre Fersen.

Das ist nicht alles: Wir schreiben das Jahr 2022. Putin lässt in die Ukraine einmarschieren, die jungen Russen wollen oder können nicht zurück in die Heimat. Gleichzeitig sind da zwei Topspieler, die nicht länger für einen russischen Topverein spielen wollen, und zwei weitere Topspieler, die Ebner für die Champions-League- und Pokalausgabe des Teams kurzerhand dazukauft. Was für ein Setting! Und Egert hängt sich mit seinem Filmteam einfach dran. Hält sich gleichzeitig im Hintergrund, wertet nicht, beobachtet.

Was man so alles zu sehen bekommt, erfreut nicht allein das Herz eines Tischtennis-Aficionados. Man sieht unter anderem: die Macken, die Großmäuligkeit der Stars, das trotzdem immer bescheidene Setting, alles sehr deutsch. Das Leben in Sporthallen: Training, Essen, Albernheiten. Sehr deutsch auch die Hallen, die Zuschauer, die Offiziellen, Moderatoren und Journalisten. Provinz vom Feinsten, das Jahr beinahe egal. Man sieht das Leben, die Leiden des russischen Trainers, eines ehemaligen Spielers, der immer noch daran kaut, das Spiel um Bronze bei Olympia verloren zu haben, als er noch jung und fähig war.

Und man sieht das Spiel: groß und in Farbe, mit allen Facetten und Nuancen, emotionale Reaktionen. Tischtennis ist ja ein sehr, sehr emotionaler Sport, obwohl immer wieder mentale Kühle eingefordert wird. Hier merkt man das. Man sieht, wie sehr das alles Einfluss auf das Spiel hat – die jungen Russen leiden merklich an der Situation, werden immer schlechter trotz der Unterstützung des Trainers, ebenfalls einst emigriert. Gleichzeitig holen die Stars den Pokal, verlieren aber das Finale der Champions League in einem harten Kampf gegen denselben Gegner.

Dass Sportbürokratie erster Anlass des Films war, ist rasch vergessen, holt den Verein am Ende aber wieder ein. Oben und unten gibt es immer: Die Stars sind die Stars, die jungen Russen für sie nicht viel mehr als Sparringspartner. Die Stars spielen noch andere Turniere, für andere Vereine, jetten durch die Welt, haben viel höhere Einnahmen. Dabei ist Tischtennis im Grunde eine sehr eigene kleine Welt – besonders hübsch zu sehen beim Auswärtsspiel in Wiener Neustadt, holzvertäfelte Wände, die Zuschauer speisen während der Spiele.

»Ping Pong Paradise« ist ein kleiner, feiner, genauer Film, der Nähe stiftet und von der dem Team geschenkten Nähe profitiert. Er ist nicht sensationshaschend, hat keinen populistischen Dreh. Die Irrungen und Wirrungen des großen Betriebs – DTTB, Bundesliga – interessieren »Ping Pong Paradise« lediglich als Grundlage fürs kleine große Drama der Bilder. Fast könnte man meinen, das Leben wäre eine Tischtennisplatte.

»Ping Pong Paradise«, Regie: Jonas Egert, BRD 2025, 116 Min., bereits angelaufen

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