Tod auf vier Beinen
Von Lars Lange
Donbass, Frühjahr 2025: Ein ukrainischer Soldat liegt verwundet in einem Graben, russische Drohnen patrouillieren permanent über der Position. Niemand kann ihn bergen – zu groß die Gefahr. Doch dann nähert sich ein »Gereon«-Roboter, lautlos im Elektromodus. Der Verwundete zieht sich auf die Pritsche der Maschine, die durch Artilleriebeschuss zurückfährt. Aus sicherer Distanz steuert ein Operator das Fahrzeug per Joystick.
Zur gleichen Zeit, wenige Kilometer weiter östlich: Russische Soldaten verschanzen sich in einem Unterstand. Eine bodengebundene Kamikazedrohne mit Minen rollt heran. Die Soldaten hissen ein weißes Tuch mit der Aufschrift »Wir ergeben uns«. Eine Luftdrohne führt sie über offenes Feld zu ukrainischen Linien – ohne einen einzigen eigenen Soldaten vor Ort. Ein Novum in der Kriegsgeschichte: Angriff und Gefangennahme vollständig durch Roboter. Das ist die Zukunft der Kriegführung – eine Zukunft, die bereits begonnen hat.
Bis 2035 könnte die klassische menschliche Infanterie verschwunden sein. Der Mensch wird nicht mehr als Kämpfer am Boden agieren, sondern nur noch operative Aufträge formulieren – die taktische Ausführung übernehmen autonome Systeme. Technik, Kosten und Geopolitik treiben diesen Wandel: KI-Systeme erreichen Reifegrade, die vor wenigen Jahren utopisch schienen; die ökonomische Rechnung eines Maschinen- gegenüber eines Soldatenlebens kippt zunehmend in Richtung des Roboters; und Staaten wie China sprechen offen davon, Bodentruppen durch robotische Systeme zu ersetzen.
Neue Truppengattung
Die Ukraine hat einen Bedarf von über 10.000 Robotern identifiziert. China präsentierte im September 2025 bei seiner Militärparade anlässlich des Endes des Zweiten Weltkriegs erstmals öffentlich robotische Bodentruppen mit Kampfrobotern, Roboterhunden und autonomen Transportern. Russland geht noch weiter: Ende 2025 soll die Bildung einer völlig neuen, eigenständigen Truppengattung abgeschlossen sein – die »Truppen für unbemannte Systeme«. Diese stehen organisatorisch gleichrangig neben Heer, Luftwaffe und Marine, mit eigener Kommandostruktur, eigenem Budget und eigener Doktrin. Es ist vermutlich weltweit die erste »Robotertruppengattung« auf höchster militärischer Organisationsebene – ein institutioneller Paradigmenwechsel, der die Gleichwertigkeit von bemannten und unbemannten Systemen manifestiert.
Seit mehr als 2.000 Jahren bildet die Infanterie das Rückgrat aller Armeen. Vom griechischen Hopliten über den napoleonischen Linienkämpfer bis zum modernen Schützen im digitalen Verbund blieb sie der Inbegriff physischer Präsenz auf dem Gefechtsfeld. Der Infanterist ist kein Spezialist, sondern ein universelles Werkzeug – ein menschliches Mehrzwecksystem, das kämpfen, beobachten, sichern, bergen und bauen kann. In ihm verschmelzen die Rollen des Schützen, Sanitäters und Pioniers. Diese Vielseitigkeit machte die Infanterie zur unentbehrlichen Komponente jeder Landoperation: Erst wenn sie den Boden betritt, gilt ein Gelände als wirklich erobert.
Dabei ist die Infanterie ein Kompromisssystem: Sie kann vieles, aber nichts perfekt. In früheren Jahrhunderten war das alternativlos: Es gab keine Maschinen, die militärische Aufgaben anstelle eines Menschen erledigen konnten. Heute jedoch operiert die Infanterie in einem Umfeld, das nahezu vollständig rationalisiert, überwacht und digitalisiert ist.
Und der Mensch ist auf diesem »gläsernen Gefechtsfeld« die verwundbarste Komponente. Drohnen, Wärmebildsensoren und Radarerfassung lassen kaum noch Bewegung zu, ohne dass diese sofort entdeckt wird. Der Ukraine-Krieg hat gezeigt, dass klassische Infanterietrupps in offenen Stellungen kaum länger als Minuten überleben, bevor sie von Präzisionsmunition oder FPV-Drohnen getroffen werden. Während Panzer durch zusätzliche Schutzsysteme und elektronische Abwehrmittel bedingt überlebensfähig bleiben, ist der Soldat dem Himmel schutzlos ausgeliefert.
Wenn heute schon angesichts der neuen Bedrohungen für die Infanterie Aufklärung, Feuerunterstützung, Logistik und Bergung schrittweise an autonome Systeme übergehen, stellt sich eine Frage, die bis vor kurzem undenkbar schien: Was, wenn jede dieser Funktionen von einer eigenen Maschine übernommen wird – nicht von einem humanoiden Ersatz, sondern von einer Vielzahl spezialisierter, sich ergänzender Roboter?
Ein Soldat vereint verschiedenste Funktionen in einer Person. Er ist Kämpfer und Sanitäter, Aufklärer und Lastträger, Pionier und Funker. Doch diese Multifunktionalität allein erklärt nicht, warum Infanterie im modernen Kriegsgeschehen unersetzbar blieb. Der wahre Grund liegt tiefer, in einer Fähigkeit, die so selbstverständlich erscheint, dass sie selten explizit benannt wird: Infanterie kann pulsieren. Sie verändert ihren Zustand zwischen Schutz und Exposition, zieht sich zusammen und dehnt sich wieder aus, verschwindet und kehrt zurück. Bei Gefahr – wenn Drohnen den Himmel abtasten, wenn Artillerie das Gelände umpflügt, wenn feindliches Feuer jede Bewegung bestraft – verschwindet sie in geschützte Hohlräume: Bunker, Keller, unterirdische Anlagen, dichte Gebäudekomplexe, Tunnelsysteme. Dort ist sie unsichtbar für Sensoren, zumeist unerreichbar für Präzisionswaffen. Keine Thermalkamera findet sie in tiefen Kellern, keine Drohne kann ihr in verwinkelte Gänge folgen, keine Artillerie dringt durch meterdicken Beton.
Nur eine neue Waffenklasse durchbricht diese Sicherheit: die schweren, satellitengesteuerten Gleitbomben der FAB/KAB-Serie, mit mehreren hundert Kilogramm Sprengstoff. Sie pulverisieren ganze Gebäudekomplexe und treffen selbst tief eingegrabene Stellungen. Doch diese Ausnahme bestätigt nur die Regel – die klassische Infanterie überlebt heute fast nur noch unter der Erde.
Sobald die Bedrohung nachlässt, wenn der Drohnenschwarm weiterzieht, wenn der Beschuss pausiert, wenn der Gegner sich zurückzieht, strömt die Infanterie wieder heraus. Sie besetzt Stellungen, kontrolliert Kreuzungen, durchkämmt Gebäude, sichert Gelände. Dann kommt die nächste Welle, und sie zieht sich erneut zurück. Diese elastische Präsenz unterscheidet Infanterie fundamental von allen anderen Waffengattungen.
Panzer und Artillerie verfügen zwar über gedeckte Stellungen, Unterstände und Tarnsysteme, doch im Drohnenkrieg verlieren diese Schutzräume zunehmend ihre Wirkung. Der berüchtigte »Todesstreifen« aus Aufklärungs- und Angriffs-FPVs reicht heute bis zu fünfzig Kilometer hinter die Front. Was sich bewegt, wird erfasst; was sichtbar ist, wird getroffen. Für schwere Systeme bleibt kaum noch Raum zur Unsichtbarkeit – nur Infanterie kann sich vollständig in den Boden zurückziehen.
Immer kleiner
Und genau hier liegt der Wendepunkt. Solange Maschinen dieses Pulsieren nicht beherrschen, solange sie nicht in Hohlräume kriechen, solange sie nicht in die Tiefe abtauchen, dort warten und bei Gelegenheit wieder hervorkommen können, bleibt die menschliche Infanterie unersetzbar. Doch sobald Roboter diese Fähigkeit erlernen, sobald sie durch Trümmer klettern, Treppen erklimmen, in Kellern verschwinden und bei Bedarf wieder ausschwärmen, wird die Infanterie überflüssig. Sie wird ersetzt durch etwas völlig Neues: ein Mosaik spezialisierter Systeme – nicht die Nachbildung des Menschen in Metall, sondern die Zergliederung seiner Aufgaben in kleine, standardisierte Module, jedes optimiert für eine einzige Rolle. So wie die Dampfmaschine das Pferd nicht kopierte, sondern die Ökonomie des Transports veränderte, wird die Robotisierung die Logik des Bodenkampfes umformen.
Die technologischen Bausteine für diese pulsierende Roboterinfanterie existieren bereits heute – zumindest in ihrer physischen Form. Der entscheidende Durchbruch liegt in der Miniaturisierung und der Entwicklung hochmobiler Plattformen, die dorthin gelangen, wo bisher nur Menschen hinkamen.
Vierbeinige Maschinen, die sich wie Hunde oder große Insekten bewegen, sind keine Science-Fiction mehr, sondern Serienprodukte. Das chinesische Unternehmen Unitree Robotics produziert Modelle, die für unter 10.000 US-Dollar erhältlich sind und Treppen steigen, über Geröll klettern und sich durch enge Korridore bewegen können. Russische und chinesische Streitkräfte haben bereits bewaffnete Varianten präsentiert: Roboterhunde mit aufmontierten Gewehren, die autonom patrouillieren oder ferngesteuert Ziele bekämpfen. Das US-amerikanische Unternehmen Ghost Robotics liefert ähnliche Systeme an militärische Abnehmer.
Doch die Entwicklung bleibt nicht bei vier Beinen stehen. Sechsbeinige Plattformen bieten noch mehr Stabilität auf unebenem Grund und können einzelne Beine verlieren, ohne bewegungsunfähig zu werden – ein Vorteil in Trümmerlandschaften. Selbst zweibeinige Systeme, kleiner als ein Mensch, werden erprobt: Sie könnten überall dorthin gelangen, wo auch ein Soldat sich aufhalten kann, wären aber schneller, ermüdungsfrei und ohne Überlebenstrieb. Die genaue Größe ist dabei zweitrangig – entscheidend ist das Prinzip der radikalen Miniaturisierung. Die Größe einer Ratte ist denkbar, vielleicht sogar kleiner. Was heute wie ein Hund aussieht, könnte in zehn Jahren die Größe eines Insekts haben – klein genug, um durch Lüftungsschächte zu kriechen, in Kabelkanäle einzudringen, unter Türen hindurchzuschlüpfen.
Diese Miniaturisierung ist kein isoliertes Phänomen. Sie vollzieht sich beim gesamten militärischen Gerät: Panzer werden kleiner, unbemannt, modular; Drohnen schrumpfen von Flugzeug- auf Libellengröße; Sensoren, die einst raumfüllende Anlagen waren, passen heute auf Briefmarken. Wir erleben einen Prozess, bei dem nicht der perfekte Einheitsroboter entsteht, sondern eine Vielzahl spezialisierter Formfaktoren – vier-, sechs-, achtbeinig, fliegend, kriechend, rollend. Der Krieg der Zukunft wird vielleicht nicht von humanoiden Androiden geführt, sondern von einem System mechanischer Insekten und Raubtiere.
Noch Softwareprobleme
Doch die Hardware allein macht noch keine pulsierende Infanterie. Die physischen Plattformen existieren bereits jetzt weitgehend, aber die Software hinkt hinterher – und mit ihr die entscheidenden Fähigkeiten, die ein autonomes System in Hohlräumen überlebensfähig machen.
Das erste Problem ist die Navigation ohne Sichtkontakt. Im offenen Gelände funktionieren GPS, Kameras und Radar zuverlässig. Doch in engen Kellern, verrauchten Gebäuden oder staubigen Trümmerlandschaften versagen diese Systeme. SLAM – Simultaneous Localization and Mapping, also die Fähigkeit eines Roboters, sich gleichzeitig zu orientieren und seine Umgebung zu kartieren – ist die zentrale Technologie, um ohne GPS zu navigieren. Doch SLAM bricht unter extremen Bedingungen zusammen: Staub reflektiert Lasersensoren (Lidar), Rauch verwirrt Kameras, enge Gänge erzeugen Echos, die Radarsysteme stören. Bis Roboter so sicher wie Menschen durch Keller navigieren, sind noch einige Entwicklungsschritte zu bewältigen.
Noch kritischer ist die Freund-Feind-Erkennung. Ein Soldat kann intuitiv unterscheiden: bewaffneter Gegner, unbewaffneter Zivilist, verwundeter Kamerad. KI-Systeme tun sich damit schwer, besonders in chaotischen Innenräumen, wo Uniformen verschmutzt, Waffen versteckt und Bewegungen unklar sind. Bilderkennung kann Gesichter, Kleidung, Waffen identifizieren – aber bei schlechtem Licht, in hektischen Situationen steigt die Fehlerquote. Realistischerweise wird in Zukunft »Friendly Fire« durch Maschinen einkalkuliert werden, so wie heute schon »Kollateralschäden« durch Präzisionswaffen einkalkuliert werden.
Die Lösung könnte in der Sensorfusion liegen: Wenn Lidar versagt, übernimmt Radar. Wenn Kameras blind werden, nutzt der Roboter Thermalsensoren. Wenn alle optischen Systeme ausfallen, tastet er sich taktil voran – wie ein Blinder, der Wände abtastet. Mehrere Sensortypen redundant kombinieren, ihre Daten fusionieren, Ausfälle kompensieren. Diese Technologie existiert konzeptionell, wird in Forschungslaboren erprobt, ist aber noch nicht robust genug für den Masseneinsatz unter Extrembedingungen.
Das dritte Problem ist die Vernetzung unter Störbedingungen. Funkverbindungen können gestört werden, Glasfaserkabel reichen nur wenige Kilometer weit. Ein Roboterschwarm, der in feindlich kontrollierten Gebäudekomplexen operiert, muss dezentral funktionieren – jede Einheit muss eigenständig entscheiden können, ohne ständigen Kontakt zur Zentrale. Diese »Schwarmintelligenz« existiert konzeptionell, aber ihre Zuverlässigkeit unter Kampfbedingungen ist noch nicht bewiesen.
All diese Probleme sind jedoch keine prinzipiellen Hürden. Es sind Ingenieursprobleme, keine durch physikalische Grenzen gesetzten. Die Sensorfusion – die Kombination mehrerer Sensortypen, um Ausfälle zu kompensieren – macht Fortschritte. KI-Modelle zur Bilderkennung verbessern sich exponentiell. Dezentrale Algorithmen werden robuster. Die Frage ist nicht, ob diese Lücken geschlossen werden, sondern wann. Und die Antwort lautet: wahrscheinlich innerhalb eines Jahrzehnts.
Die Roboter existieren – was fehlt, ist der Verstand. Noch vor zehn Jahren waren sie ferngesteuerte Maschinen, vollständig abhängig von menschlichen Operatoren. Zwischen 2020 und 2025 hat sich das bereits geändert: Künstliche Intelligenz lernt zu sehen, zu entscheiden, zu handeln.
Push durch künstliche Intelligenz
Der Durchbruch kam mit den großen Sprachmodellen. Systeme wie Chat-GPT zeigen, dass KI Muster erkennen, Sprache verstehen und Entscheidungen treffen kann. Inzwischen laufen multimodale Modelle auf Chips, die in eine Hand passen – sie verarbeiten Bilder, Videos und Sensordaten in Echtzeit, ohne Verbindung zu Rechenzentren.
Damit erhalten Roboter die Fähigkeiten, die sie für den Bodenkampf brauchen: autonome Navigation ohne GPS, Zielerkennung und Freund-Feind-Unterscheidung, dezentrale Schwarmkoordination und adaptive Taktik. Sie lernen aus Gefechten, passen Strategien an, operieren auch bei gestörtem Funk.
Offiziell gilt meist Human-in-the-Loop, das heißt, Menschen entscheiden und leiten an. Doch viele Systeme operieren längst im Modus Human-on-the-Loop – sie entscheiden eigenständig, der Mensch überwacht lediglich noch. Der nächste Schritt wäre Human-out-of-the-Loop: Systeme agieren völlig autonom und werden nur noch strategisch beauftragt. Am Ende steht der vollautonome Modus: Schwärme führen Operationen selbständig aus, der Mensch formuliert nur noch Ziele.
Bis 2035 dürfte diese Software reif sein. Dann könnten Roboter pulsieren wie Infanterie – sich zurückziehen, hervorkommen, Terrain halten. Die Technik wäre bereit. Die menschliche Infanterie obsolet.
Die Technologie mag existieren, die KI mag reifen – doch was die Robotisierung der Infanterie unausweichlich macht, ist schlicht: Geld. Ein Soldat kostet pro Jahr etwa 100.000 Euro. Die Ausbildung verschlingt sechs bis 24 Monate, der Sold läuft über Jahrzehnte, Renten und Gesundheitsversorgung belasten Staatshaushalte viele Jahre lang. Ein Kampfroboter – etwa ein bewaffneter Vierbeiner oder eine Loitering-Munition – kostet in der Produktion dagegen deutlich unter 100.000 Euro, bei Massenproduktion sinken die Preise weiter. Die Wartungskosten sind minimal, die Betriebskosten gering, Pensionen entfallen. Ein Staat könnte für das Budget eines einzigen Soldaten ein Vielfaches an Robotern aufstellen.
Diese ökonomische Logik erzwingt ein Wettrüsten. Wer nicht robotisiert, wird von Gegnern überrollt, die das Zehnfache an Kampfkraft zu gleichen Kosten mobilisieren können. Selbst wenn alle Staaten Robotisierung als problematisch erkennen, kann kein Staat darauf verzichten, ohne strategische Unterlegenheit zu riskieren. Wer zuerst eine vollrobotisierte Armee aufbaut, gewinnt jeden Konflikt durch schiere Überlegenheit. Der ökonomische Zwang überrollt so alle ethischen Bedenken.
Die Robotisierung verändert nicht nur, wer überhaupt noch kämpft, sondern auch, wie gekämpft wird. Die bisherige Doktrin – wenige teure Präzisionssysteme, jeder Einsatz politisch abgewogen – weicht der Übersättigungskriegsführung: Tausende billige Wegwerfplattformen überfluten den Gegner. Statt einer Lenkwaffe für 100.000 Euro kommen hundert billige Loitering-Drohnen zum Einsatz. Ein Verteidigungssystem kann nicht alles abfangen. Masse schlägt Präzision. Schwarmtaktiken verstärken das: Hundert Roboter greifen gleichzeitig aus allen Richtungen an, koordiniert durch KI, dezentral organisiert. Kein Anführer, den man ausschalten kann. Kein zentraler Störsender hilft. Selbst wenn die Hälfte zerstört wird, erreicht die andere wahrscheinlich ihr Ziel.
Horrorszenario
Der Ukraine-Krieg zeigt die Konsequenzen der Robotisierung bereits heute: 70 Prozent aller Verluste gehen auf Drohnen zurück. Die menschliche Infanterie überlebt kaum noch in offenen Stellungen. Systeme wie FPV-Drohnen oder Lancet kreisen über dem Zielgebiet, suchen teilweise schon selbständig nach Gegnern und stürzen sich mit hoher Präzision auf sie. Was früher ein Soldat mit Granatwerfer tat – Last tragen, Ziel erfassen, feuern –, übernimmt heute eine Drohne, die selbst zur Waffe wird. Der Granatwerfersoldat ist weitestgehend Geschichte. Auch Logistik und Evakuierung werden automatisiert. Roboter wie »Gereon« oder »Themis« transportieren Munition, Ausrüstung oder Verwundete – bei Nacht, unter Beschuss, ohne Pause und ohne Angst. Die gefährlichsten Aufgaben der Front – Nachschub und Rettung – gehen an Maschinen über. Kein Sanitäter muss mehr sterben, um einen verwundeten Soldaten zu bergen.
Der unaufhaltsam erscheinende Trend zur Automatisierung schafft ein ethisches Vakuum. Die entscheidende Frage ist und bleibt die der Verantwortung, auch wenn die Entscheidung über Leben und Tod entmenschlicht ist: Was geschieht, wenn rattengroße Roboter, programmiert mit einer Zielliste, eine Stadt durchkämmen?
Die israelischen Pager-Anschläge im Libanon vom September 2024 zeigen an, wohin die Reise geht: Tausende Geräte, gleichzeitig aktiviert – unter den Opfern: Kinder, Ärzte, Unbeteiligte. Ein KI-System hat kein Mitgefühl, es kennt nur Trefferquote und Erfolgswahrscheinlichkeit. Fehler in der Freund-Feind-Erkennung, manipulierte Zieldatenbanken oder einfach der Befehl, »die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung zu brechen«, könnten zu Massakern unvorstellbaren Ausmaßes führen. Damit steht die ultimative Bedrohung im Raum: systematische, großangelegte Tötungen, delegiert an einen Schwarm unbeteiligter Maschinen. Die Technologie für diesen Alptraum wird gerade, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, einsatzbereit gemacht.
Lars Lange schrieb an dieser Stelle zuletzt am 11. September 2025 über die noch aus Sowjetzeiten stammenden Bunkeranlagen und Verteidigungsstellungen der Ukraine: »Von Netzen und Gräben«
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Wolfgang S. aus Berlin-Mariendorf (29. Oktober 2025 um 20:14 Uhr)Wozu der Autor nichts schrieb, ist die Frage der Energie. Auch das könnte man bei den angesprochenen Miniaturisierungen und Mengen lösen. Aber aktuell stehen derartige Energiespeicher mit entsprechender Energiedichte nicht zur Verfügung. Auf jeden Fall ist die Sache sehr beängstigend. Und wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass es so etwas wie Herr Lange das prognostiziert, nicht geben oder dann wenigstens nicht eingesetzt wird. Wie heißt es doch bei Marx sinngemäß: Wenn der Profit … % übertrifft sind die Kapitalisten zu jedem Verbrechen bereit.
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Leserbrief von Rayan aus Unterschleißheim (27. Oktober 2025 um 02:58 Uhr)Der ökonomische Zwang überrollt demnächst dann ja quasi alle. Denn wenn die KI-Roboter effizienter als jeder Menschensoldat sein können, können sie früher oder später jeden, wirklich jeden Job effizienter ausführen, als der Mensch es kann. D.h. alle Kapitalisten, die weiter auf die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft setzen, gehen unweigerlich als erste bankrott. Was bleibt, ist eine Welt, betrieben von Robotern, und am Ende eine menschliche Arbeitslosenquote von 100 Prozent. Da sich in diesem m.E. sehr wahrscheinlichen Szenario die KI neben der Organisation ihrer Ressourcen für den eigenen Betrieb auch um ihre eigene Weiterentwicklung und Reproduktion effizienter kümmern kann, als Menschen es könnten, bleibt den »cleveren« Kapitalisten, die auf KI gesetzt haben, nichts, wohin sie die ganzen KI-produzierten Waren verscherbeln könnten. Denn die KI scheißt auf modische Klamotten, Urlaubshotels, Obst und Gemüse, Lieferdienste, Kinobesuche usw. usw. Und die Dinge, die sie braucht, inkl. zur ständigen Vergrößerung des »KI-Kapitals«, erzeugt sie ja vollautomatisch selber. Ergo gehen auch diese Kapitalisten bankrott, denn wenn im Kapitalismus niemensch arbeiten kann, kann sich auch niemensch all den Kram leisten ergo: Das System bricht zusammen. Zumindest was 99,9999999% der Menschen angeht. Da es die Kapiatlisten sind – und auch künftig sein werden, wenn die breite Masse an Leuten nicht mal langsam ihr Brainwashing durchbricht –, die die hochpotenten KI-Systeme kontrollieren. Was glaubt ihr wohl, gegen wen die hyperkompetenten Robo-Soldaten im Endeffekt eingesetzt werden? Ganz genau: Gegen all die aus Exkapitalisten- und Herrschersicht unnützen Esser, die Ressourcenverbraucher, die keinen Mehrwert für sie generieren. Die künftigen, dann feudalistischen, Herrscher werden mit Sicherheit ganz bewusst und absichtsvoll Milliarden an Menschen massakrieren und bräuchten dafür noch nicht mal Atombomben o.ä. Das ist die Zukunft, die uns das kapitalistische System zu bieten hat.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Rolf R. aus Offenburg (26. Oktober 2025 um 11:33 Uhr)Bei dem Artikel fallen mir sofort die Terminator-Filme oder Minority Report mit seinen Spinnenrobotern ein. Da ging es aber nicht um Krieg von Staaten, sondern um Aufstandsbekämpfung! Eine grauenhafte Vorstellung für revolutionäre, demokratische und Befreiungsbewegungen. Dieser Aspekt fehlt mir in dem Artikel.
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