Arbeiten ja, Asyl nein
Von Eike Andreas Seidel
Warten und Geduld, das sind zwei Begriffe im Deutschen, die Einwanderer im wahrsten Sinne des Wortes hautnah erfahren: warten auf das Interview beim Bundesamt für Migration (BAMF), warten auf eine Arbeitsgenehmigung, warten auf einen Aufenthaltstitel, eventuell warten auf ein Gerichtsurteil vor dem Verwaltungsgericht, warten auf das Bürgergeld, das Kindergeld, eventuell den Kinderzuschlag, einen Termin beim Jobcenter, die Verpflichtung oder Genehmigung für einen Deutsch- und Integrationskurs, den Bescheid, dass es nun auch einen Platz in einem Kurs gebe, warten auf eine Wohnungszusage, auf Wohngeld, den Bescheid des Jobcenters auf eine Erstausstattung der endlich gefundenen Wohnung, einen Termin beim Arbeitsgericht, um gegen betrügerische Chefs vorzugehen, einen Kitaplatz, einen Kinder- oder auch nur einen Hausarzt und sicher auch Warten auf einen pünktlichen Zug der Deutschen Bahn. Geduld ist eben erste Bürgerpflicht in Deutschland – vor allem für Geflüchtete.
Das alles wird die Mutter von Patience aus Burundi nicht gewusst haben, als sie ihrem Sohn diesen Namen – französisch: Geduld – gab. Patience, ein Angehöriger der dortigen Minderheit der Tutsi, ist vor den Verfolgungen durch die Hutu-Mehrheit nach Uganda geflohen, hat dann in der dortigen Hauptstadt Kampala Betriebswirtschaft gelernt, bevor er seine Ehefrau, eine examinierte Krankenpflegerin, dann wieder in Burundi heiraten konnte – in der Hoffnung auf bessere Verhältnisse dort. Doch die Hoffnung zerplatzte: Noch vor der Geburt der Tochter floh er erneut aus diesem Land – dem am Bruttoinlandsprodukt gemessen ärmsten Land der Welt –, in dem politische Gegner der aktuellen von Hutu dominierten Regierung von Mordbanden aus deren Umfeld auf offener Straße ermordet werden.
Dreieinhalb Jahre ist er nun in Deutschland. Nach drei Jahren des Wartens hatte er endlich sein Interview beim BAMF – da hat er schon längere Zeit gearbeitet: Erst als Picker bei Amazon, mittlerweile fest angestellt als Packer, der die Pakete auf Vollständigkeit kontrolliert und in den Versand gibt. 3.000 EUR brutto (ca. 2.100 netto) hat er im Monat, die Schichtzulagen nicht eingerechnet. Das ist in Deutschland das Durchschnittseinkommen eines Alleinstehenden.
Im April kamen dann die Ehefrau Goreth und das Kind nach – nicht im für Asylbewerber unmöglichen Familiennachzug, sondern als eigenständig Geflüchtete. Sie hatte ihr Interview schon nach wenigen Monaten. Nun hausen sie zusammen in einem Containerzimmer in einer Unterkunft in Buchholz. Es zieht, die Tochter hat Bronchitis. Anders als in anderen Unterkünften haben hier die Wohneinheiten lediglich eine Küche. WC und Bad gibt es nur für alle Bewohner der Container zusammen am Ende eines langen Ganges.
Die Unterkunft hat kein WLAN und keinen Fernseher – ein seit Jahren angemahnter Missstand. Zudem liegt sie im »Funkloch«, so dass auch über Handy dort kein zuverlässiger Kontakt zur weiten Welt möglich ist. Die Unterkunft gehört »eigentlich« abgerissen – der Landkreis hat derzeit ein Überangebot an Plätzen in Unterkünften, und speziell diese Container sind der Rest, der nach einem Brand übrig geblieben ist. Die zweite Containerreihe war im Sommer 2024 durch einen verzweifelten Asylsuchenden angezündet worden. Er hatte das Warten nicht mehr ausgehalten.
Monatelang hat sich Patience nun schon um eigenen Wohnraum bemüht, aber sein Status als Asylsuchender macht ihm bei Vermietern immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Außerdem hat er eine Wohnsitzauflage für den Landkreis Harburg. Die Dörfer im Umkreis um Amazon in Winsen liegen aber oftmals im Landkreis Lüneburg – für ihn verbotenes Land.
Als Asylsuchender in »Aufenthaltsgestattung« stehen ihm auch weder Kindergeld noch Kinderzuschlag zu. Eine »Erstausstattung« für eine Wohnung bekäme er ebenfalls nicht. Da er bei seinem Einkommen keinen Anspruch auf Asylbewerberleistungen hat, könnte er allenfalls Wohngeld beantragen. Bei Änderung seiner Steuerklasse steigt sein Lohn auf etwa 2.300 Euro netto. Wohngeld bei eigener angemieteter Wohnung wären vielleicht noch einmal 300 Euro.
Einen Bescheid über die zu entrichtende »Gebühr« in der Unterkunft hat Patience noch nicht bekommen. Er selbst muss als Erwerbstätiger pro Monat 360 Euro für sein Bett bezahlen. Insgesamt wird es für die Familie also vermutlich auf rund tausend Euro hinauslaufen. So bleiben ihnen mit dem Freibetrag auf seinen Lohn etwa 1.600 Euro zum Leben. Das sind etwa gut 200 Euro über dem Regelbedarf für die drei beim Bürgergeld und wohl 450 EUR mehr als die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Sie hoffen, doch noch irgendwie eine Wohnung zu finden. Etwas mehr als 1.000 Euro wären zu stemmen. Wenn Patience Wohngeld bekäme, auch mehr – aber wie könnte er die Wartezeit bis zur Genehmigung überbrücken? Wie die Einrichtung finanzieren? Wie die Kaution? Hätte er eine Aufenthaltserlaubnis, wäre er endlich anerkannt, dann sähe alles mit Kindergeld, möglicherweise Kinderzuschlag und einem möglichen Kredit für die Mietkaution sehr viel besser aus. Dann gäbe es auch möglicherweise Helfer, die gegen diese Sicherheiten in Vorleistung treten würden.
Möglich aber auch, dass er in seiner Situation und angesichts der aktuellen Migrationspolitik gar keine Genehmigung für eine eigene Wohnung bekommt: So wurde einem kurdischen Asylsuchenden aus der Türkei die Anmietung einer eigenen – und gegenüber den Gebühren der Unterkünfte sehr viel günstigere – Wohnung verweigert. Denkwürdige Begründung: Der Landkreis habe ein berechtigtes Interesse, Einnahmen aus den fehlgeplanten und sonst leer stehenden Unterkünften zu generieren.
Patience und Goreth hoffen nun erst einmal, einen Kitaplatz für die im Dezember drei Jahre alt werdende Tochter zu bekommen. Dann könnte Goreth einen Deutschkurs besuchen – ein erster Schritt in Richtung ihrer beruflichen Integration in Deutschland.
Doch noch warten sie auf die Entscheidung über ihren Asylantrag: Menschen aus Burundi haben oft jahrelang auf ihre Anhörung beim BAMF warten müssen. In ganz Deutschland gibt es nördlich von Kassel genau einen Übersetzer für die Landessprache Kirundi. So wurden die Anhörungen meist auf Französisch durchgeführt – einer Amtssprache, die aber viele Menschen (und manchmal auch die Dolmetscher) nicht richtig beherrschen. Erst in diesem Sommer kam es beim BAMF in Hamburg zu einer wahren Welle von Anhörungen von Asylsuchenden aus Burundi – die meisten mit einem für sie negativen Ergebnis.
Im gesamten vergangenen Jahr 2024 betrug die durchschnittliche Bearbeitungsdauer für einen Asylantrag eines Menschen aus Burundi 17,1 Monate, es wurden 331 Entscheidungen gefällt und die Anerkennungsquote betrug 8,4 Prozent – das sind 28 oder 29 Menschen, die einen Aufenthaltstitel bekamen. Der Rest ist geduldet oder muss das Land verlassen. Anfang 2025 waren noch 851 Verfahren offen, die älter als 21 Monate waren – also bei denen die Asylsuchenden zwei Jahre oder länger auf eine Entscheidung gewartet haben. Und diese Menschen warten, arbeiten und hoffen, dass sie zu den wenigen gehören, die in diesem Land bleiben dürfen.
Patience ist einer von ihnen.
Hintergrund: Verschärfung statt Integration
Im Rahmen des deutschen Anpassungsgesetzes zum »Gemeinsamen europäischen Asylsystem«, GEAS, sind für Asylsuchende erhebliche Verschlechterungen beim Arbeitsmarktzugang zu erwarten. So soll in Zukunft die Arbeitserlaubnis entzogen werden, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen Asylantrag negativ beschieden hat. Dies soll auch dann gelten, wenn ein Verfahren gegen diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgericht eingeleitet ist – solche Verfahren dauern oft mehrere Jahre. Diese Regelung widerspricht Art. 17 Abs. 9 der EU-Aufnahmerichtlinie (2024/1346). Danach darf der Zugang zum Arbeitsmarkt während eines laufenden Rechtsbehelfsverfahrens nicht entzogen werden, wenn sich die betreffende Person weiterhin rechtmäßig im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aufhält. Das ist ganz überwiegend der Fall, wenn nach einer Ablehnung des Asylantrags als »einfach unbegründet« (eine der Kategorien einer Ablehnung) Klage eingereicht wird.
Mit dieser Änderung wird die Bereitschaft von Firmen gefährdet, Asylsuchende zu beschäftigen. Gerade qualifizierte Beschäftigungen erfordern Planungssicherheit und oft dauert es Monate, bis ein Mitarbeiter produktiv eingesetzt werden kann. Die Unsicherheit, wie lange ein geeigneter Bewerber im Betrieb tatsächlich bleiben darf, wird viele Einstellungen verhindern. Für Asylsuchende und ihre Familien bedeutet es, dass sie immer damit rechnen müssen, auf das Niveau der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz herabzufallen und alle durch ihre Erwerbsarbeit erzielten Verbesserungen ihres Lebensstandards wieder zu verlieren.
Das betrifft auch Asylsuchende, die eine Lehre begonnen haben. Sie haben heute schon kein Anrecht auf Berufsausbildungsbeihilfe. Die in manchen Fällen ausgesprochene Zusage, dass ihre Aufenthaltsgestattung für die Dauer der Ausbildung weiter zu genehmigen sei, soll durch die neuen Regelungen außer Kraft gesetzt werden können. Die Formulierung »wenn sie ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sind«, ist dabei derart schwammig und unpräzise, dass hier Schlimmes befürchtet werden muss – schon das Versäumen eines Termins kann als eine solche Verletzung der Mitwirkungspflicht zu einem Widerruf der Arbeits- oder Ausbildungserlaubnis führen.
Für die neue deutsche Abschreckungspolitik völlig unerheblich ist dabei die damit verbundene Erhöhung der Ausgaben für Antragsteller, die nun noch weniger als bisher während ihres Asylverfahrens in Lohn und Brot kommen werden. (eas)
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